Quelle der Hoffnung 1.Les.: Ez 47,1-2.8-9.12| 2.Les: 1 Kor 3,9c-11.16-17| Ev: Joh 2,13-22
In der ersten Lesung haben wir vom Propheten Ezechiel gehört, wie ihn ein Unbekannter zum Eingang des Tempels führt und er dann ein Wasser fließen sieht, das unter der Schwelle des Tempels hervorkommt, immer mehr bis zur Größe eines Stromes anschwillt und schließlich das Tote Meer lebendig macht.
Wie dürfen wir dieses Bild verstehen? Der Prophet erlebt die Eroberung Palästinas. Er ist bei denen dabei, die nach Babylon deportiert werden, ein Fußmarsch über mehr als tausend Kilometer. Dass nicht alle das Unterfangen überleben ist klar. Der Tod ist ein Begleiter. In Babylon angekommen bleibt das Leben ungewiss und unsicher. Nach einiger Zeit erfährt Ezechiel, dass der Tempel in Jerusalem, der Quell-Ort seines Glaubens zerstört ist. Er und alle Deportierten ringen mit ihren traumatischen Erfahrungen. Vermutlich können viele nicht darüber sprechen.
Nachdem einige Jahre verstrichen sind, beginn Ezechiel in seiner entwurzelten Situation zu reden, das heißt, er spricht über innere Bilder. Sie knüpfen an die Schöpfungserzählung mit dem Bild des Paradieses, in der ebenso ein Strom entspringt, an (Vgl. Gen 2,10). Gott ist treu und in seiner Treue vermag er erneut eine andere Welt zu schaffen, wie sie gegenwärtig von ihnen erlebt wird. Er sieht zunächst einen Tempel. Er ist quadratisch und hat ideale Maße. Es ist ein Raum mit der Gegenwart Gottes, die Ezechiel vielleicht in neuer Weise erkennen kann. In schwierigen Lebenssituationen ist oft der Blick für diese Gegenwart im wahrsten Sinne des Wortes „verbaut“.
Vom Tempel geht ein Fluss aus. Er fließt durch die Wüste, an dessen Ränder Bäume wachsen, die Früchte tragen. Es ist ein Fluss mit reinem Wasser, das das Tote Meer heilt und lebendig macht, beziehungsweise Totes wieder ins Leben ruft.
Es ist ein Bild für jeden Menschen. Durch widrige oder widrigste Umstände, Schicksalsschläge oder gar traumatische Erfahrungen können Menschen völlig entwurzelt werden. Gefühle von Beheimatung, Geborgenheit, Vertrautheit oder Sicherheit fehlen, sind einfach nicht mehr da. Es kann sein, dass man erst nach geraumer Zeit, vielleicht nach Jahren wiedersehen oder entdecken kann, dass da in mir doch ein Raum einer besonderen Quelle geblieben ist.
Ezechiel hält fest, dass das Wasser durch die Wüste fließt. Das Sehen dieses Raumes muss noch keineswegs das Leben völlig verändern. Es kann weiter ein Weg durch die Wüste sein. Vielleicht entdeckt man das Wachsen von Bäumen mit Früchten links und rechts, manchmal mehr und manchmal weniger. Solche Früchte können sein: Trost und Kraft, neue Beziehungen oder Freundschaften, neue Perspektiven fürs Leben, erlebte Hilfe und Zuwendung u.a.
Das Entdecken und Zulassen dieser inneren Quelle hat großes, heilsames Potential. Es ist ein starkes Bild, wenn Ezechiel sagt, dass es das Tote Meer heilt und in ihm volles, vielfältiges Leben ermöglicht. Das Wasser des Toten Meeres lässt kein Leben zu, höchstens ein paar wenige Bakterien. Ezechiel hat begonnen zu reden. Er ist nicht mehr stumm. Er hat erfahren, was ihn nährt und heilt. Er erzählt von seiner Hoffnung.
Wir können diese Vision des Ezechiel lesen und hören in Solidarität mit Menschen, die Ähnliches erlebt haben. Es gibt Migranten unter uns, die mit Bildern von Krieg, Zerstörung und Verfolgung zu uns gekommen sind. Manche sind traumatisiert ähnlich wie der Prophet Ezechiel. Für Ezechiel wird das Reden über die Erfahrungen zum heilsamen Weg, zu einem Weg der Hoffnung. Er hat Menschen, die ihm zuhören, die ihn verstehen wollen und können.
Wir feiern heute die Weihe der Kirche im Lateran. Diese uralte Basilika in Rom ist seit dem vierten Jahrhundert eines der wichtigsten Gebäude für unsere römisch-katholische Kirche. Diese Basilika hat eine lange Geschichte. Es gab Brände, teilweise Zerstörungen und der Zahn der Zeit machten es immer wieder notwendig, dass sie renoviert und erneuert werden musste.
Die Vision des Ezechiel können wir weiter lesen und hören als Hoffnungsbild für die Kirche in Anlehnung an die Basilika. Die Kirche selbst sehnt sich nach Heilung und Lebendigkeit. Es gibt in ihr viel Verkrustetes, Totes, wie: Angst und Konfliktunfähigkeit, ungerechte Strukturen und Resignation, teilweise eine veraltete Sprache und Sprachlosigkeit u.a. Diese alte Basilika bezeugt diese Quelle, die selbst in Wüstenzeiten geflossen ist und fließt und immer wieder zu neuem Leben beigetragen hat.
Ein weiterer Aspekt führt uns die Vision des Ezechiel vor Augen: Das Wasser der Quelle bleibt nicht im Tempel. Es fließt hinaus, bewässert die Wüste und verwandelt das Tote Meer. Das Wasser ist nicht so sehr für jene bestimmt, die sich im Tempel befinden, sondern für jene, die Wüste erleben oder gar mit Totem konfrontiert sind. Es erinnert an Papst Franziskus, dem eine Kirche wichtig war, die nicht um sich selber kreist, sondern hinausgeht an die Ränder, zu Menschen, die sich nach Heilung und Lebendigkeit sehnen.
Wenn Sie den Text der 1. Lesung aus dem Buch Ezéchiel anhören möchten:
Wenn Sie den Text der 2. Lesung aus dem ersten Brief des Apostels Paulus an die Gemeinde in Korínth anhören möchten:
Wenn Sie den Text aus dem heiligen Evangelium nach Johannes anhören möchten:
In unseren Gedanken zu den Texten der Sonntage haben wir schon öfter auf die Problematik von Textauslassungen hingewiesen. Wir wollen einen Versuch starten und werden ab dem Beginn des neuen Lesejahres die Texte in der Länge der biblischen Verfasser lesen.
Seit Jahrhunderten beeindruckt die Bibel Menschen mit ihren Formulierungen. In der Zeit ihrer Entstehung für jeden verständlich brauchen Leserinnen und Leser von heute eine Übersetzung dieser Texte. Jede Übersetzung ist in gewisser Weise auch eine Deutung der Schrift. Die Einheitsübersetzung ist uns bereits vertraut. Wir wollen bewusst mit Beginn des neuen Kirchenjahres eine andere Übersetzung verwenden, um uns neu von den Texten überraschen zu lassen. Wir haben uns für die Übersetzung der BasisBibel entschieden, die seit Januar 2021 vollständig vorliegt. Die BasisBibel ist die Bibelübersetzung für das 21. Jahrhundert: klare Sprache, kurze Sätze und verständliche Sprache.