Solidarität im Alltag 1.Lesung: Sir 3,17-18.20.28-29 (19-21.30-31)| 2.Lesung: Hebr 12,18-19.22-24a| Evangelium: Lk 14,1.7-14
Das Buch Jesus Sirach wendet sich ausdrücklich an junge Menschen und versuchte zum damals vorherrschenden griechischen Kult eine philosophische Ausbildungsalternative anzubieten. Der Verfasser wollte ein Vermittler zwischen den Kulturen sein. Er blieb bei aller Kritik für alle geistigen Strömungen seiner Zeit offen, sofern sie dem Glauben an den EINEN Gott nicht widersprachen.
Fragen über den Sinn des Lebens, das Wesen der Welt und die Stellung des Menschen rückten bei den Griechen in den Mittelpunkt. Der Diskurs darüber wurde zu einer öffentlichen Angelegenheit, der auf dem Marktplatz betrieben wurde.
Der Verfasser des Buches Jesus Sirach ließ sich dadurch sichtlich inspirieren. Den Weisen – und zu diesen zählte er sich selbst auch – maß er bei der Entwicklung von Zukunftskonzepten eine große Bedeutung bei. Die Grundlage zur Entwicklung solcher Gedanken sah er allerdings in den heiligen Schriften der Juden. Ganz von den Griechen beeinflusst, ähnelt sein Buch einer philosophischen Auseinandersetzung. Er sieht die Voraussetzung für den Diskurs allerdings nicht nur zwischen den Meinungen verschiedener Menschen, sondern auch in der Gegenüberstellung mit der göttlichen Weisheit. Erst durch diese Verbindung entstünde eine anwendbare Weisheit.
In der griechischen Philosophie hat die Freiheit als Fähigkeit zur Reflexion und zur Entscheidungsfindung einen hohen Stellenwert, eine freie Entscheidung soll klug und ethisch korrekt sein. Auch hier knüpft das Buch Jesus Sirach an, allerdings wird dieser Satz in der Leseordnung ausgelassen: „Was dir geboten worden ist, das überdenke, / denn du hast keinen Bedarf an verborgenen Dingen!“ (Sir 3,22).
Zentrale Frage der griechischen Philosophie war die Frage nach dem Glück. Es gab sehr unterschiedliche Ansätze. Dabei ging es auch um die Frage der Bescheidenheit und Rücksichtnahme, denn im Leben geht es nicht nur um einseitige Bedürfnisbefriedigung, sondern um einen Einklang zwischen den Menschen und der Welt.
Die ganze griechische Götterwelt lebt aus Wirkungszusammenhängen und der Besänftigung der Götter zum Erreichen von Wohlergehen. Auch bei Jesus Sirach sind die Gedanken sehr stark von einem Tun-Ergehen-Gedanken geprägt. Dies meint, dass Menschen, die bestimmte Handlungen setzen, auf positive Erwiderung hoffen dürfen, entweder durch Wertschätzung bei den Menschen oder Würdigung durch Gott bzw. der Götter. „Mein Sohn, bei all deinem Tun bleibe bescheiden und du wirst geliebt werden von anerkannten Menschen!“ (Sir 3,17). Jeder von uns wird allerdings diesbezüglich schon Enttäuschungen erlebt haben und wir wissen, dass es diese Tun-Ergehen-Zusammenhänge geben kann, aber bei weitem nicht geben muss. Jesus war kein Naivling und bei all den schönen Gedankenkonstrukten der Philosophen und biblischen Texten lebt er den Alltag gewöhnlicher Menschen und spürt, dass diese Erwartungshaltung nur zu Frustration und Enttäuschung führen kann. Davon berichtet das heutige Evangelium. Den Grundsatz der Bescheidenheit teilt er, allerdings fügt er eine ergänzende Haltung hinzu: die Erwartungslosigkeit. Man könnte darin den Versuch Jesu ausmachen, der philosophischen Grundhaltung eine Ethik hinzufügen – also eine Auslegung zum richtigen Handeln im Alltag.
Jesus schlägt eine Form von Kompromiss vor, um Enttäuschungen vorzubeugen und gleichzeitig auch zur Notlinderung beizutragen – also quasi eine win-win-Situation, der anderen Art. Einladungen sollen nicht der Kumpanei und Freunderlwirtschaft oder dem Vorankommen dienen, wo man „Vergeltung“ erwartet oder nachdem Motto „eine Hand wäscht die andere“ handelt. „Nein, wenn du ein Essen gibst, dann lade Arme, Krüppel, Lahme und Blinde ein. Du wirst selig sein, denn sie haben nichts, um es dir zu vergelten; es wird dir vergolten werden bei der Auferstehung der Gerechten“ (Lk 14,13-14). Man soll also versuchen, ein Gerechter – ein Zadik“ – zu werden. Dieses hebräische Wort, hat im Judentum eine wichtige Bedeutung. Es bedeutet “Rechtschaffener” oder “Gerechter” und wird als Ehrentitel für Personen verwendet, die sich darum bemühen, in ihrem Handeln eins mit dem Willen Gottes zu leben.
Bei einer Fachtagung zu Muslimfeindlichkeit wurde kürzlich festgehalten, dass die Wahrnehmung von Muslimen im Alltag positiv sei. Es gäbe ein großes Maß an Alltagssolidarität zwischen den Ethnien. Die offiziellen Umfragen und die öffentliche politische Meinung würden allerdings das Gegenteil signalisieren: eine große Zurückhaltung gegenüber muslimischen BürgerInnen bis hin zum Rassismus. Die zunehmende Fremdenfeindlichkeit im Großen passe nicht zur Solidarität im Alltag. Es sei eine Entsolidarisierung von oben nach unten ebenso wie zwischen reich und arm festzustellen.
In den vergangenen Jahrzehnten ist unserem Land viel im Bereich Inklusion passiert. Inklusion meint, dass kein Mensch ausgeschlossen, diskriminiert oder benachteiligt werden soll, weder wegen seiner Hautfarbe, Religion oder weil er eine Behinderung hat. Wir hören derzeit viel von angekündigten Sparpaketen im Sozialbereich. Es ist absehbar, dass manche Errungenschaften der Vergangenheit auf dem Prüfstand stehen werden. Bei der erwähnten Fachtagung wurde auch von einem zunehmenden „Empathie-Gap“ gewarnt. Kirche, Pfarren und Vereine können diesen Menschen Stimme geben und durch Einladungen zu Festen oder durch die Mitnahme zu Veranstaltungen auch ein Gesicht: quasi als Aufstand von unten, damit die Solidarität im Alltag sichtbar bleibt.
Wenn Sie den Text der 1. Lesung aus dem Buch Jesus Sirach anhören möchten:
Wenn Sie den Text der 2. Lesung aus dem Hebräerbrief anhören möchten:
Wenn Sie den Text aus dem heiligen Evangelium nach Lukas anhören möchten:
In unseren Gedanken zu den Texten der Sonntage haben wir schon öfter auf die Problematik von Textauslassungen hingewiesen. Wir wollen einen Versuch starten und werden ab dem Beginn des neuen Lesejahres die Texte in der Länge der biblischen Verfasser lesen.
Seit Jahrhunderten beeindruckt die Bibel Menschen mit ihren Formulierungen. In der Zeit ihrer Entstehung für jeden verständlich brauchen Leserinnen und Leser von heute eine Übersetzung dieser Texte. Jede Übersetzung ist in gewisser Weise auch eine Deutung der Schrift. Die Einheitsübersetzung ist uns bereits vertraut. Wir wollen bewusst mit Beginn des neuen Kirchenjahres eine andere Übersetzung verwenden, um uns neu von den Texten überraschen zu lassen. Wir haben uns für die Übersetzung der BasisBibel entschieden, die seit Januar 2021 vollständig vorliegt. Die BasisBibel ist die Bibelübersetzung für das 21. Jahrhundert: klare Sprache, kurze Sätze und verständliche Sprache.
Ein Kommentar zu “Solidarität im Alltag 1.Lesung: Sir 3,17-18.20.28-29 (19-21.30-31)| 2.Lesung: Hebr 12,18-19.22-24a| Evangelium: Lk 14,1.7-14”
Warum sich die Menschen kennenlernen sollten?
Letztes Jahr habe ich in einer benachbarten Pfarrgemeinde ein Zusammentreffen von Juden, Christen und Muslimen besucht. Durch das Vortragen der wichtigsten Merkmale der jeweiligen Religionen, konnte ich viele Zusammenhänge verstehen. Es wurden auch verschiedene Speisen aus verschiedenen Kulturen angeboten und es entstanden interessante Gesprächsrunden. Ohne Erwartung konnte ich die Menschen kennenlernen und es entstand ein vertrauliches Miteinander. Ich denke, dass solche Begegnungen den Willen Gottes entsprechen.
Gesegnete Grüße