Teil eines großen Ganzen 1. Lesung: Apg 9,26-31|2. Lesung: 1 Joh 3,18-24|Evangelium: Joh 15,1-8
Jesus versucht in den insgesamt drei Abschiedsreden des Johannes-Evangeliums zu beschreiben, wie die Beziehung zwischen ihm und dem Vater zu deuten und zu verstehen ist. Sein Anliegen ist es, in dieses enge Beziehungsgeflecht seine Jüngerinnen und Jünger miteinzubeziehen, insbesondere für die Zeit nach seinem Tod. Jesus versucht dies mit unterschiedlichen Bildreden (Joh 16,25) und Metaphern (Ich bin das Licht der Welt, die Türe, der gute Hirte) zu beschreiben. Im heutigen Evangelium verwendet Jesus das Bild des Weinstockes.
Während meiner Studienzeit in Wien habe ich oftmals im Herbst bei der Weinlese mitgearbeitet. Nicht zuletzt, um das Anliegen dieser Bildreden besser verstehen zu können. Einen Winzer habe ich gebeten, mich zu den unterschiedlichen Jahreszeiten mit in den Weinberg zu nehmen und mir von seiner Arbeit zu erzählen.
Die eigentliche Arbeit im Weinberg leistet die Natur. Ein Weinbauer besucht seinen Weingarten häufig. Im frühen Jahr muss er das alte Holz entfernen und er bestimmt die Anzahl der Fruchtruten. Greift der Winzer allerdings zu stark ein, kann dies schwerwiegende Folgen haben. Bei all den Handgriffen am Weinstock spricht man von Reberziehung. Es müsssen alle unnötigen Teile oder die, die keine Frucht bringen, entfernt werden, damit die guten Reben reichlich Frucht bringen können. Neben den Reben gilt es auch auf einen guten Boden zu achten, damit der Wind die Erde nicht austrocknet oder das Wasser nicht so leicht verdunstet. Aus diesem Grund wurden zur Zeit Jesus die Weingärten in Terrassen angelegt und der Weinstock war auch nicht gebunden, sondern wuchs am Boden entlang. Die enge Beziehung des Winzers zu seinem Weingarten wurde zur Zeit Jesu daran ersichtlich, dass es in jedem Weinberg einen Turm gab. In diesem Turm wohnte die Winzerfamilie zur Zeit der Reife und Ernte. Er galt als Wachturm, damit alles gut im Blick blieb und Diebe gleich in die Flucht geschlagen werden konnten.
Nehmen wir vor diesem Hintergrund nochmals einzelne Sätze des heutigen Evangeliums in den Blick:
Gott der Vater ist der Winzer. Er ist auch der Winzer Jesu. Jesu ist Teil des Weinstocks Israel, den Gott im Garten gepflanzt hat. Bereits Texte des Ersten Testaments kennen dieses Bild des Weinstocks. Jesus gestaltet also kein neues Bild. Er will damit verdeutlichen, welche entscheidende Rolle er in diesem Weingarten Gottes ausübt. Er bezeichnet sich als Weinstock. Jesus garantiert damit für gute Wurzeln und sicheren Halt. Ohne gute Wurzeln werden Wind und Trockenheit schnell zur Gefahr. Durch die Verbundenheit mit dem Weinstock dürfen wir uns also in Sicherheit wiegen. Mit seiner Rebpflege bzw. -erziehung umwirbt uns Gott. Ein Winzer nimmt die werdende Traube bis zur Ernte mehrmals in seine Hände. Der Winzer – Gott – zeigt viel Einsatz, Sorgfalt und Anstrengung für seinen Weingarten. Das „Beschneiden“ soll dazu dienen, dass unnötiger Ballast – Sinnloses – die Entfaltung nicht behindert. Müssen wir nun Sorge haben, dass wir abgeschnitten werden und ins Feuer geworfen werden? Nein, denn wie wir hörten: „Ihr seid schon rein kraft des Wortes, das ich zu euch gesagt habe. Bleibt in mir und ich bleibe in euch“. Bleiben wir in der Beziehung zum Wort Gottes und versuchen wir dieses zu leben – dann kann uns gar nichts passieren.
Mit der zarten Weinblüte, die kaum ersichtlich ist, muss man ganz rücksichtsvoll und behütetend umgehen. Vielleicht hatte der Prophet Jesája nicht zuletzt auch einen Weinstock vor Augen: „Seht her, nun mache ich etwas Neues. Schon kommt es zum Vorschein, merkt ihr es nicht?“ (Jes 43,19).
Wie kann nun dieses Bild vom Winzer, dem Weinstock und den Reben für uns als Kirche dienlich sein?
Zuerst einmal gilt es anzuerkennen, dass Gott der Winzer ist und nicht wir. Wir sind Teil eines großen Ganzen. Gott hat den liebevollen und verantwortungsvollen Blick auf seinen Weingarten der Gläubigen. Es gilt für uns gut mit dem Weinstock – dem Wort Gottes, dessen meisterhafter Ausleger Jesus war – in Verbindung zu bleiben und dieses im Sinne der Bergpredigt anzuwenden.
Viele Pfarren und kirchliche Gruppierungen merken, dass viele Dinge – aus unterschiedlichen Gründen – nicht mehr wie bisher fortgeführt werden können. Angebote werden nicht mehr angenommen, die Zahl der Ehrenamtlichen und Hauptamtlichen gehr zurück. Es stellen sich Fragen: Was kann auch künftig Frucht bringen? Was ist uns zum Ballast geworden, der neue Frucht verhindert? Es gilt die Weinblüte nicht zu übersehen! Wo kann Neues entstehen und wie kann es gepflegt werden, dass reiche neue Frucht gedeihen kann?
Das heutige Evangelium spricht von reicher Frucht. Es erwähnt aber keine Messkriterien. Was ist genau reiche Frucht? Dies zu beurteilen, liegt in der Verantwortung des Winzers – bei Gott. Ist der Geschmack einer reichen Frucht süß oder kann er auch etwas säuerlich sein? Es geht bei der reichen Frucht nicht darum, einen Leistungsdruck aufzubauen oder um Aktionismus, denn der Weinberg braucht auch seine Ruhephasen, eine Zeit, in der sich die Kraft in den Weinstock zurückzieht, damit nach dem Winter wieder sachte neue Reben entstehen können.
Wir sollen uns bemühen zu geben, was wir geben können. Auch hier kommt noch ein entlastendes Bild dazu. Eine Rebe alleine ergibt keinen Wein. Nur mit anderen Reben zusammen entsteht Wein. Er ist eine Mischung aus großen und kleineren Trauben, aus süßeren und säuerlichen – es ist die gute Mischung und die Reifung in den Fässern, die herausragenden Wein entstehen lässt.
Wenn die Frucht reif ist, kommt die Ernte. Bei der Ernte schneidet der Winzer mit der einen Hand die Traube ab und mit der anderen Hand fängt er sie sachte auf. Eine Fachzeitschrift meint, es sei ein sanfter Umgang fast wie mit Samthandschuhen notwendig. Die mühsame und sanfte Ernte liegt in den Händen Gottes. Wenn wir also gegeben haben, was uns möglich war – in der Beziehung mit dem Weinstock Jesu geblieben sind – fallen wir am Ende sachte in die Hand Gottes und mit all den anderen Reben, die ihre eigenen Qualitäten miteinbringen, werden wir heim getragen und dürfen „Wein“ werden.
Wenn Sie den Text der 1. Lesung aus der Apostelgeschichte anhören möchten:
Wenn Sie den Text der 2. Lesung aus dem ersten Johannesbrief anhören möchten:
Wenn Sie den Text des heiligen Evangeliums nach Johannes anhören möchten:
3 Kommentare zu “Teil eines großen Ganzen 1. Lesung: Apg 9,26-31|2. Lesung: 1 Joh 3,18-24|Evangelium: Joh 15,1-8”
Lieber Erich,
Deine Worte sind einfach immer so richtig, war und weise und machen uns die heilige Schrift auch für die heutige Zeit verständlich, es sind Worte der Zuversicht die wir alle so dringend brauchen!
An diesem Evangelium bzw. Joh. 15 spricht mich besonders die ca. 12malige Wiederholung des Wortes „bleiben“ an. Im alltäglichen Sprachgebrauch drückt es oft mehr eine zeitliche Dimension aus gemäß „bleibe noch 1 Stunde“.
Jesus meint aber wohl eine Tiefendimension und vor allem “Beziehung“. Für mich übersetze ich deshalb jeweils: „habe eine Bleibe“ und „beheimate dich“ in mir wie ich in dir.
Dadurch entsteht Dialog, ein Gefühl der Zugehörigkeit und – wie im Beitrag am Ende so treffend formuliert – ein Bewusstsein, dass wir Teil eines großen Ganzen sein dürfen.
Danke
Herzlichen Dank für den Hinweis auf die 12malige Wiederholung des Wortes “bleiben”. Das regt an darüber nachzudenken.