Türen öffnen 1. Lesung: Jes 63,16b-17.19b; 64,3-7 | 2. Lesung: 1 Kor 1, 3-9 | Evangelium: Mk 13,24-37
„Türen öffnen“ – mit diesem Thema, mit diesem Bild gehen wir in den Advent. Türen öffnen ist verbunden mit der Frage: Was lassen wir herein? Welchen Geist? Welche Fragen? Welche Ängste? Welche Themen? Welche Ängste oder Wünsche? Welche Gewohnheiten? Ist meine Herzenstür offen oder geöffnet für Gott oder für die Menschen neben mir?
Wir beginnen ein neues Kirchenjahr. Es ist ein unscheinbares Tor, durch das wir mehr oder weniger bewusst gehen. Dazu sind uns die biblischen Texte dieses Sonntags gegeben, die uns deuten helfen, welche Tür uns von Gott her offen steht. Ich orientiere mich an Paulus, an seinem Brief an die Korinther. Es ist der Anfang des Briefes. Bereits mit dem Gruß deutet Paulus an, in welchen Raum wir als Christen eingetreten sind:
Zunächst zur Situation in Korinth: Es war die zweitgrößte Stadt im römischen Imperium. Sie hatte ein riesiges soziales Gefälle. Es gab viele Arme, nicht zuletzt bei den Christen. Es zählten z. B. Sklaven und Sklavinnen dazu. Soziale Missstände gefährden allemal den Charakter der Menschen: Korruption, Prostitution, Diebstahl, Ausgrenzung …sind Folgen. Es gab in Korinth weiters religiöse Spannungen, Parteiungen und Spaltungstendenzen. Es gab nüchterne, aber ebenso religiöse Schwärmer, die sich als die wahren Christen vorkamen.
Paulus schreibt an die Gemeinde unter welchem Vorzeichen die Gemeinde steht, durch welche Tür er auf die Gemeinde blickt:
„Gnade euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus!“ Und er wiederholt ein wichtiges Wort gleich nochmals: „Ich danke meinem Gott allezeit um euretwillen wegen der Gnade Gottes, die euch gegebenen in Christus Jesus, dass in allem ihr reich wurdet in ihm …“
Paulus hat den üblichen Gruß, wie damals Briefe eingeleitet wurden, übernommen. Neu hinzugekommen ist bei ihm: die Gnade. Gnade euch von Gott. Ihr steht unter der Gnade. Gott ist euch gut. Ja, Gott macht euch reich. Paulus fügt ausdrücklich an: Reich in allem.
Die Gemeinde in Korinth war alles andere als eine Mustergemeinde. Er hatte, wie der weitere Verlauf des Briefes zeigt, vieles aufzuarbeiten oder – man könnte auch sagen – zu kritisieren. Es gab ebenso Not und trotzdem sagt Paulus zu ihnen: Die Gnade Gottes hat euch reich gemacht.
Im Raum der Gnade stehen. Gnade als unser Vorzeichen.
Christen sind Menschen, die sich beschenkt wissen. Vielleicht ist das eines der schwierigsten Lernschritte, die wir im Glauben zu leisten haben, bzw. leisten können: Das Leben verstehen lernen als von Gott reich beschenkt.
Das Leben selbst ist ein Geschenk. Es ist alles andere als selbstverständlich, dass ich leben kann und darf. Weiter: Wie viele Menschen arbeiten täglich für mich? Angefangen vom Straßenarbeiter, der die Wege und Abfallkörbe sauber hält, über die vielen Verkäufer und Verkäuferinnen, die beraten und bedienen, über die Menschen, die mich grüßen, dir mir Wohlwollen entgegen bringen, die für die Lebensmittel sorgen – vom Bauer bis zur Einsortiererin – und die ich mit einer Selbstverständlichkeit einkaufe; bis hin zu den vielen Bereitschaftsdiensten von Menschen in der Nacht: Polizisten, Ärzte, RotkreuzmitarbeiterInnen … Unser Blick ist oft vom Defizit geleitet, d.h. man sieht vor allem das, was nicht ist und was womöglich noch sein könnte oder scheinbar müsste. Es wird nicht das geachtet, was ist oder was Menschen tun, sondern zunächst oft bemängelt, was sie schuldig bleiben und nicht vermögen. Dieser defizitär geleitete Blick wirkt vielfach zerstörerisch und entmutigend.
In allem wendet sich uns Gott zu. Wir sind vielfach Beschenkte, Begnadete. Ähnliches können wir bei der Verkündigungsszene zwischen dem Engel und Maria entdecken. Maria wird als Begnadete angesprochen, obwohl sie in einer äußerst schwierigen Situation steht. Sie darf sich der Zuwendung Gottes gewiss sein, das gibt ihr die Kraft und den Mut, zum Kind Ja zu sagen. Wer sich in der Sorge Gottes weiß, kann über sich selbst hinaus wachsen. Wer sich in der Sorge Gottes weiß, der hat einen weiten Horizont und ahnt Wege und Möglichkeiten, die anderen verschlossen sind.
Paulus hat noch einen anderen Grund für diesen Blick: Gnade euch von Gott. Ja, es gibt Not, Spannungen, Schwierigkeiten und Probleme in der Gemeinde. Sie haben aber zugleich die Charismen, die Gaben und die Fähigkeiten, diese zu bearbeiten. Sie sind in der Gemeinde reich an den unterschiedlichsten Begabungen, um Nöte zu lindern, um Spannungen zu lösen, Konflikte zu klären, um eine lebendige Gemeinde zu bilden, sich gegenseitig zu helfen, einander zu ermutigen und aufzubauen. Wo Menschen ihre Begabungen nicht zum eigenen Vorteil, sondern in den Dienst der Gemeinschaft und der Gemeinde stellen, da wird ein anderer Reichtum sichtbar und erfahren. Was wir schenken kommt irgendwie als Geschenk zurück – das Wesen der Gnade. Leben im Geist Jesu macht reich.
Ferner schreibt Paulus: Ihr werdet am Ende schuldlos sein. Gott hat mit euch großes vor. Es gibt noch Schwächen und Unzulänglichkeiten, aber die Gnade Gottes arbeitet an euch und mit euch, dass ihr bestehen könnt, unverletzliche Würde zukommt.
Menschen, die aus dem Wort und Geist Jesu leben und ihre Begabungen einander zur Verfügung stellen, erleben einen anderen Reichtum als nur viel Geld oder Besitz, Macht oder Einfluss. Solche Menschen werden reich an Beziehungen, erfahren sich als Beschenkte, bleiben einfach, vielleicht auch arm und sind dennoch reich.
Ein letzter Gedanke: Paulus hält fest: Es fehlt euch an keiner Gnadengabe. Es fehlt euch auch nicht die Gabe der Solidarität, der Organisation, auch nicht die Gabe der Leitung. Mit anderen Worten: Paulus hat der Gemeinde von Korinth nicht eine Leitung von außen (zölibatären Mann) gegeben, sondern hat die Leitung der Gemeinde in der Gemeinde selbst gesehen, auch das Vorstehen der Eucharistie.
Türen öffnen mit Blick auf das, was uns alles geschenkt wird im Glauben, durch Menschen – es sei ein Gedanke, der uns durch den Advent begleite, damit Gott in uns neu geboren werde. Türen öffnen – ein Thema für die Gemeinde, für die Kirche und die Ämterfrage.
Ein Kommentar zu “Türen öffnen 1. Lesung: Jes 63,16b-17.19b; 64,3-7 | 2. Lesung: 1 Kor 1, 3-9 | Evangelium: Mk 13,24-37”
Im Seelsorgeraum Katholische Kirche in Dornbirn wurde für den Advent das Leitthema „Türen öffnen“ ausgewählt.
Die Predigt nimmt Bezug auf den Lesungstext des 1. Adventsonntags. Das Evangelium beinhaltet den einzig apokalyptischen Bezugspunkt des Markusevangeliums: Das Kommen des Menschensohnes.
Im Islam gibt es die Tradition der Derwische. Sie leben eine mystische Form des Islam. Das persische Wort für „darvish“ heißt „an der Türe stehen“. Ich finde dies eine überaus schöne Beschreibung für einen spirituellen Menschen – ein Mensch der an der Türe steht. Er kann in dieser Stellung zwischen diesen beiden Welten Vermittler und Botschafter sein.