Über Chaosfluten gehen 1. Lesung: 1 Kön 19,9ab.11b-13 | 2. Lesung: Röm 9,1-5| Evangelium: Mt 14,22-33
Es ist ein merkwürdiges Evangelium mit vielen Aspekten. Einigen möchte ich nachgehen, weil sie in meinen Augen Licht auf Gegenwärtiges werfen.
Ein erstes Thema: Was lässt über Chaosfluten – stürmischen See – gehen? Was trägt, wenn jemandem der feste Boden unter den Füssen entzogen ist oder wird? Jesus kommt über die Chaosfluten den Jüngern entgegen. Er hatte sich davor auf einen Berg zurückgezogen und gebetet. Der Berg als Ort der Nähe Gottes, Beten im Sinn von sich sammeln und das Üben aus der inneren Mitte zu leben.
Die Evangelien erzählen, dass Jesus oft in den Synagogen ist, um zu beten, die Thora zu hören, sie zu diskutieren und zu lehren. Sie ist der Ort des gemeinsamen Gebetes. Jesus betet aber auch allein. Gerade wenn es um wichtige Entscheidungen geht: Vor der Berufung der Jünger, in unserer Szene, in der Ölbergnacht – um wenige zu nennen.
Als Jesus in der vierten Nachtwache – d.h. gegen Morgen hin – auf dem See entgegenkommt, meinen die Jünger, ein Gespenst zu sehen. Jenen, mit denen er so eng zusammen lebt, wirkt er gespenstisch, fremd. Sie erschraken und schrien vor Angst. Wohlgemerkt: es handelt sich nicht um das Volk, sondern um die Jünger.
Nachdem sie ihn erkannten, geht – wie öfters – Petrus voran und ruft ihm zu: „Wenn du es bist, so befiehl, dass ich auf dem Wasser zu dir komme! Jesus sagte: Komm! Petrus geht über die Chaosfluten auf Jesus zu. Als er aber den heftigen Wind bemerkte, bekam er Angst und beginnt unterzugehen.
Petrus, Fels, so heißt er, beginnt zu sinken als sein Blick von Jesus weg geht und sich den widrigen Winden und Umständen, den Wogen und Wellen zuwendet. Jetzt schreit er allein: Herr rette mich.
Es wird hier offensichtlich, wie sehr Jesus seine Jünger schult. Am letzten Sonntag, wollen sie am Abend die Leute wegschicken. Jesus hält entgegen: Nein. Gebt ihr ihnen zu essen! Heute ist es stellvertretend Petrus, der auf neue Weise Jesus kennenlernt. Es ist ihm gegeben, über das Wasser bzw. Chaosfluten zu gehen. Er vermag es nicht aus sich. Es bedarf des Blickes auf Jesus und wir dürfen dazu denken: den Blick auf den Auferstandenen.
Der Evangelist Matthäus schreibt sein Evangelium so zwischen 70 und 80 n.Chr. Im Bild des Bootes dürfen wir die angeschriebene Gemeinde sehen, die fürchtet unterzugehen. Er ermutigt sie zum Blick auf den Auferstandenen. Der, der am Karfreitag untergegangen schien, aber nun als „Herr“ lebt, er kommt ihnen gerade in den Nächten entgegen und streckt ihnen die Hand entgegen – in Situationen, in denen sie scheinbar alle Kräfte verlassen und nur er retten kann.
In meinen Augen gilt es dieses Evangelium zu verinnerlichen. Das, was wir heute Kirche nennen, erlebt stürmische Zeiten. Sie verspürt Gegenwind. Unterschiedlichste Wogen und Wellen sind über sie herein gebrochen oder brechen über sie herein: Der Missbrauch hat die Glaubwürdigkeit erschüttert. Der Umgang mit den Frauen macht sie als Institution gestrig. Ihre monarchisch, klerikal, männerzentrierte Verfasstheit ist für viele Menschen nicht mehr anschlussfähig. In Konflikten gibt es kein verlässliches Verfahren, das die Rechte etwa der Gläubigen geregelt odersichern würde. Man ist abhängig vom Wohlwollen (Willkür) eines Klerikers (Bischofs oder Priesters).
In den letzten Wochen hat die Klerus Kongregation eine Instruktion erlassen mit dem Titel: „Die pastorale Umkehr der Pfarrgemeinde im Dienst an der missionarischen Sendung der Kirche“. Vielleicht haben manche davon gehört oder Kommentare dazu gelesen. Es ist zum ersten Mal, dass mich ein Schreiben, das von unserem Papst Franziskus unterzeichnet ist, den Kopf schütteln lässt.
Das Schreiben beginnt verheißungsvoll. Es gibt allerdings selbst keinen eindeutigen Grund an, warum es geschrieben wurde?Der Grund dürfte eine Reaktion auf verschiedene Strukturreformen in mehreren Diözesen sein, in denen mit Blick auf die priesterliche Personalentwicklung und der finanziellen Situation versucht wurde, weiterhin eine möglichst flächendeckende Pastoral, bzw. Seelsorge zu gewährleisten. Bei dieser Neuordnung ist das bestehende Kirchenrecht ein Problem. Es wurde von Johannes Paul II. anfangs der achtziger Jahre erlassen und blieb bereits damals leider hinter dem II. Vatikanischen Konzil zurück.
Es wäre dringlich, dass das Kirchenrecht den veränderten Gegebenheiten und Herausforderungen angepasst würde. Die Instruktion ist den umgekehrten Weg gegangen und mahnt deren Einhaltung ein. Zudem fordert die Instruktion, dass Umstrukturierungen im Dialog mit den Betroffenen in den Pfarren erfolgen sollen, die Kongregation selbst hat das Schreiben ohne einen solchen auf ihrer Ebene verfasst.
Was noch neu hinzukommt: Die Corona-Pandemie hat unabsehbare Auswirkungen auf die Kirche. Sie wird die eine oder andere Veränderung beschleunigen oder herausfordern. Es mögen gute Früchte zu erwarten sein, aber auch die eine oder andere ungewünschte Überraschung.
Damit wir uns nicht verlieren: Es sind die Jünger, die ein Gespenst sehen wo keines ist, sondern ihnen der Auferstandene entgegen kommt. Es ist Petrus, der über die Chaosfluten gehen kann, solange er den Blick auf Jesus den Auferstanden richtet.
Wir als Kirche sind in einer Umbruchsphase. Die Gestalt der Kirche verändert sich, darf sich verändern und wird sich verändern. Vielleicht in einer Weise, die uns denken lässt: Es ist für mich gespenstisch.
Das Evangelium sagt uns: Jesus, der Auferstandene kommt in der Nacht zu uns, vielleicht erst spät in der Nacht. Er streckt die Hand jenen entgegen, die rufen: Herr, rette mich. Über Chaosfluten wird gehen, die oder der das Gebet pflegt, immer wieder von neuem das Leben aus der inneren Mitte heraus lebt. Zentral bleibt ferner: Der Blick auf Jesus. Das Hören auf sein Wort, auf Gottes Wort.
Wenn Sie den Text der 1. Lesung aus dem 1. Buch der Könige anhören möchten:
Wenn Sie den Text der 2. Lesung aus dem Brief des Apostel Paulus an die Römer anhören möchten:
Wenn Sie den Text aus dem heiligen Evangelium nach Matthäus anhören möchten:
2 Kommentare zu “Über Chaosfluten gehen 1. Lesung: 1 Kön 19,9ab.11b-13 | 2. Lesung: Röm 9,1-5| Evangelium: Mt 14,22-33”
Lieber Erich,
herzlichen Dank für deine erläuternden Ausführungen und Gedanken, sie sind – wie jeden Sonntag aufs Neue – einfach wertvoll, wohltuend und ein ganz wichtiger Impuls! Danke dir!
Es braucht wahrlich Vertrauen, in den Stürmen des Lebens jene Hand zu ergreifen, welche Jesus uns Menschen entgegenhält und auch ein genaues Hinhören, um im Säuseln des Windes Gottes Anwesenheit (in Stille) zu vernehmen.
Vielleicht muss aber noch so manches Kirchenschiff in unserer Zeit in Seenot geraten, bevor Suchende und Hörende auf geeignete Hirtinnen und Hirten stoßen, welche in der Lage mit ihren Talenten Gottes Wort zu verschenken. Ich kenne jedenfalls Frauen und Männer, welche unabhängig von ihrer Berufung, hilfreiche Zeichen zu setzen in der Lage wären. Menschen, welche mich immer wieder in Staunen versetzen. Es wäre an der Zeit, mutig auch nach diesen Händen Ausschau zu halten, um unserer Kirche einen neuen “Anstrich” zu geben. Einen Anstrich, der dem Schiff einen unsinkbaren Charakter verleiht.