Warum nicht Pontius Pilatus? Sabine Pemsel-Maier über Begegnungen mit dem Auferstanden
Warum hat Jesus sich nicht nach seiner Auferstehung dem Statthalter Pontius Pilatus oder den Hohepriestern gezeigt und ihnen ordentlich „eingeheizt“? Diese Frage beschäftigte mich viele Jahre – bis mir deutlich wurde: Den Auferstandenen konnten nicht alle möglichen Leute sehen, sondern nur diejenigen, die sich mit ihm schon zu Lebzeiten in besonderer Weise verbunden wussten. Es ging gewissermaßen um ein „gläubiges Sehen“. Und die meisten, denen eine solche Erfahrung zuteilwurde, erkannten ihn zunächst entweder gar nicht oder erschraken als erstes „und hatten große Angst, denn sie meinten, einen Geist zu sehen“ (Lk 24,37). Das ist nur menschlich: Wer hat schon Erfahrungen mit Personen, die gestorben und plötzlich wieder auf geheimnisvolle Weise präsent sind? Doch die Erscheinungen des Auferstandenen haben nichts mit einem Geist zu tun, sondern mit einer göttlichen Offenbarung. Darauf weist das griechische Wort „ofte“ hin, das in allen diesen Erzählungen vorkommt (vgl. auch 1 Kor 15,3–5; Apg 9,17; 13,31; 26,16) und das passivisch mit „er wurde gezeigt“, aktivisch mit „er ließ sich sehen“ oder „er erschien“ übersetzt wird. Ein ähnliches hebräisches Wort findet sich auch in der Erzählung der Gottesoffenbarung vor Mose im brennenden Dornbusch (Ex 3,2).
Die Begegnungen mit dem Auferstandenen machten die betreffenden Personen absolut gewiss, dass Jesus nicht im Tod geblieben ist, sondern lebt. Nicht das leere Grab bewirkt diese Gewissheit, weil ja auch denkbar gewesen wäre, dass die Jünger Jesus heimlich herausgeholt haben (Mt 27,64; 28,11–15; Joh 20,13), sondern die Erscheinungen. Sie darum zu bloßem Wunschdenken oder Einbildung zu erklären, greift zu kurz. Die Gewissheit, die damit nach dem ersten Schrecken verbunden ist, ist Anlass zur Freude (Lk 24,13–35.41.52; Joh 20,20). Die Rückkehr in die Hauptstadt, aus der die Jünger kurz zuvor voller Angst geflüchtet waren und in der Petrus Jesus Christus verleugnet hatte, markiert die Umkehrbewegung, die die Voraussetzung ist für alles Nachfolgende: für die Verkündigung des Evangeliums, für den Empfang des Geistes, der der Geist Gottes und der Geist Jesu Christi zugleich ist, für Pfingsten, für den Beginn von Kirche. Was auf den ersten Blick als gespenstischer Geist erschien, erweist sich als Gottes eigener, belebender und schöpferischer Heiliger Geist, der den Auferstandenen zur bestimmenden neuen Wirklichkeit werden lässt.
Immer sind die Erscheinungen Jesu Christi mit einer Sendung verbunden: mit dem Auftrag, die frohe Botschaft von der Auferstehung weiterzusagen, wie er an Maria von Magdala ergeht (Joh 20,17f), mit dem Auftrag, in die ganze Welt hinaus zu gehen, das Evangelium allen Geschöpfen zu verkünden (Mk 16,15; Mt 28,16–20) und Sünden zu vergeben (Joh 20,23), mit der Sendung der Zeugen (Lk 24,48) bis an die Grenzen der Erde (Apg 1,8). Wie schon so oft in der Geschichte erweist sich die Zuwendung und die Gabe Gottes an den Menschen als Aufgabe. Darum sind diejenigen, denen Christus erschienen ist, keine Privilegierten, die sich auf ihrer Offenbarungs-Erfahrung ausruhen können, sondern Gesandte und damit Apostel im eigentlichen Sinn des Wortes – das griechische „apostolos“ heißt nichts anderes als „Gesandter“. Darum verlieh der Kirchenvater Hippolyt an Maria von Magdala den Ehrentitel „apostola apostolorum“ („Apostelin der Apostel“), der in späteren Jahrhunderten in Vergessenheit geriet und erst in der Gegenwart wiederentdeckt wurde. Darum machte Paulus, der Jesus selbst nicht kannte, als Ausweis seiner Apostolizität geltend, dass ihm eine Erscheinung des Auferstandenen zuteil geworden war und er zu Recht Apostel genannt werden durfte. Die Menschen, die sich vom auferstandenen Christus angesprochen wissen, kommen ihrer apostolischen Berufung nach: Maria von Magdala, eine Frau, deren Wort in der damaligen Gesellschaft nichts galt, geht und verkündet. Petrus, der ehemalige Leugner, wird zum wortgewaltigen Prediger, der auch die Konfrontation mit dem hohen Rat nicht scheut und sich nicht mundtot machen lässt (Apg 2,14–4,22). Andere Jünger führen Scharen von Menschen zum Glauben, heilen und vergeben Sünden (Apg 5,12–16). Alle, die dem Auferstandenen begegnet waren, wussten sich von einer Kraft erfüllt, die Mauern überspringen lässt.
Die Zeit der Erscheinungen war begrenzt. Bleibt uns Heutigen nur der neidvolle Blick in die Vergangenheit? Dass sich christliches Leben weder darin erschöpft, „empor zum Himmel“ (Apg 1,11) noch bloß zurück zu schauen, daran lässt das Neue Testament keinen Zweifel. Weil die Erscheinungen in ihrem Kern Begegnungen waren, gilt es vielmehr, für solche Begegnungen mit dem Auferstandenen und der Wirklichkeit der Auferstehung in der Gegenwart und der eigenen Lebenswelt offen und sensibel zu sein. Sie können weder initiiert noch eingefordert werden, sind nicht mach- und nicht einklagbar. Wohl aber müssen sie wahrgenommen und entdeckt werden. Dem auferstandenen Christus können wir begegnen, wenn wir nach langer Resignation Hoffnung schöpfen, nach innerlicher Lähmung in Bewegung kommen, nach Streit und Konflikt Versöhnung anbieten, wenn sich vordergründige Schwäche in Kraft verwandelt und scheinbare Aussichtslosigkeit in Zukunft. Dann dürfen wir dem Neuen, das da erwächst, auch trauen, es nicht für eine geisterhafte Erscheinung halten, sondern für das Wirken des Geistes Gottes und eine Erscheinung des auferstandenen Christus, der das Leben verheißt.
Sabine Pemsel-Maier, Professorin für Katholische Theologie/Religionspädagogik, PH Freiburg
Dieser Artikel ist erstmals in der Zeitschrift „Dein Wort – Mein Weg“ – Alltägliche Begegnung mit der Bibel in der Ausgabe 2/19 publiziert worden.