Gottes Offenbarung in den Realitäten des Lebens 1. Lesung: Jer 38,4-6.8-10| 2. Lesung: Hebr 12,1-4| Evangelium: Lk 12,49-53
„Wehrkraftzersetzung“ – diesen Vorwurf hätte Jeremia getroffen, wäre er in der NS-Zeit aufgetreten. Er lähme die Kampfkraft und den Kampfwillen seiner Leute. Er wurde auch damals, knapp 600 Jahre v. Chr. in eine Zisterne geworfen, mit der Absicht, ihn zu töten. Der Prophet Jeremia tritt hier vor der babylonischen Gefangenschaft auf. Er kündet Gottes Wort und erklärt, die Eroberung durch die Babylonier sei Gott gewollt und stellt sich damit gegen die Bündnispolitik des Königs und seiner Berater. Er schaut der Realität ins Auge und unterliegt nicht einem verführerischen Wunschdenken, mit Hilfe eines Partners (Ägypten) die Eroberung verhindern zu können. Im Namen Gottes trägt er dem König Zidkija auf, mit den angerückten Babyloniern zu verhandeln. Jeremia will verhindern, dass tausende Unschuldige in einer Schlacht sterben und die Stadt Jerusalem niedergebrannt wird. Auf Jeremia wurde nicht gehört.
Zwei, drei Gedanken im Anschluss zu dieser Lesung:
Jeremia lehrt uns, dass sich Gott in den Realitäten und durch die Realitäten des Lebens offenbart. Es gibt keine Gründe, die Realität zu beschönigen, zu übergehen oder zu leugnen.
Es gilt für die Kirche und ebenso für die Welt. Zu dieser Realität zählen auch die Veränderungen, die wir in der Kirche, Gesellschaft und Welt erleben. Um einige zu nennen: das neu gewachsene demokratische Grundverständnis, die gleiche Würde der Geschlechter, die Auswirkungen auf die Beziehungen durch die neuen Kommunikationsmittel, das aufgeklärte Denken in allen gesellschaftlichen Schichten, ein verändertes Autoritätsverständnis. Es gibt zugleich neue Herausforderungen, wie: die Klimaerwärmung, die Migration, unsere alternde Gesellschaft, die gerechte Verteilung der Güter und Lebenschancen … Realität ist auch: Es gibt ein großes Bedürfnis nach Spiritualität, nach Lebenssinn, nach Gerechtigkeit, versöhntem Leben und Gemeinschaft.
Diese Realitäten, Spannungen, Herausforderungen und Veränderungen rufen nach Antworten. Wir haben manches neu zu denken, nicht zuletzt betrifft es die Gestalt der Kirche, denn der zölibatäre Mann als Priester wird in Zukunft nicht mehr in gleicher Weise, wie wir das in den letzten Jahrzehnten gewohnt wurden, der Träger der Kirche sein.
Die Erfahrungen Israels in der babylonischen Gefangenschaft können dabei sehr behilflich sein. Israel verlor den Tempel, die gesamte Priesterschaft und das Volk lebte als Mägde und Sklaven in einem fremden Land. Als Glaubensgemeinschaft mussten sie sich neu organisieren. Es wurde der Sabbat als neues Integrationselement eingeführt. Anstelle des Tempels trafen sich die Menschen in den Häusern, in den Synagogen. Als leitendes Organ wurde der Ältestenrat gegründet. Wir werden den Tod einer bestimmten Gestalt von Kirche erleben, vielleicht dürfen wir mit Jeremia feststellen: Gott gewollt. Damit zum Beispiel der Klerikalismus unter den Amtsträgern und im Volk überwunden wird und wir neu den Schatz der Verkündigung, der Liturgie, des Gebetes und der Diakonie in der Gemeinde entdecken. Als Gemeinde sind wir Kirche.
Wir dürfen davon ausgehen, dass Gott heute nicht weniger als vor zehn, fünfzig oder hundert Jahren wirkt. Es wird weiter Glauben und das Bedürfnis nach Spiritualität im Volk geben, weil es den Menschen von Gott ins Herz gelegt ist. Und jede Generation muss auf die großen Lebensfragen Antworten geben. Die Verantwortung gegenüber kommenden Generationen fordert es. Wir werden einen neuen Lebensstil zu lernen haben. Die Kirche wird eine andere Gestalt annehmen – bitte ohne zu werten, ob besser oder schlechter: vermutlich ist sie bescheidener, verbeult, schmutzig … (wie Papst Franziskus immer wieder hinweist). Eine große Frage wird sein: Wie gelingt die Vergemeinschaftung des Glaubens? Glaube braucht Gemeinschaft. Als einzelner kann man auf Dauer wenig bis gar nichts ausrichten. Wir sind als Glaubende gefordert, Gottes Spuren in den Realitäten unserer Zeit zu deuten. In der babylonischen Gefangenschaft glaubte Israel zunächst, von Gott verlassen zu sein. Im Nachhinein zeigte sich, dass es gerade diese Zeit war, in der sie Gott in besonderer Weise getragen hat.
In der Lesung hörten wir noch die Anmerkung, dass ein Kuschiter, ein Fremder, ein schwarzer Sklave, ein Mann aus Äthiopien beim König intervenierte und erreichte, dass Jeremia dem sicheren Tod entgeht. Die Bibel geht an diesem Faktum nicht vorbei. Sie erwähnt es und hält dem Volk einen Spiegel vor: Der Gottesmann Jeremia wäre von den eigenen Leuten umgebracht worden. Ein Fremder, ein Schwarzer, ein Sklave hat ihn gerettet.
Noch eine Überlegung zum Evangelium. Es fordert ja ebenso heraus. Zu bedenken ist, dass Jesus auf dem Weg nach Jerusalem ist. Er ahnt die bevorstehende Konfrontation. Es gab damals unterschiedliche Strömungen und Gruppen. Die Zeloten gingen mit der Besatzungsmacht, den Römern auf totalen Konfrontationskurs. Andere – wie die Pharisäer oder Sadduzäer – wählten einen Weg, mit ihnen möglichst nicht anzustoßen, so nach dem Motto: ja nicht auffallen, ja keinen Konflikt, damit wir in Ruhe gelassen werden.
Jesus bewegt sich inmitten dieser Spannungen und Auseinandersetzungen. Ich bin gekommen, Feuer auf die Erde zu werfen. Wie froh wäre ich, es würde schon brennen! Einen solchen Satz gilt es im gesamten Kontext eines Lukas zu lesen, sonst könnte er leicht missverstanden werden. Jesus beginnt das Wirken in der Synagoge in Nazareth mit dem Zitat aus Jesaja: Ich bin gekommen, den Armen eine gute Botschaft zu bringen, den Gefangenen Freiheit … und um ein Gnadenjahr des Herrn auszurufen (Lk 4,18f). Dann wissen wir um die Gleichnisse vom verlorenen Sohn oder vom verlorenen Schaf und der verlorenen Drachme (Lk 15) oder dem barmherzigen Samariter (Lk 10). Wir wissen um das Pfingstereignis, wo sich Feuerzungen auf jeden niederließen (Apg 2).
Dieses pfingstliche Feuer, dieses Feuer der Liebe: Wie froh wäre ich, es würde schon brennen! Jesus fährt dann fort: Ich muss mit einer Taufe getauft werden und ich bin sehr bedrückt, solange sie nicht vollzogen ist.
Die Liebe kennt keinen faulen Frieden, kein Duckmäusertum, keine halben Sachen, besonders wenn es um das Recht und die Würde armer und bedrängter Menschen geht. In solchen Situationen kennt Jesus keine Kompromisse, da spitzt er zu und fordert heraus. Er geht nicht gegen Leib und Leben vor. Das ist ihm fremd. Das Feuer der Liebe und der Gerechtigkeit möge brennen, damit alle in Würde leben können.
Jesus steht in der Tradition des Jeremia.
Ein Kommentar zu “Gottes Offenbarung in den Realitäten des Lebens 1. Lesung: Jer 38,4-6.8-10| 2. Lesung: Hebr 12,1-4| Evangelium: Lk 12,49-53”
Wie lange wird es mit uns, mit mir, gehen, bis ich den Mut gefunden habe dieses Feuer zu entfachen? Wann finde ich endlich den Mut auf meine “alten Tage” hin, den Streit anzuzetteln, welcher eine Änderung zumindest für das Leben meiner Kinder und Kindeskinder bewirkt? Wann setze ich meine von Gott geschenkten Talente ein, die zumindest ein Anfang bedeuten könnten? Glaube ich an die Rettung durch einen Kuschieter, der mich aus dem morastig schlammigen Brunnen befreit? Herr, ich glaube, hilf meinem Unglauben !