Wirken im Kleinen und Unscheinbaren 1. Lesung: Sach 9,9-10 | 2. Lesung: Röm 8,9.11-13| Evangelium: Mt 11,25-30
Es sind zwei Themen des Evangeliums, auf die ich ein Augenmerk legen möchte: Einmal ist es die persönliche Situation Jesu – er befindet sich in einer Krise – und sein Umgang mit der Notsituation der vielen.
Zum ersten Thema: Dem Evangelium gehen Weherufe Jesu über verschiedene Städte Galiläas und deren Untergang voraus. In den Städten hat er bisher hauptsächlich gewirkt: das Evangelium verkündet; Menschen von ihren verschiedensten Krankheiten geheilt; sie von Abergeistern und Dämonen befreit. Aber viele haben verstockte Herzen. Ihr Glaube bleibt in den gewohnten, alten Schienen. Wie ein Zwischenruf wirken da die Sätze: „Ich preise dich, Vater, …, weil du all das den Weisen und Klugen verborgen, den Unmündigen aber offenbart hast. Ja, Vater, so hat es dir gefallen“.
Jesus setzt damit einen Kontrapunkt – ich möchte sagen: auch für sich. Er muss zur Kenntnis nehmen, dass es nicht so läuft, wie er sich seine Sendung gedacht hatte. Die Angesprochenen ziehen weder innerlich noch äußerlich mit. Nicht wenige, die bisher mitgezogen sind, verlassen ihn. Mitten in der Enttäuschung, in die wachsende Ablehnung und dem misslungenen Versuch, etwas verändern zu können, sieht er Gott dennoch am Werk. Die Unmündigen und Kleinen beginnen die Botschaft zu begreifen. Unter ihnen wächst ein Kreis von Personen, die Feuer fangen und sich begeistern lassen. Es sind wenige, überwiegend kleine und für viele unmündige Menschen.
Es ist eine wichtige Fähigkeit für einen einzelnen Christen und für eine christliche Gemeinschaft, wenn sie in einer „winterlichen“, schwierigen Zeit des Glaubens durchhalten wollen oder müssen, diesen Blick für das Unscheinbare zu bewahren. Große Ereignisse als Zeichen des Wirkens Gottes – wie das Pfingstereignis, der Mauerfall 1989 oder Taizé-Treffen von Jugendlichen – sind eher die Ausnahme. Sein Wirken gilt es im Kleinen und Unscheinbaren wahrzunehmen.
Vielleicht verstellen hin und wieder unsere Erwartungen und Wünsche den Blick für jene Zeichen, in denen sich Gott erkenntlich zeigt. Bei anderen sind es die Fehler und Fehlentscheidungen der Vergangenheit, die dieses Sehen verhindern. Das ehrliche Mühen und der Idealismus der kleinen Menschen zählen für sie nicht. Das, was gelingt, wird als selbstverständlich angenommen.
Es gibt Tag für Tag genug Gründe enttäuscht und frustriert zu sein. Der Glaube zeigt sich für mich wesentlich im Sehen jener Zeichen und Ansätze, in und durch die unerwartet Gutes geschieht und wertvoll Menschliches wächst. Jesus preist Gott für alle Zeichen der Anteilnahme, des Mitgefühls, der Solidarität, der Ermutigungen – mögen sie noch so klein sein. In diesen kleinen Zeichen beginnt Gottes Reich zu wachsen.
Jesus erlebt eine Krise. Es läuft nicht so, wie er gedacht hat und dennoch sieht er die Spuren Gottes gerade in den Werken der einfachen Menschen. Sie lassen ihn Gott lobpreisen.
Der zweite Gedanke: Jesus und die Not vieler. Der Start des „Lockdowns“ Mitte März war seitens der Regierung verbunden mit der Ansage, niemanden zurück lassen zu wollen. Ihr Anliegen dabei war und ist, möglichst allen von den Covid-19-Maßnahmen Betroffenen Unterstützung zukommen zu lassen. Diese Ansage ist inhaltlich nicht weit entfernt von jener, die heute weltweit als Evangelium in der Römisch Katholischen Kirche gelesen wird. Jesus sagt da: „Kommt alle zu mir, die ihr mühselig und beladen seid! Ich will euch erquicken“. Vielleicht ist aber der methodische Zugang doch ein wenig anders?
Jesus spricht in eine Zeit hinein, in der über neunzig Prozent am Existenzminimum lebten, entweder knapp darüber oder auch darunter. Viele waren verschuldet oder sogar versklavt. Die Menschen erlebten zusätzlich die Last einer fremden Besatzung, deren Vorgehensweise oft Gewalt und Willkür bedeutete. Es gab keine internationalen Einrichtungen, die etwa dem Treiben der Soldaten einen Riegel vorgeschoben hätten. Die Situation war am Ende des ersten Jahrhunderts nicht besser, in die der Evangelist zu schreiben hatte.
Es fällt auf, dass Jesus keine Angst vor dieser „armen Masse“ hat. Er spricht sie an mit den Worten: Kommt alle!!! zu mir, die ihr mühselig und beladen seid. Ich will euch erquicken. Man kann natürlich fragen: Was hat er zu geben? Materiell vorerst gar nichts. Er selbst hat leere Taschen. Zu geben hat er den Menschen etwas anderes, nämlich zunächst einmal Würde. Sie sind ihm willkommen – trotz oder gerade in ihrer Armut und Not. Er macht es sich zur Aufgabe, in den Menschen Mut und Hoffnung wachsen zu lassen. Er sieht sie an. Er nimmt sie ernst. Er gibt ihnen bei sich einen Lebensraum und nicht das Gefühl: Ihr seid lästig, ungebetene Gäste und unerwünscht.
Das „Joch“, das er ihnen auferlegt, ist seine Lebensweise: dankbares Teilen dessen, was sie haben; einander mit Achtung und Respekt begegnen; niemanden in seiner oder ihrer Not wirklich zurück zu lassen. Es ist das Lernen eines neuen Mit- und Füreinander. Es ist kein leichter Weg, aber ein leichtes Joch im Gegensatz zu den Jochs, die in der Folge von Gewalt, Kriminalität, Plünderungen, Gefängnis, Spaltung, Hass und Elend auf einer Gesellschaft lasten.
Kommt alle zu mir, die ihr mühselig und beladen seid! Ich will euch erquicken. Dieser Ruf war damals für das religiöse und politische Establishment ein zu starker Tobak. Sie haben den Rufer beseitigt und damit viel Elend in Kauf genommen. Wir werden heute an den Ruf Jesu von damals erinnert: Kommt alle und lernt eine neue Lebensweise: Arme und Reiche, Ureinwohner, Migranten und Flüchtlinge, Frauen und Männer, Kinder und Greise, Habenichtse und Millionäre. Das dankbare Teilen ist eine spirituelle und politische Aufgabe – für heute.
Jesus hat mit den Menschen ein neues Mit- und Füreinander begonnen. Es war ein Neudenken, ein Größerdenken des Gewohnten. Um Massenelend nach der Covid-Krise zu vermeiden, wird es auch ein Neudenken von vielem erfordern. Es wird auch Themen betreffen, die bisher vielleicht als Tabu galten: Reichensteuer, Vermögensteuer, Erbschaftssteuer, aber auch Teilen der Arbeit, eine gewisse Grundsicherung für Menschen u.a.
Auch die Kirche bzw. eine Gemeinde wird über einen solchen Satz nachzudenken haben: Was könnte es heute meinen: Kommt alle zu mir, die ihr mühselig und beladen seid. Ich will euch erquicken.
Wenn Sie den Text der 1. Lesung aus dem Buch Sachária anhören möchten:
Wenn Sie den Text der 2. Lesung aus dem Brief des Apostel Paulus an die Römer anhören möchten:
Wenn Sie den Text aus dem heiligen Evangelium nach Matthäus anhören möchten:
Ein Kommentar zu “Wirken im Kleinen und Unscheinbaren 1. Lesung: Sach 9,9-10 | 2. Lesung: Röm 8,9.11-13| Evangelium: Mt 11,25-30”
Ein großes Kompliment für die Sprecherin. Ich schätze die so angenehme Art ihres Vortrages. Sie „verleitet“ mich, intensiv hinzuhören. Ich werde sympathische angeregt, die Inhalte auch mit Blick auf mein eigenes Dasein zu sehen. Ich fühle mich angesprochen!!!
Ein herzliches Dankeschön!
Es grüßt Sie herzlich
Franz Brugger