Glaube mit offenen Fragen 1. Lesung: Jes 55,6-13 | 2. Lesung: Röm 8,18-23| Evangelium: Mt 13,1-23
Ignaz Philipp Semmelweis lebte von 1818 bis 1865. Er war Gynäkologe und Geburtshelfer. Er entdeckte, dass das Kindbettfieber – und damit der Tod vieler Mütter und Neugeborener – mit fehlenden Hygienemaßnahmen in Verbindung stand. Die Sterberate bei Geburten in Krankenhäusern war damals ungleich höher als bei Hausgeburten. Als er in seiner Abteilung das Waschen der Hände als verpflichtend einführte, sank die Sterberate auf damals ungewohnte ein bis zwei Prozent. Der Widerstand von Arztkollegen und Pflegekräften war groß. Semmelweis wurde von ihnen ohne wirkliche Diagnose in eine Psychiatrische Klinik eingeliefert. Vierzehn Tage später verstarb er auf mysteriöse Weise.
Darüber berichtete ein Beitrag des ORF in der vergangenen Woche. Ich sehe Berührungspunkte zwischen den Schriftlesungen und dem Schicksal des Arztes Semmelweis. Ich komme darauf zurück:
Die Lesung greift das Ende der babylonischen Gefangenschaft auf. Israel wird die Heimkehr erlaubt. Während der babylonischen Zeit wurde in Israel immer wieder die Frage debattiert: Warum kam es zu dieser Verbannung? Was oder wer hatte Schuld daran? Als die babylonische Gefangenschaft nun dem Ende entgegen geht, beginnt der Prophet diese Zeit der babylonischen Gefangenschaft auf neue Weise zu deuten. Er sieht darin nicht mehr Strafe und Schuld, sondern es ist zu einer Zeit geworden, in der Israel Gott neu suchen lernte, und im Grunde zu Gott heimgekehrt ist. Er spricht weiter davon, dass die Gedanken Gottes und Wege Gottes für den Menschen nicht zu ergründen sind. Wörtlich: „So hoch der Himmel über der Erde ist, so hoch erhaben sind meine Wege über eure Wege und meine Gedanken über eure Gedanken“ (V 9).
Es hat sich ein Wandel im Verstehen dieser Zeit vollzogen. In den Anfängen wurde die Gefangenschaft vor allem als Strafe Gottes angesehen, als Folge eines Abfalls von Gott. Der Prophet spricht am Ende dieser Zeit nun davon, dass sie in Babylon Gott auf neue Weise kennen gelernt haben. Israel ist noch weit entfernt, die Gedanken und Wege Gottes wirklich zu kennen, aber die Frage nach Schuld und Schuldigen tritt völlig in den Hintergrund. Israel glaubt mit offenen Fragen.
Und weiter ergänzt der Prophet: Gottes Wort hat in dieser Zeit gewirkt und einen fruchtbaren Boden für eine neue Zukunft geschaffen. Dieses Wort hat wie Regen und Schnee auf den Boden – auf die Lebensrealität – eingewirkt, hat ihn erst fruchtbar gemacht. Statt Dornen wachsen Zypressen, statt Brennnesseln Myrten. Übersetzt könnte es heißen: Statt Korruption wächst Solidarität, statt „Fake News“ wächst Transparenz, statt Rechthaberei Achtsamkeit, statt Terror Gerechtigkeit und Frieden…
In meinen Augen gilt es einen Aspekt in Bezug auf das Wort Gottes besonders hervor zu heben: Regen und Schnee kann man nicht als Besitz anhäufen. Beide entwickeln ihre Wirkung erst dann, wenn sie in das Erdreich eindringen, wenn sie praktisch das Erdreich durchnässen. Erst dann beginnt die verwandelnde Wirkung. Das Wort Gottes beginnt Früchte zu tragen, wenn es in den bestellten Boden eindringt, sich mit meiner Lebensgrundlage vermischt oder vermengt. Dann beginnt es einen Menschen zu wandeln und verwandeln, dann trägt es ungeahnte Früchte: 30-ig, 60-zig, 100-fach.
Im Evangelium hadert Jesus mit der Erfahrung, dass es da Menschen gibt, die die Botschaft hören und die Zeichen sehen, aber sie verstehen es nicht, d.h. es bleibt wirkungslos. Er führt es auf die Herzenshärte zurück. Mit den Gleichnissen versucht er diese Herzenshärte aufzubrechen, damit sie sich diesem wandelnden und verwandelnden Wort öffnen, sich letztlich heilen lassen.
Zurück zu Semmelweis: Er als Prophet seiner Zeit – er wurde beseitigt. Sein Wort hat allerdings nachhaltig weiter gewirkt. Die ungeheure Wirkung ist bis in unsere Zeit geblieben. Ihm verdanken inzwischen viele das Leben. Wir alle verdanken ihm viel. Gottes Wort – das prophetische Wort – tut seine Wirkung, das ist zentrale Botschaft der Schrifttexte dieses Sonntags.
Offen ist die Frage, ob es bei denen gerade eindringt und wirkt, die das Wort gerade hören oder die Zeichen sehen? Der Evangelist schreibt es seiner Gemeinde zur Warnung auf. Lasst euch vom Wort Gottes gleichsam durchnässen, lasst es wie Wasser in das tägliche Leben einsickern, gerade auch in Bereichen, die bisher als gewohnt und selbstverständlich gelten.
Auch diese Corona-Zeit dürfen wir verstehen, in der uns Gott auf neue Weise begegnen will, uns auf neue Weise sucht: Er uns aus manchem Gewohnten und Vertrauten wegruft, um ihn etwa neu in den Covid-Maßnahmen zu suchen: im Abstand halten, im regelmäßigen Waschen der Hände, im Tragen der Masken. Gott lädt uns zur Achtsamkeit gegenüber Menschen, Tieren und der Natur ein.
Auch wenn die Infektionen bei uns gering sind, das Virus ist nach wie vor gegenwärtig. Es bedarf der weiteren Achtsamkeit, um die Infektionszahlen niedrig zu halten. Es ist eine Achtsamkeit und Solidarität gegenüber Risikogruppen. Die Infektionszahlen sind auch deshalb niedrig zu halten, weil die Folgen eines erneuten Shutdowns vor allem junge Menschen, Familien mit Kindern zu tragen hätten. Ihnen gebührt gelebte Solidarität.
Wer Ohren hat, der höre.
Wenn Sie den Text der 1. Lesung aus dem Buch Jesaja anhören möchten:
Wenn Sie den Text der 2. Lesung aus dem Brief des Apostel Paulus an die Römer anhören möchten:
Wenn Sie den Text aus dem heiligen Evangelium nach Matthäus anhören möchten: