Tod der Ägypter durch einen liebenden Gott? Gedanken zu Ex 14f von Erich Baldauf
Am Gründonnerstag wird vom Paschamahl berichtet. Die Israeliten bestreichen die Türposten mit dem Blut der geschlachteten Lämmer, damit sie geschont werden. Bei den Ägyptern kommt jede männliche Erstgeburt bei Mensch und Tier ums Leben (Ex 12f).
In der Osternacht wird der Bericht vom Durchzug durchs Rote Meer gelesen, bei dem das nachziehende Heer der Ägypter in den Fluten umkommt (Ex 14f). Manche fragen: Was hat das überhaupt mit einem liebenden, barmherzigen Gott zu tun, der das Umkommen zulässt? Kann man oder müsste man diese Lesungen nicht weglassen?
Urerfahrung des Glaubens
Vorweg sei festgehalten: Nein, man darf diese Texte nicht weglassen. Sie zählen zu den Urerfahrungen des Glaubens Israels und sind Grundlage der jüdisch-christlichen Tradition. Es ist aber wichtig, sie richtig einzuordnen:
Es ist zu beachten, dass die Erzählungen keine Live-Berichte eines geschichtlichen Ereignisses sind. Es handelt sich um Lehr- und Glaubenserzählungen. Dem Tod der Erstgeburt und dem Durchzug durchs Schilfmeer sind die Verhandlungen des Mose mit dem Pharao und den Plagen vorgelagert. Der Pharao unterdrückt Israel. Er lässt sich von Mose nicht umstimmen, im Gegenteil, er verschärft nach und nach die unterdrückenden Maßnahmen. Er verspricht in jeder Plage, das Volk ziehen zu lassen, nimmt aber jeweils dieses Versprechen zurück. Noch schlimmer, er verrennt sich in seinem Macht- und Rachestreben. Er beschließt als letzte Maßnahme, jede männliche Geburt des israelischen Volkes töten zu lassen. Damit ist das Volk Israel der Zukunft beraubt.
Böses schlägt zurück
Diese letzte Plage, bei der jede männliche Erstgeburt stirbt, erzählt davon, dass das Böse, das ich anderen zufüge, zurück schlägt. Bereits zehn Mal, d. h. mit den zehn Plagen, versuchte Gott den Pharao umzustimmen, von der Unterdrückung und Gewalt abzulassen. Zehn – als Zahl der unendlichen Geduld Gottes – es hat nicht gereicht. Doch auf Dauer duldet Gott weder Gewalt noch Unterdrückung. Es kommt der Zeitpunkt seines Eingreifens, in der Form, dass das angetane Unrecht zurück schlägt. Es stirbt bei den Ägyptern die männliche Erstgeburt, bzw. das Heer kommt in der blinden Verfolgungswut im Meer zu Tode. „Wer das Schwert ergreift, wird durch das Schwert umkommen“ (Mt 26,52), hören wir Jesus zu Petrus sagen. Diesen einen Aspekt wollen die Erzählungen herausstreichen: Gott ist geduldig, aber Gewalt hat keine Zukunft, im Gegenteil, wer den Weg der Gewalt wählt, wird in ihr umkommen. Das ist auch Israel ins Stammbuch geschrieben. Es ist die Botschaft der Osternacht.
Plädoyer für Gewaltlosigkeit
Diese Erzählungen sind sogar ein Plädoyer für Gewaltlosigkeit. Mose und sein Volk dürfen selbst nicht kämpfen. Das auserwählte Volk ist ohne Waffen unterwegs. Mose soll dem Volk mit dem Stab vorausgehen. Gott ist es, der sich schützend vor und hinter sein ausgebeutetes, geschundenes Volk stellt. Gott ist es, der den Weg durch die Fluten in die Freiheit bahnt. Israel – und das hat ebenso Gültigkeit für alle Menschen – erhält nicht die Erlaubnis oder das Recht zu töten.
Bilder des Glaubens
Der Auszug aus Ägypten und der Durchzug durchs Schilfmeer sind Bilder für verschiedenste Situationen des Lebens, in denen Menschen das Wasser wie eine Wand links und rechts über den Kopf hinaus steht: in einer schweren Krankheit, im Scheitern einer Partnerschaft, im Zusammenbrechen von Lebensträumen, in einer Depression, beim Tod eines lieben Menschen … Schließlich gleicht das Sterben dem Gang durch das Schilfmeer. In allen diesen Situationen dürfen Menschen um die Solidarität jenes Gottes wissen, der es zu verhindern vermag, dass er oder sie in den tödlichen Fluten umkommt, Gott sich vielmehr schützend vor und dahinter stellt. Die Erzählungen sind Texte der Hoffnung für ein unterdrücktes, geschundenes Volk. Jesus hat beim letzten Abendmahl diese Texte rezitiert und die Kraft für seinen Weg gefunden.
Erich Baldauf
Dieser Artikel ist erstmals in der Zeitschrift „Dein Wort – Mein Weg“ – Alltägliche Begegnung mit der Bibel in der Ausgabe 2/19 publiziert worden.