Wenn kleine Dinge große Bedeutung erlangen 1. Lesung: 3 Mal 3,19-20b | 2. Lesung: 2 Thess 3,7-12 | Evangelium: Lk 21,5-19
Es ist einerseits verständlich und andererseits doch bedauerlich, dass wir jeweils an den Sonntagen relativ kurze Texte aus der Bibel zu hören bekommen; heute ein Abschnitt aus dem 21. Kapitel des Lukas. Den Ausschnitt allein zu lesen, birgt die Gefahr, einen Lesenden oder Hörenden ratlos zurück zu lassen. Zumindest gehen wichtige Anliegen eines Evangelisten verloren. Dazu einige Hinweise: Das 21. Kapitel beginnt mit dem Opfer einer armen Witwe. Jesus beobachtet wie sie zwei kleine Münzen in den Opferkasten wirft. Jesus stellt am Ende fest: Die anderen haben etwas vom Überfluss gegeben, sie hat alles gegeben, ihren ganzen Lebensunterhalt. Es zählt die Haltung. Im Reich Gottes kann das Wenige große Bedeutung bekommen.
Dann stellen manche fest, dass der Tempel mit schönen Steinen und Weihegeschenken geschmückt sei. Worauf Jesus antwortet: Kein Stein wird auf dem anderen bleiben. Der Tempel wird niedergerissen werden. Wir dürfen heute auch fragen: Was wird von der „Kirche“ bleiben? Vieles bricht ein: Gottesdienstbesucher, Zahl der Priester, Spenden, durch den Missbrauch, Menschen, die sich in ihr engagieren wollten? Was heißt es, wenn kein Stein auf dem anderen bleibt? Ist es vielleicht Bild für die Kirche heute?
Es war damals für Juden kaum vorstellbar, den Glauben – die großen Feste – ohne Tempel leben und feiern zu können. Er einte das Volk gegen die hellenistisch-römische Kultur, gegen das Vergessen des eigenen Glaubens.
Es kommen dann die Fragen an Jesus auf: Wann wird es sein? Welche Zeichen werden uns gegeben? Darauf gibt er eine längere Antwort. Sie haben wir als Evangelium gehört. Was da Jesus in den Mund gelegt wird, sind praktisch Ereignisse, die in den folgenden Jahrzehnten, bis Lukas sein Evangelium niederschrieb, geschehen sind: Zunächst mahnt Jesus zur Besonnenheit. Gebt Acht, lasst euch nicht von Unheilspropheten in die Irre führen. Für die Menschen der Gemeinde des Lukas ist die Besonnenheit ein Gebot der Stunde. Besonnenheit so verstanden: nicht der Panik verfallen, sich nicht in der Suche nach Schuldigen zu verfangen oder sich von der Angst völlig lähmen zu lassen.
Jesus zählt im Weiteren apokalyptische Ereignisse auf, die geschehen werden: es wird Unruhen und Kriege, Hungersnöte, Seuchen, schreckliche Dinge geben. Weitere Zuspitzungen werden folgen: Es wird an euch Hand angelegt werden. Aus politischen und religiösen Gründen, ja um meinetwillen werdet ihr Verfolgung erleiden. Die Auseinandersetzungen werden sogar quer durch eure Familien gehen. Um meinetwillen wird man euch hassen.
Als letztes schildert er die Belagerung Jerusalems, die Verwüstung der Stadt, die Verschleppung der Menschen, die Zerstörung der Nation. Es ist Bild für eine Situation, in der alles Heimat und Sicherheit Gebende wegfällt, in der man völlig entwurzelt und leer dasteht. Was Jesus beschreibt wird zur Realität der Gemeinde des Lukas. Jerusalem mit dem Tempel ist zerstört. Der jüdische Aufstand von 67 bis 70 n.Chr. wurde von den Römern niedergeschlagen. Die Juden dürfen Jerusalem nicht mehr betreten. Viele sind vertrieben und verschleppt.
Lukas bietet mit dem 21. Kapitel seiner Gemeinde Orientierungshilfen. Er zeigt Verschiedenes auf, was sie tragen wird und tragen kann: Ich darf da nochmals auf die Witwe zurückkommen. Ihre Geschichte leitet das Kapitel ein. Ihr tun, dass scheinbar so wenig Bedeutung hat, zählt. Ihre Haltung ist ein Hoffnungszeichen für jene, denen auch nicht viele Möglichkeiten zur Verfügung stehen.
Ein weiteres Element: Wenn auch schlimme Dinge passieren, wenn ihr z.B. Objekte des Hasses seid, es wird kein Haar an euch gekrümmt werden. Wenn ihr standhaft bleibt, werdet ihr das Leben gewinnen (Lk 21,18f). Es ist die Zusage, dass dieses Leben, das von Gott kommt, von niemandem, auch nicht von Religion, Gier und Macht Verbrämten genommen werden kann, im Gegenteil, ihr dürft das Leben in einer neuen Tiefe und Weite erfahren. Johannes formuliert es in seinem Evangelium: „Ich bin gekommen, damit ihr das Leben habt und es in Fülle habt“ (Joh 10,10).
Wir finden eine weitere Zusage in diesem Kapitel, wenn euch alles weggenommen und die Ängste übermächtig zu werden scheinen, dann wird man den „Menschensohn auf einer Wolke kommen sehen“ (Lk 21,27). Es ist ein Anspielung an das I. Testament. Die Wolke erinnert u.a. an den Exodus. Sie geht Israel führend voran. Sie geht aber auch zum Schutz hinterher. Wolke als Bild für ein Dasein, das man spürt oder ahnt, aber nicht „greifen“ oder „begreifen“ kann. Wolke auch als Bild, aus der Gott zu Mose am Berg Sinai spricht: „Ich habe dich aus Ägypten, aus dem Sklavenhaus … herausgeführt“. Es ist der „Menschensohn“, der heute in der Gemeinde in gleicher Weise zugegen ist und sie begleitet. In einer Zeit der Bedrängnis dürfen wir in besonderer Weise der Nähe Gottes gewiss sein. Er kommt mit großer Kraft und Herrlichkeit (Lk 21,27). Wir haben keinen Grund schwarz zu sehen.
Eine weitere Zusage lautet: Himmel und Erde werden vergehen, aber meine Worte werden nicht vergehen (Lk 21,33). Mag es Zusammenbrüche geben, mag es Umbrüche oder große Veränderungen geben, es gilt die Zusage: Gottes Wort wird bleiben. Gottes Wort ist zu trauen. Vielleicht ist der Hinweis wichtig: Es geht nicht darum, viel zu wissen, sondern dem Wort Gottes – vor allem dem, was ich davon verstehe – Vertrauen zu schenken. Mich von diesem Wort aufrichten, trösten, stärken, verwandeln, … zu lassen. Dieses Wort als Freundin oder Freund zu sehen, das mich leben lässt oder ins Leben führt.
Ein letzter Hinweis, den ich in diesem apokalyptischen Kapitel sehr beachtenswert finde: Wacht und betet allezeit, damit ihr in allem, was geschehen wird, entrinnen und vor den Menschensohn hintreten könnt (Lk 21,36). Eine herausfordernde Zeit, in der man von Ohnmacht, Wut, Zorn u.ä. gefordert ist, in der man vielleicht oft überfordert ist, gilt es die Ereignisse und Erfahrungen vor Gott zu bedenken und zu ordnen. Der betende Mensch weiß, er muss nicht alles regeln. Er weiß um eine Größe, wie es am Eingang des Evangeliums gelautet hat: Fürchte dich nicht! Für Gott ist nichts unmöglich. Die Kraft des Höchsten wird dich überschatten (Lk 1,35). In diesem Sinn wacht und betet.