Solidarität mit Potential 1. Lesung: Apg 2,42-47| 2. Lesung: 1 Petr 1,3-9| Evangelium: Joh 20,19-31
Die erste Lesung gibt einen Einblick in die Glaubens- und Lebensweise der Urgemeinde in Jerusalem. Die äußeren Umstände waren schwierig. Der Großteil der Menschen war arm, sehr arm. Über neunzig Prozent lebten am Existenzminimum. Paulus sah sich veranlasst für die Gemeinde in Jerusalem auf seiner Missionsreise durch Kleinasien zu sammeln. Am Ende des ersten Jahrhunderts, also zur Abfassungszeit der Apostelgeschichte, fielen die Christen zusätzlich aus den wenigen Privilegien, die den Juden zugestanden wurden, hinaus.
Die Lesung berichtet von vier Säulen, die die Gemeinde zusammenhält: a) sie hielten an der Lehre der Apostel fest; b) an der Gemeinschaft; c) am Brechen des Brotes; und d) an den Gebeten. Mir scheint, dass es sich lohnt diese Säulen der urchristlichen Gemeinde genauer anzusehen, gerade im Hinblick auf die kommende Zeit in der es Umbrüche auf verschiedenen Ebenen geben wird. Wir werden in unserer Kirche manches neu zu verstehen haben. Corona hat Auswirkungen auf das Glaubens- und Lebensverständnis der Menschen. Wie und was antworten wir? Es wird massive wirtschaftliche Auswirkungen geben. Es ist in unseren Breiten eine ungewohnt hohe Zahl an Arbeitslosen zu erwarten. Das wird soziale Spannungen und neue Verteilungskämpfe auslösen. Krisen wecken zudem dämonische Kräfte, d.h. es finden Verwerfungen von Gegebenheiten statt, die bisher funktioniert haben und als selbstverständlich galten. Es weckt kriminelle Energie, die sehr leicht Populisten – mit dem Ruf nach einem starken Mann – in die Hand spielen .
Die Urgemeinde in Jerusalem lebt in solchen Realitäten und hat sich zu bewähren. Das erste: Sie halten an der Lehre der Apostel fest. In Umbruchszeiten ist eine der wichtigsten Fragen: Woran orientieren wir uns? Woran halten wir uns? Blinder Aktionismus, vermeintlich schnelle und einfache Lösungen oder das Mitgehen mit Populisten bewirken keine Nachhaltigkeit. Die Lehre der Apostel hat als Mitte den Menschen, Recht und Gerechtigkeit, vor allem die Sorge um jene, die in Notzeiten allzu gern übersehen oder vergessen werden. Festhalten an der Lehre der Apostel ist verbunden mit aufrecht gehen, mit gewaltlos, versöhnend und versöhnungsbereit agieren. Ich finde es für uns beachtenswert, dass das Festhalten an der Lehre der Apostel an erster Stelle steht, dann die Gemeinschaft folgt und an dritter Stelle das Brechen des Brotes.
Als zweites wird genannt: Das Festhalten an der Gemeinschaft. So sehr Glauben immer wieder eine Entscheidung des Einzelnen erfordert, braucht er die Rückbindung an die Gemeinschaft und das Korrektiv einer Gemeinschaft. Und: Wirkliche Kraft bekommt der Glaube erst durch eine Gemeinschaft. Was will ein einzelner in dieser Welt ausrichten? Gemeinsam kann vieles durchgetragen werden. Im gemeinsamen Tragen von Aktionen, Rückschlägen, Enttäuschungen und Erfreulichem geschehen Zeichen und Wunder, wie es die ersten Christen erfahren haben. Als Einzelkämpfer kann man schnell einmal depressive Züge annehmen.
Brechen des Brotes ist eine dritte Säule. Beim Brechen des Brotes denken wir unmittelbar an unsere Eucharistiefeier. Leider wird sie manchmal so begangen, dass nicht mehr viel vom Ursprung zu erkennen ist und sie eher zur Magie verkommt. Brechen des Brotes war verbunden mit der Sorge, dass alle Mitfeiernden so versorgt wurden, dass sie während der Woche zu leben hatten. Brechen des Brotes war ein dankbares Teilen, ein gegenseitiges sich durchtragen, vor allem ein Mittragen der Ärmsten. Jesus Christus ist das Haupt, alle Mitfeiernden bilden den Leib des Herrn.
Wenn wir in der Kirche die Eucharistie feiern, ohne dieses Grundanliegen mit zu bedenken, ist es nach Paulus – da decken sich Lukas und Paulus – kein Herrenmahl (1 Kor 11,17-34). Wir werden einer Zeit entgegen gehen, in der die Haltung der Solidarität von großer Bedeutung sein wird. Die Corona-Maßnahmen, der Shut-Down der Wirtschaft bewirken noch Nöte unterschiedlichster Art. Von der Gemeinde in Jerusalem wird berichtet, dass sie Hab und Gut teilten und jedem so viel gaben, wie er oder sie nötig hatte. Sie haben das Brotbrechen – Herrenmahl – gefeiert und gelebt.
Die kommende Zeit erfordert Solidarität. Vor dem Hintergrund der Glaubens- und Lebensweise der Urgemeinde in Jerusalem meine ich, dass es für uns Christen in der gesellschaftlichen Diskussion keine Tabus geben soll: Es wird über ein Grundeinkommen für alle zu reden sein, auch über Erbschafts- und Vermögenssteuer. Ohne neue Solidarität bleiben Menschen – Schwestern und Brüder – auf der Stecke. Eine neu gelebte Solidarität wäre für die Gesellschaft auch eine große Chance. Der erlebte Zusammenhalt der letzten Wochen ist ein Beispiel dafür. Obwohl wir zu einer gebotenen Distanz angehalten sind, ist zugleich ein neues, wertvolles Miteinander gewachsen. Die Quarantäne ist für manche eine Belastung, vielleicht sogar Qual. Es ist zu bedenken und erfordert allen Respekt. Aber dieses Mit- und Füreinander, das aus Rücksicht von gefährdeten Gruppen geschieht, ist zu beachten und darf zuweilen mit Stolz erfüllen. Es ist Achtung dem Leben gegenüber.
Diese Solidarität hat Potential. Da kann noch viel geschafft werden. Es würde mich mit Scham erfüllen, sollten unter uns Familien, insbesondere Alleinerziehende für ihre Kinder nicht ausreichend zu essen haben, dies besonders im Blick auf die vielen Boote, die unter uns parken.
Als vierte Säule nennt uns die Apostelgeschichte: Tag für Tag verharrten sie einmütig im Tempel im Gebet. Sie blieben in den Psalmen verwurzelt. Die Psalmen lassen kein Thema aus. Mit ihnen bringen sie ihre Sorgen und Nöte, den Dank und das Lob vor Gott. Sie formulieren ebenso Ohnmacht, Wut und Ärger, die aus Anfeindungen, Unterstellungen und Not erwachsen. Gebet als Lebenshaltung, um nicht dunklen Mächten und Kräften zu erliegen.
Wenn Sie den Text der 1. Lesung aus der Apostelgeschichte anhören möchten:
Wenn Sie den Text der 2. Lesung aus dem ersten Brief des Apostel Paulus anhören möchten:
Wenn Sie den Text des heiligen Evangeliums nach Johannes anhören möchten:
4 Kommentare zu “Solidarität mit Potential 1. Lesung: Apg 2,42-47| 2. Lesung: 1 Petr 1,3-9| Evangelium: Joh 20,19-31”
Lieber Erich!
Herzlichen Dank für deine Auslegungen mit den wertvollen Bezügen auf die aktuelle Situation!
Lieber Erich,
du hast die Zeichen dieser besonderen Zeit klar erkannt und – vielen Dank dafür – unmissverständlich benannt. Danke auch für den Hinweis auf die Apostel-Geschichte, aus der wir lernen können, welche Maßnahmen jetzt zu ergreifen sind: eine Solidarität, die Potential hat und – gemeinsames – Gebet als Lebenshaltung.
Lieber Erich,
für mich hat dieses “fürchte(t) dich (euch) nicht! – echt Potential und ein Zettel mit diesem Trostwort, klebt bereits am Rand meines Computerbildschirms, – gut sicht u. einsehbar. Weiters sind die 4 Säulen tragende und immer stützende Elemente, auf die (auf)gebaut werden kann.
Mit dankbaren Grüßen
Hans
Bei unseren Exerzitien vom 1.-4. Juli in Batschuns waren in den Lesungen öfters Worte des “kleinen” Propheten Amos zu hören. Er hat mich neugierig gemacht und ich habe mich zu einem “Fernkurs bei Amos” entschlossen. Über vier Lektionen möchte ich schreiben, die 1. hat die Überschrift: Klarheit der Sprache. Amos ist ein Meister des Wortes, er bringt sein Anliegen auf den Punkt. Wenn er im Namen Gottes gegen die Profitgier der Reichen und die Ausbeutung der Armen protestiert (Am5,7.10-15), hebt er sich wohltuend ab von den frommen Leisetretern, die diplomatisch, blass und unverbindlich predigen, um ja niemandem zu nahe zu treten. Ich möchte mich freuen an manchen Spitzen und Provokationen des Amos (Am 6, 1-7). Ich will schmunzeln, wenn er die wohlgenährten, vornehmen Damen von Samaria “fette Kühe” nennt (Am 4, 1-3) oder wenn er Gott mit einem brüllenden Löwen vergleicht. (Am 3,8) – aber vor allem möchte ich mich durch seine lebendige, packende und bilderreiche Sprache anregen lassen, selbst Klartext zu reden und den Glauben anschaulich ins Gespräch zu bringen.
Die 2. Lektion, die ich von diesem Propheten lernen kann: Freiheit im Auftreten. Amos kämpft für die Freiheit – für die Freiheit Gottes, der sich nicht in kleinliche Gebote und kultische Vorschriften pressen lässt, und für die Freiheit der Menschen, die nicht in die Abhängigkeit weniger Reicher und Mächtiger geraten dürfen. Und die Freiheit, für die er eintritt, lebt er auch. Er mischt sich ein, bleibt ein Querdenker, hält den Einflussreichen einen Spiegel vor – auch wenn er sich für seine mutigen Worte ein Redeverbot einhandelt und des Landes verwiesen wird. (Am7, 10-17). Sich nicht verbiegen und einschüchtern lassen – in der Schule des Amos will ich diesem Ziel ein Stück näher kommen.
Wachsamkeit für Entwicklungen – das wäre mein 3. Lernziel im Amos-Fernkurs. Der Prophet registriert scharfsichtig, welche politischen, gesellschaftlichen und religiösen Veränderungen in seinem Volke im Gange sind: Es herrscht Frieden mit den Nachbarländer, die Wirtschaft blüht – aber während die Oberschicht in Luxus und Wohlstand lebt, werden die Armen immer ärmer; Korruption und Betrug nehmen zu, Oberflächlichkeit und Verantwortungslosigkeit greifen um sich, der Glaube an Gott verdunstet. Amos spürt, dass diese Entwicklungen in die Katastrophe führen. Er weiß, dass das Ende Israels schon vorprogrammiert ist und er vergleicht die Situation mit einem prächtigen Obstkorb, dessen Früchte aber schon zu faulen beginnen, weil sie nicht verarbeitet werden (Am 8, 1-3) Bei Amos möchte ich lernen, meinen Blick zu schärfen und hinter die Fassade zu schauen.
Eine letzte Lektion erwartet mich in der Schule des Propheten: Echtheit im Gottesdienst. Amos empört sich über Gottesdienste, die keinen Bezug mehr zum Alltag haben; die nicht einmünden in gerechtes und verantwortungsvolles Handeln, in Solidarität mit den Bedürftigen. Er hält die Opferfeiern und Feste, die frommen Rituale im Tempel für eine Farce, wenn der Barmherzigkeit fordernde Gott darin nicht zur Sprache kommt (Am5, 21-24). In der Amos – Schule möchte ich mir einen Maßstab erarbeiten, mit dem ich Frömmelei von echter Frömmigkeit unterscheiden kann.
Wenn der “kleine” Prophet Amos in unseren Gottesdiensten zu Wort kommt, dann wünsche ich ihm viele Teilnehmer- und Teilnehmerinnen an seinem Fernkurs, und unserer Kirche viele Prophetinnen und Propheten, die eindeutig reden, angstfrei leben, wachsam ihre Welt beobachten und mit kritischem Wohlwollen unsere Gottesdienste mitfeiern.
Wir brauchen sie heute dringender denn je…..