Radikale Veränderungen und deren Bewältigung Ein hoffnungsvoller Blick in die Bibel mit Wilhelm Bruners
Die jüdisch-christliche Bibel ist ein Buch voller Veränderungen. Manche dieser Veränderungen gehen auf Gott zurück, manche sind Folgen menschlichen Handelns. Immer aber können diese Krisen, die bei Veränderungen entstehen, konstruktiv überwunden werden, wenn das Gespräch nicht abbricht und die Angst nicht um sich greift. „Fürchte dich nicht!“ wird deshalb zu einem wichtigen biblischen Wort – vor allem in der Gottesbegegnung.
Die Einleitung, der Urzustand, ist gut: „Und Gott sah, dass es gut war …“. So startet die Bibel, dieses große Erzählwerk von Juden und, in Fortsetzung, von Christen. Doch dann kommt schon bald die radikale Veränderung: Mensch und Gott verlieren ihr Paradies, und es beginnt jene Welt, in der „wir uns nicht ganz zu Hause fühlen“ (Heinrich Böll). Der Verlust des Paradieses (Kindheit, Heimat …) ist die Urkrise, die jeder Mensch bestehen muss, will er denn weiterleben.
Die Bewältigung der ersten Krise endet zunächst einmal in einer menschlichen Katastrophe: einem Geschwistermord. Gott ist dabei nicht ganz unschuldig, weil er grundlos das Opfer Abels ansieht und Kains nicht – so erzählt die biblische Urgeschichte. Gott und Kain aber überwinden die Situation, indem sie das abgebrochene Gespräch wieder aufnehmen und beide daraus lernen. (Den Fehler der Bevorzugung macht Gott in der Auseinandersetzung der Brüder Esau und Jakob nicht mehr.)
Zu einer Arbeitsgemeinschaft von Gott und Mensch nach Verlust des Paradieses kommt es beim Bau der Arche. Gott entwirft das wasserfeste, dreistöckige Haus; der Mensch macht nach Maßgabe Gottes die Ausführung. Ein Modell der Zusammenarbeit für die Zukunft! Nachdem Gott dem Menschen, damit er diese Welt besteht, schon im Paradies ein „dickes Fell“ angepasst hat, gibt er ihm mit der Arche „eine zweite Schutz-Haut“. Aber nicht nur der Mensch, sondern die ganze Schöpfung hat „ein Dach über dem Kopf“.
Seit den Tagen, in denen der Mensch aus den Fluten gerettet wird, weiß er, dass mit ihm immer auch die ganze Schöpfung gerettet wird. Er ist Teil dieser Schöpfung.
Die andere große Veränderungsgeschichte schließt sich als Volksgeschichte Israels nach der Geschichte der Erzeltern an: der Exodus, die Befreiung aus der Gefangenschaft der Großmacht Ägypten. Erzählt wird eine Flucht, aber es ist eine von Gott initiierte und begleitete Flucht. Die Veränderung kann größer nicht sein: Flucht aus dem Kulturland Ägypten in die Wüste – mit all ihren Unwägbarkeiten und Gefahren. Darin muss sich Israel erst einmal zurechtfinden. Einerseits, so erzählen sie später, ist es eine Zeit großer Nähe zu Gott. Gott etwa gibt Israel eine Ordnung, damit das Volk gut durch diese Zeit kommt. Es ist die Zeit einer ungestörten Liebe zwischen Israel und seinem Gott, wie die Propheten deutend sagen. Gleichzeitig erlebt Israel aber vom ersten Tag an die Gefahr, Nomade zu sein und nicht von „den Fleischtöpfen Ägyptens“ versorgt zu werden. Die Freiheit wohnt offenbar in Zelten und nicht in Palästen.
Mit der erflohenen Freiheit ergeben sich andere Gefahren, die sich mehr und mehr einstellen. In einer Geschichte, die dem Protokoll eines Geheimdienstes gleicht, lässt Mose das Land, das vor ihnen liegt, auskundschaften. Von zwölf Männern, die er ausgeschickt hat, warnen ihn zehn, verbreiten falsche Gerüchte und schaffen eine Atmosphäre der Angst (vgl. Num 13). Nur zwei sind überzeugt, dass sie mit der neuen Situation gut fertig werden. Die Bibel bestätigt sie und macht Mut, sich jeder Situation zu stellen und die neuen Möglichkeiten, die darin stecken, zu entdecken. In ihrer Geschichte ist das Obst des Kulturlandes das „Sakrament“ der Zukunft: Granatapfel und Traube.
Im „Traubental“, zwischen Bethlehem und Hebron gelegen, stehen bis heute Weinstöcke, die von Muslimen und einigen Christen gemeinsam bearbeitet werden – weil das Gespräch noch nicht abgebrochen ist.
Wilhelm Bruners, Priester, Bibliodramaleiter und Geistlicher Begleiter, Mönchengladbach
Dieser Artikel ist erstmals in der Zeitschrift „Dein Wort.Mein Weg“ – Alltägliche Begegnung mit der Bibel in der Ausgabe 3/21 publiziert worden. Bei Interesse können Sie hier die Zeitschrift bestellen.