Neue Formen von Gemeinschaft 1. Lesung: Weish 9,13-19 |2. Lesung: Phlm 9b-10.12-17|Evangelium: Lk 14,25-33
Das heutige Evangelium macht fast etwas fassungslos. Ist das ernst gemeint? Muss ich tatsächlich meine Eltern zurücklassen, um Jesus nachfolgen zu können? Wie sollte ich meine Kinder gering achten? Vielleicht lässt sich das Evangelium etwas leichter einordnen, wenn man einen Blick auf die Gleichnisse wirft, die Jesus vor diesen Aussagen erzählt hat. Es sind drei, die sich alle um Feste und Einladungen drehen.
Einmal geht es um die nötige Bescheidenheit des Gastes, der zu einer Hochzeit eingeladen ist. Er soll sich nicht vordrängen und keinen Ehrenplatz anstreben. Dies ist die Gewähr, dass dem Gast Ehrerbietung zuteil wird, sollte er vom Gastgeber eingeladen werden, als Freund weiter vorne Platz zu nehmen. Die zweite Erzählung will deutlich machen, dass bei einer Einladung zum Essen nicht nur die nächsten Verwandten eingeladen werden sollen, sondern Arme, Verkrüppelte, Lahme und Blinde. Es soll nach dem Motto „eine Hand wäscht die andere“ kein System von Gegeneinladungen etabliert werden. Das dritte Gleichnis erzählt von einem Gastgeber, dessen Einladung die geladenen Gäste nicht Folge leisten wollen. Sie sind von allzu weltlichen Aufgaben abgelenkt. Zornig lässt der Hausherr daraufhin Arme und Kranke einladen, am Ende auch noch Wegelagerer.
Mit dem heutigen Text versucht Jesus nochmals zusammenzufassen, worauf es bei seiner Nachfolge und in seiner Gemeinschaft ankommt. Es folgt der Satz: „Wenn jemand zu mir kommt und nicht Vater und Mutter, Frau und Kinder, Brüder und Schwestern, ja sogar sein Leben geringachtet, dann kann er nicht mein Jünger sein“ (Lk 14,25). Hier schwingt weit mehr mit, als wir denken. Es geht nicht um Familie nach unserem heutigen Verständnis. Damals ging es um ein ganzes gesellschaftliches Gefüge. Die Familie war die einzige soziale Grundeinheit. Sie war die materielle Grundlage, um überhaupt leben und überleben zu können. Sie war auch die kleinste ökonomische Einheit. Außerhalb der Sippe Geschäfte machen zu können, war kaum möglich. Diese Grundeinheit war zudem außerordentlich starr. Sie bestimmte über das soziale Milieu. Die gesellschaftlichen Schichten waren zur Zeit Jesu kaum durchlässig. Die Familie bestimmte alle sozialen Beziehungen. Kontaktpflege außerhalb der Sippe war kaum möglich. So war die Heirat ein Tausch von Frauen mittels Vertrages. Sie diente wirtschaftlichen Interessen. Kinder waren nicht automatisch durch die Geburt Mitglied einer Familie, sondern dem Kind musste dazu ein eigener Aufnahmeakt von Seiten des Vaters zu teil werden. Familie war damals ein durch und durch patriarchales, hierarchisches System. Genau dieses starre Korsett wollte Jesus mit seiner Weggemeinschaft aufbrechen.
Die Evangelien sind als Untergrundschriften während Besatzungszeiten und politischen Wirren entstanden. An eine freie Wortwahl war nicht zu denken, auch zu Jesu-Zeiten nicht. Jesus und seine Nachfolger waren mit einem Spitzelsystem römischer Besatzungssoldaten und vorschriftseifriger Rechtgläubiger konfrontiert.
Holen wir uns nochmal die Gleichnisse heran. Jesus will in seiner Weggemeinschaft keine klassischen Hierarchien, weder durch familiären noch gesellschaftlichen Status. Es geht nicht um Prestige am Tisch des Herrn, sondern von Gott als Freund eingeladen zu werden: „Mein Freund, rück weiter hinauf! Das wird für dich eine Ehre sein vor allen anderen Gästen“ (Lk 14,10). Jesus will das Einzugsgebiet persönlicher Beziehungen und Kontakte weiten. Bei Einladungen soll man nicht lediglich an die eigene Familie, das eigene Milieu oder VIPs (very important persons) denken, sondern an Menschen an gesellschaftlichen Rändern, die sonst nicht zum Zug kommen. Es sollen Beziehungen gepflegt werden, auch wenn kein Gegengeschäft zu erwarten ist. Jesus sieht es kritisch, wenn Familie der einzige Bezugspunkt im Leben ist und damit ihre und die eigenen Bedürfnisse vor der Beziehungspflege mit Gott kommen. Wenn die Besichtigung des gekauften Ackers oder des neuen Ochsengespanns, der wirtschaftliche Vertragsabschluss oder ein Ehevertrag, wichtiger sind als die Festeinladung Gottes.
Jesus will Familie nicht schlecht reden. Es geht nicht darum, dass wir uns um die Oma im Sozialzentrum nicht mehr kümmern oder Kinder sich einfach selbst überlassen sollen. Jesus will ein gesellschaftliches System aufbrechen. Dafür muss an einem neuen Fundament gebaut werden, dass ebenso tragfähig ist, wie das bisherige System der Familiensippe. Es braucht einen Plan. Es braucht eine gemeinsame Grundüberzeugung. Jesus will kein hierarchisches, patriarchales System, das Menschen knechtet, einengt und ausgrenzt. Er will statt Hierarchie einen geschwisterlichen Umgang. Seine neue Gemeinschaft bietet Sicherheit und Schutz. Jesus will Menschen ermöglichen, autonom zu entscheiden und zu leben. Er will eine andere Rolle der Frau. Sie soll keine Handelsware sein. Er beruft frei und autonom lebende Frauen als Pionierinnen in seine Gemeinschaft. Er steht für eine Gotteskindschaft, die nicht exklusiv ist, sondern allen gilt. Es geht um eine neue Prioritätenreihung: Die Zuordnung zu Gott durch die Taufe kommt vor allen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Verflechtungen und hat Priorität im Alltag.
Jesus versucht damit nochmals in Erinnerung zu rufen, was uns die Erzählungen des Ersten Testaments beschreiben: Menschen wie Abraham, Mose, Josef, Rut und viele andere waren bereit, dem Ruf Gottes zu folgen und aufzubrechen. Nur am Rande bemerkt: keine dieser biblischen Gestalten hat mit ihrer Familie gebrochen. Sie versuchten allerdings schon weit mehr zu werden, als lediglich Weg- oder Wirtschaftsgemeinschaften.
Wenn Sie den Text der 1. Lesung aus dem Buch der Weisheit anhören möchten:
Wenn Sie den Text der 2. Lesung aus dem Brief des Apostel Paulus an Philémon anhören möchten:
Wenn Sie den Text aus dem heiligen Evangelium nach Lukas anhören möchten:
Ein Kommentar zu “Neue Formen von Gemeinschaft 1. Lesung: Weish 9,13-19 |2. Lesung: Phlm 9b-10.12-17|Evangelium: Lk 14,25-33”
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Herzliche Grüße, Hugo