Spuren Gottes lesen 1. Lesung: Gen 12,1-5| 2. Lesung: Gal 4,4-7| Evangelium: Lk 2,16-21
Die Not ist groß als Sara und Abraham berufen werden. Der Grund der Not lag in der gewachsenen Hybris der Menschen. Im Streben ein Volk mit einer Sprache zu werden, meinten die Menschen, dies mit einem Bau eines Turmes, der bis zum Himmel reicht, erreichen zu können. Vermutlich kennen die meisten das Ergebnis dieses Vorhabens. Das Gegengeil trat ein. Sie zerstreuten sich über die ganze Erde und sie verloren die gemeinsame Sprache.
Es ist eine Katastrophe, wenn Menschen einander fern, fremd werden und sie sich nicht mehr verstehen. Diese Katastrophe der Zerstreuung und des Unverständnisses ruft Gott auf den Plan. Es heißt: Gott sprach zu Abram. Wir können es im Ersten Testament immer wieder beobachten, Gott beginnt dann zu sprechen, wenn sich die Menschen in einer Notsituation befinden.
Und: Gott ruft Menschen, um Nöten entgegen zu wirken. Abram und Sara stehen dafür. Mit ihnen beginnt der Weg einer Glaubensgeschichte, die ihr Ziel im gelobten Land hat. Wir ahnen vielleicht sofort, dass dieser Weg keiner von Stunden, Tagen oder Monaten, sondern ein langer sein wird, manchmal Jahre, ja sogar Generationen dauern kann.
Noch einen Aspekt finde ich bei Abram und Sara beachtenswert. Die Gestalt des Glaubens besteht nicht darin, dass sie Gott oder ein „Höheres Wesen“ für wahr halten. Ihr Glaube hat in markanter Weise die Gestalt des Loslassens. Zieh weg aus deinem Vaterhaus, aus deiner Verwandtschaft und deinem Vaterland in ein Land, das ich dir zeigen werde. Das, was ihnen bisher Sicherheit geboten hat, sollen sie loslassen und darauf vertrauen, dass für sie auf andere Weise gesorgt wird.
Das Loslassen wird ihnen zum Segen werden und Gott führt sie in ein neues Land. ER wird für sie sorgen. Es ist zugleich der Ruf an Abram und Sara, jenen Menschen, denen sie begegnen, zum Segen zu sein, ihnen gut zu sein.
Den Menschen zum Segen sein: Es sind Begegnungen auf Augenhöhe, ein waches füreinander Sorgen ohne Neid-, Hass- und Rachegedanken. Es ist ein Leben im Nehmen und Geben und ein einander Großmachen.
Wir hören diese Lesung am Übergang zu einem neuen Jahr. Vielleicht sind uns Sara und Abram eine Hilfe, in guter Weise – als Gesegnete und Segnende – in das Jahr 2023 zu gehen.
Die Pandemie, der Krieg in der Ukraine, die Klimafrage und andere Turbulenzen in der Politik und Wirtschaft, aber nicht weniger die enormen Entwicklungen im gesamten Informations- und Medienbereich tragen zu einer grundlegenden Veränderung der Gesellschaft bei. Das Ausmaß lässt sich bisweilen nur erahnen. Wir sind als Kirche Teil der Gesellschaft und ebenso von diesen großen Veränderungen betroffen.
Wir sind heute – wie damals Abram und Sara – gefordert, viel loszulassen. Es gibt kein Zurück in eine frühere Gesellschaft. Es gibt in unseren Breiten auch kein Zurück in eine Kirche, wie sie manche aus den 70-er oder 80-er Jahren des letzten Jahrhunderts kennen.
Wir sind bunter und vielgestaltiger geworden. In Hard wohnen z.B. über 80 Nationalitäten, Menschen aus allen Kontinenten. Neben Christen gibt es eine Vielzahl von Andersgläubigen. Die neuen Medien ermöglichen die Kommunikation in alle Teile der Welt und zwar sofort und unmittelbar. Wir wissen wie sehr der Computer und der Mailverkehr die Arbeit verändern. Vieles erleichtert die Arbeit. Es kann aber auch zur großen Belastung werden.
Wir sind mit einer großen Informationsflut konfrontiert. Es ist eine neue Herausforderung, das Wichtige und Richtige, beziehungsweise die Wahrheit(en) herauszufiltern. Wir wissen um Themen, die uns in den nächsten Jahren beschäftigen werden: z.B. die Spannung zwischen arm und reich, dem Facharbeiter/innenmangel, auch die demographische Entwicklung.
Wir sind nicht im gelobten Land. Wir sind wie Sara und Abram auf den Weg gerufen, um heute und morgen nach Lösungen zu suchen. Auf jenen, die sich auf diesen Weg machen, liegt der Segen Gottes, nicht auf den Schwarzsehern oder Spaltern, auch nicht auf jenen, die Türme in den Himmel bauen wollen mit dem Ziel alle Unterschiede und offenen Fragen zu beseitigen.
Auch wir als Kirche, als Christen stehen in einem großen Wandel. Gott hat mit Abram und Sara ein neues Kapitel der Glaubensgeschichte begonnen. Sie waren keine Priester/innen. Abram und Sara haben viel losgelassen, sie haben neu in die Zeit hineinzuhören gelernt. Sie haben einem Gott zu trauen begonnen, der ihnen weitgehend unbekannt war und von dem sie noch kein Bild hatten. Ihr Segen wirkt bis ins Heute. Wir verdanken es – nochmals – ihrem Loslassen.
Ich sehe es als große Aufgabe, die Spuren Gottes neu lesen zu lernen und ihn neu in unserer Zeit zu buchstabieren. Es ist kein Gott der Toten, sondern der Lebenden. Veränderungen, die sich in der Kirche und im religiösen Verständnis zeigen, können nicht allein mit dem Glaubensabfall von Menschen erklärt werden. Mit solchen einfachen Antworten geben wir es auf, ernsthaft Gottes Angesicht zu suchen und zu entdecken.
Seid den Menschen auf dem Weg zum Segen, ist die Berufung, die an Abram und Sara ergingen. Sei mit deinen Worten, deinen Entscheidungen, deinen Taten den Menschen zum Segen. Sei zum Segen deinen Familienmitgliedern, den Mitarbeiter/innen, den Freunden und Andersgesinnten, den Nachbarn und Migranten.
Wenn Sie den Text der 1. Lesung aus dem Buch Genésis anhören möchten:
Wenn Sie den Text der 2. Lesung aus dem Brief des Apostels Paulus an die Gemeinde in Galatien anhören möchten:
Wenn Sie den Text aus dem heiligen Evangelium nach Lukas anhören möchten:
2 Kommentare zu “Spuren Gottes lesen 1. Lesung: Gen 12,1-5| 2. Lesung: Gal 4,4-7| Evangelium: Lk 2,16-21”
Lieber Erich,
die Spuren Gottes neu lesen, das hast du im vergangenen Jahr wieder hervorragend, d.h. lebendig und menschenfreundlich nimmermüd vorgemacht und mir nahe gebracht. Dafür danke ich dir und natürlich auch deiner lieben Kollegin Katharina sehr.
So kanns ins neue Jahr gehen.
Ich wünsche dir Glück und Segen für dein Tun und Lassen.
Salut und herzliche Grüße
Paul Reiner
Ein herzliches Danke an das ganze Bibellabor-Team für den Segen, der durch Ihren Einsatz erwächst und dessen Auswirkung schneller und weiter verbreitet wird, als es zu Abrahams Zeiten möglich war!