Ein Gott der Spuren zieht 1. Lesung: Gen 1,1-2,2| 2. Lesung: Gen 22,1-18| 3. Lesung: Ex 14,15-15,1| 4. Lesung: Jes 54,5-14| 5. Lesung: Jes 55,1-11| 6. Lesung: Bar 3,9-15.32-4,4| 7. Lesung: Ez 36,16-17a18-28| Epistel: Röm 6,3-11| Evangelium: Mk 16, 1-7
Mit viel Inbrunst haben wir das dreifache „Halleluja“ und das „Christus ist erstanden“ gesungen. Es weckt österliche Stimmung. Es erhebt sich allerdings die Frage, ob Markus mit seinem Osterevangelium diese Stimmung schon hergibt. Er berichtet von Frauen, die sich alles andere als in Jubelstimmung befinden. Sie gehen vom Grab, das sie zu ihrem Entsetzen leer finden. Es gibt von einem Mann in einem weißen Gewand für sie und die Jünger den Hinweis, sie sollen nach Galiläa gehen: Dort werden sie ihn – Jesus – sehen. Dann dieser letzte Satz des Evangeliums: Schrecken und Entsetzen packte die Frauen und sie erzählten niemand etwas davon. Markus hält da in seiner Version fest, was 30 n. Chr. geschehen ist.
Er schreibt allerdings sein Evangelium 70 n. Chr. Er hat damit ebenso die Situation und die Menschen am Ende des jüdischen Aufstandes vor Augen. Die Römer haben blutig und brutal diesen Aufstand niedergeschlagen. In Galiläa sind viele Orte und Städte zerstört. Es gab mehrere Massaker. In Magdala fand eines draußen auf dem See und eines im Ort selbst statt. Gamla, ein Ort nördlich des Sees Genesaret gelegen, war stark befetigt und beherbergte Zeloten, bewaffnete Widerstandskämpfer. Als die Bewohner erkannten, dass der Ort nicht zu halten war, stürzten sich mehr als 1 000 Menschen in den Freitod. Verbrannte Erde, zerstörte Häuser, Verwundete, Witwen, Waisen, ja viele traumatisierten Menschen blieben zurück.
Markus hat mit seinem Osterevangelium diese Welt, diese Realität vor Augen. Es ist die Frage: Was ist an seiner Botschaft österlich? Was meint Auferweckung? Was Auferstehung? Taugen unsere Vorstellungen seine Osterbotschaft zu verstehen?
Die Frauen hören am Grab diese Stimme von einem Mann mit einem weißen Gewand: Er geht euch voraus nach Galiläa. Dem Evangelisten Markus ist es ein Anliegen, den Menschen verstehen zu geben, dass der Auferstandene in dieser zerstörten und verstörten Welt erfahrbar wird. Jesus ist mit der Botschaft in Galiläa aufgetreten, dass das Reich Gottes nahe ist. Glaubt dieses Evangelium auch jetzt.
Er wird dort sichtbar werden. Er wird dort weiter Evangelium sein. Er wird heilen, aufrichten, versöhnen und Neuanfänge ermöglichen.
Die Botschaft erhält allerdings besondere Aspekte durch den letzten Satz, mit dem Markus seinen ersten Schluss setzt: Schrecken und Entsetzen hatte die Frauen gepackt. Und sie sagten niemanden etwas davon; denn sie fürchteten sich.
Für den biblischen Menschen greift Markus auf ein Ereignis zurück, das mit einer besonderen Verheißung verbunden ist. Als die zwei Kundschafter Israels bei der Dirne Rahab in Jericho zu Gast sind, erklärt ihnen diese: Dass ihr Volk Furcht und Schrecken befallen habe und sie vor Angst vergehen, als sie hörten mit welcher Macht Gott das Volk Israel am Roten Meer gerettet hat (Vgl. Jos 2,8-11). Diese Begegnung mit dem Gespräch leiten den Einzug ins gelobte Land ein.
Wir haben diesen Satz auch in Verbindung mit Psalm 77 zu lesen: Er reflektiert das Rettungsgeschehen am Roten Meer und hält über Gott fest: „Durch das Meer ging dein Weg, dein Pfad durch gewaltige Wasser; doch deine Spuren erkannte man nicht“ (Ps 77,20).
Nochmals dieser letzte Satz bei Markus eint Psychologie und hohe Theologie. Die Frauen am Grab, sie machen eine traumatische, verstörende Erfahrung: Der Leichnam ist weg. Ähnlich verstört und traumatisiert sind die Menschen nach der Niederschlagung des jüdischen Aufstandes, unfähig über ihre Erfahrungen zu sprechen. Markus gibt in seiner Osterbotschaft Raum für die Sprachlosigkeit, in der sich Menschen nach Katastrophen, nach unverhofften, tragischen Todesfällen oder eben traumatischen Erfahrungen befinden können.
Markus schafft zugleich mit seinem Satz Raum für den Gott, der in der Geschichte gehandelt hat und handelt; und dies, ohne ihn namentlich zu nennen. Wer will oder kann schon in einer Katastrophensituation von oder über Gott reden? Es könnte verletzen. Markus spielt allerdings auf den Gott an, der Spuren zieht, ohne dass sie gesehen oder erkannt werden (Ps 77).
Wenn Sie den Text der 1. Lesung aus dem Buch Génesis anhören möchten:
Wenn Sie den Text der 2. Lesung aus dem Buch Génesis anhören möchten:
Wenn Sie den Text der 3. Lesung aus dem Buch Éxodus anhören möchten:
Wenn Sie den Text der 4. Lesung aus dem Buch Jesája anhören möchten:
Wenn Sie den Text der 5. Lesung aus dem Buch Jesája anhören möchten:
Wenn Sie den Text der 6. Lesung aus dem Buch Baruch anhören möchten:
Wenn Sie den Text der 7. Lesung aus dem Buch Ezéchiel anhören möchten:
Wenn Sie den Text der Epistel aus dem Brief des Apostels Paulus an dei Gemeinde ein Rom anhören möchten:
Wenn Sie den Text aus dem heiligen Evangelium nach Markus anhören möchten:
In unseren Gedanken zu den Texten der Sonntage haben wir schon öfter auf die Problematik von Textauslassungen hingewiesen. Wir wollen einen Versuch starten und werden ab dem Beginn des neuen Lesejahres die Texte in der Länge der biblischen Verfasser lesen.
Seit Jahrhunderten beeindruckt die Bibel Menschen mit ihren Formulierungen. In der Zeit ihrer Entstehung für jeden verständlich brauchen Leserinnen und Leser von heute eine Übersetzung dieser Texte. Jede Übersetzung ist in gewisser Weise auch eine Deutung der Schrift. Die Einheitsübersetzung ist uns bereits vertraut. Wir wollen bewusst mit Beginn des neuen Kirchenjahres eine andere Übersetzung verwenden, um uns neu von den Texten überraschen zu lassen. Wir haben uns für die Übersetzung der BasisBibel entschieden, die seit Januar 2021 vollständig vorliegt. Die BasisBibel ist die Bibelübersetzung für das 21. Jahrhundert: klare Sprache, kurze Sätze und verständliche Sprache.
Ein Kommentar zu “Ein Gott der Spuren zieht 1. Lesung: Gen 1,1-2,2| 2. Lesung: Gen 22,1-18| 3. Lesung: Ex 14,15-15,1| 4. Lesung: Jes 54,5-14| 5. Lesung: Jes 55,1-11| 6. Lesung: Bar 3,9-15.32-4,4| 7. Lesung: Ez 36,16-17a18-28| Epistel: Röm 6,3-11| Evangelium: Mk 16, 1-7”
Lieber Erich, vielen Dank für deine Auslegung des Evangeliums. Die Verbindung mit dem Abschnitt aus Josua. Und Ps. 77 ist genial, mir völlig neu.
Immer wieder gelingt es dir mir bislang unerkannte Verbindungen biblischer Texte zu erschließen.
Dafür bin ich jedesmal dankbar. Heute will ich dir meinen Dank schicken.
Ich wünsche dir eine gesegnete Osterzeit und den unermüdlichen Glauben an das Gute, das Leben und die Liebe!
Herzliche Grüße Franz