Erinnerung an einen Skandal 1. Lesung: Jes 52,13-53,12| 2. Lesung: Hebr 4,14-16;5,7-9| Evangelium: Joh 18,1-19,42
Heiner Wilmer, seit 2018 Bischof von Hildesheim, hat 2013 das Buch „Gott ist nicht nett“ veröffentlicht. Er schildert darin den Besuch einer Wanderausstellung moderner Kunst. Von weitem wurde er dabei auf ein dreiteiliges Altarbild aufmerksam. Als er näherkam, dachte er zunächst: eine von vielen, vertrauten Kreuzigungsszenen. Er irrte. Denn am Kreuz hing ein blutüberströmter Hund. Ausführlich sind abstoßende Details geschildert. Das Bild des „gekreuzigten Köters“ habe auf ihn nicht nur ekelhaft gewirkt, so Wilmer, „Das war Gotteslästerung“. Dann aber, nach der Aufregung über „die Lust an Geschmacklosigkeit“, beschreibt er eine Wende seiner Wahrnehmung: „Und in diesem Moment vor dem Bild wandelte sich mein Entsetzen vor dem Kunstwerk mit einem Mal in ein Entsetzen über mich selbst, weil ich merkte, dass mich zum ersten Mal überhaupt in meinem Leben das Bild einer Kreuzigung wirklich ekelte.“ Schlagartig wird Wilmer nämlich bewusst, dass er zwar jeden Tag zu diesem Jesus betet – aber „nie, niemals zuvor hatte ich dieses Kreuz und den Gekreuzigten gesehen. Nie zuvor war mir die Entwürdigung und das Brutale, die Demütigung und das Widernatürlich am Kreuz aufgefallen wo wie bei diesem Bild“.
Die Erkenntnis, die in diesem Augenblick aufblitzt, wird zum Geständnis: „Mir wurde klar, wie abgewaschen und weichgespült mein Jesusbild geworden ist.“ Dass ihn ein gekreuzigter Hund mehr schockierte, als ein gekreuzigter Mensch es bis dahin je tat, das erschütterte Wilmer zutiefst. „Vielleicht“, so sein Resümee, „war dieses Bild damals der Auslöser, dass ich meinen Mangel im Verhältnis zu Jesus spürte. Erst als ich den geschändeten Köter sah, empfand ich Empörung darüber, was man einem Wesen antun kann“.
Bischof Wilmer hat mit einem neuen Blick auf das Kreuz geschaut. Gewohnheit kann blind machen. Glauben heißt immer auch neu sehen (lernen). Am Karfreitag ist es Teil der Liturgie die Enthüllung des Kreuzes. Es macht darauf aufmerksam, das Kreuz neu und in seiner Tiefe wahrzunehmen.
Es gibt diese Liebe, die für mich bis zum äußersten geht, die für mich das Leben riskiert.
In diesem Kreuz spiegelt sich mein Kreuz. Gott ist kein Kreuz fremd. Oft fehlen für die Kreuze plausible Gründe oder Begründungen. Sie wirken so oft sinnlos. Vielleicht gerade deshalb darf ich mit der Solidarität des Gekreuzigten rechnen, beziehungsweise sie erhoffen.
Die Enthüllung des Kreuzes ist zugleich der Hinweis, nicht blind zu werden. Die Gewöhnung an bestehende Kreuze ist eine unheimliche Versuchung. Es ist die Masche von Populisten die Kreuze zu verhüllen oder zu verharmlosen, an ihnen vorbeizugehen oder ihnen mit Gleichgültigkeit zu begegnen.
Das Kreuz ist die Erinnerung an einen Skandal der Unmenschlichkeit. Es kann und darf nie Grund für neues, menschliches Unheil sein. Es bleibt eine offene Frage, ob es dienlich ist, wenn das Zeichen für Unmenschlichkeit aus dem öffentlichen Raum verdrängt, abgehängt oder verharmlost wird.
Wenn Sie den Text der 1. Lesung aus dem Buch Jesája anhören möchten:
Wenn Sie den Text der 2. Lesung aus dem Hebräerbrief anhören möchten:
Wenn Sie den Text aus dem heiligen Evangelium nach Johannes anhören möchten:
1. Teil
2. Teil
3. Teil
4. Teil
In unseren Gedanken zu den Texten der Sonntage haben wir schon öfter auf die Problematik von Textauslassungen hingewiesen. Wir wollen einen Versuch starten und werden ab dem Beginn des neuen Lesejahres die Texte in der Länge der biblischen Verfasser lesen.
Seit Jahrhunderten beeindruckt die Bibel Menschen mit ihren Formulierungen. In der Zeit ihrer Entstehung für jeden verständlich brauchen Leserinnen und Leser von heute eine Übersetzung dieser Texte. Jede Übersetzung ist in gewisser Weise auch eine Deutung der Schrift. Die Einheitsübersetzung ist uns bereits vertraut. Wir wollen bewusst mit Beginn des neuen Kirchenjahres eine andere Übersetzung verwenden, um uns neu von den Texten überraschen zu lassen. Wir haben uns für die Übersetzung der BasisBibel entschieden, die seit Januar 2021 vollständig vorliegt. Die BasisBibel ist die Bibelübersetzung für das 21. Jahrhundert: klare Sprache, kurze Sätze und verständliche Sprache.