Auf eine Ewigkeit hin sterben dürfen 1. Lesung: Ez 37,12b-14| 2. Lesung: Röm 8,8-11| Evangelium: Joh 11,1-45
Um sich dem heutigen Text aus dem Johannes-Evangelium zu nähern, gibt es zwei Grundzugänge. Einmal kann man den Text so lesen, als ginge es im Wesentlichen gar nicht darum, Lazarus von den Toten aufzuerwecken, sondern ihn aus den Gräbern seines Alltags zu befreien. Es geht um Befreiung, um das Lösen von Bindungen und Zwängen, damit das Leben befreit fortgesetzt werden kann. Ezechiel formuliert dies so: „Siehe, ich öffne eure Gräber und hole euch, mein Volk, aus euren Gräbern herauf. Ich bringe euch zum Ackerboden Israels“ (Ez 12, 12b).
Beim anderen Zugang geht es um die Auferstehung der Toten in einem mystischen Sinn. Dieser Spur möchte ich nachgehen. Ezechiel spricht vom Geist Gottes, den er gibt und der uns lebendig werden lässt. Allein das aus den Gräbern holen gibt noch keine Lebendigkeit über den Tod hinaus. Paulus greift genau diesen Gedanken im Römerbrief auf: „Wenn aber der Geist dessen in euch wohnt, der Jesus von den Toten auferweckt hat, dann wird er, der Christus von den Toten auferweckt hat, auch eure sterblichen Leiber lebendig machen, durch seinen Geist, der in euch wohnt“ (Röm 8, 10-11).
Zweifelsfrei geht es im heutigen Text um die Auferstehung des Lazarus. Allerdings hat man das Gefühl als ziele die Erzählung darauf ab, den für uns unvorstellbaren und unbeschreibbaren Unterschied zwischen Sterben, Tod und Auferstehung zu einem neuen Leben veranschaulichen zu wollen.
Lazarus war offensichtlich krank und die Möglichkeit seines Todes stand im Raum. Er war so krank, dass sich die beiden Freundinnen Jesu – Maria und Martha – vermutlich für sich selbst, aber auch für ihren Bruder den Beistand Jesu erhofften. Jesus reagiert etwas eigenartig auf die Besuchsbitte. Einmal meint Jesus, Lazarus sei zwar krank, aber diese Krankheit führe nicht zum Tod, ein andermal sprach er von einem Genesungsschlaf. Am Ende steht aber auch für ihn fest, Lazarus ist gestorben. Ein eigenartiges hin und her.
Unter Lebensgefahr geht Jesus Richtung Jerusalem, denn seine Verhaftung durch die Römer war bereits eine reale Bedrohung. In den wenigen folgenden Zeilen werden uns die unterschiedlichen Haltungen beschrieben, wie Menschen auf Sterben und Tod eines nahen Angehörigen reagieren.
- Marta sucht die Bewegung und ist froh, den Ort der Trauer verlassen zu können. Sie geht zielstrebig weiter und auf Jesus zu. Sie bittet und wird vom Glauben getragen.
- Eine große Gruppe ist zum Trauerbesuch versammelt, sie will trösten und mittrauern.
- Jesus hat die Sterbestunde seines Freundes verpasst. Man hat den Eindruck, es braucht seine Zeit, bis er den Umstand realisiert. Erst als er aufgefordert wird, zum Grab zu gehen und die Anklage der Trauergemeinde hört, kommen Jesus zwei Mal die Tränen.
- Maria hat sich zu Hause eingeschlossen. Sie ist sprachlos geworden und versenkt sich in ihrer Trauer. Der Besuch Jesu kann sie aus der Lethargie herausholen. Sie bricht vor Jesus zusammen und weint.
- Was Marta und Maria vereint ist der Ausspruch: „Herr, wärest du hier gewesen, dann wäre mein Bruder nicht gestorben“ (Joh 11, 21 und 32).
Die menschlichen Hoffnungen beruhen darauf, dass durch den Erlöser, den Messias, den Christus das Sterben aus der Welt geschafft wird: dieses Weggehen und Weggehen lassen, dieser vermeintliche endgültige Abschied von einem geliebten Menschen, dieses letzte Ringen um Atem und Leben, jene Tatsache, die uns weinend und trauernd zurücklässt. Auch für Jesus ist dieser Umstand traurig und rührt ihn zu Tränen. Er weiß, dass er das Sterben nicht aus der Welt schaffen kann – für Lazarus nicht und für sich selbst auch nicht.
Marta, die kurz zuvor ein großes Glaubensbekenntnis abgelegt hat, steht nun mit Jesus am Grab und sie hat Zweifel bzw. sie kann sich nicht vorstellen, wie Sterben/Tod und Auferstehung ineinander gehen können. Geht es uns nicht auch so, wenn wir am Totenbett stehen? Können wir fassen, was da geschehen ist? Können wir in diesen Momenten glauben? In Bezug auf Sterben und Tod stehen wir doch alle vor einem großen Rätsel.
Ich denke, die heutige Erzählung will uns verdeutlichen, dass das Sterben zum Leben gehört. Diesen Umstand kann Jesus bei all seiner eigenen Trauer um Lazarus und die Angst vor seinem eigenen Sterben nicht nehmen. Er nimmt uns aber die Sorge, auf einen endgültigen Tod hin sterben zu müssen und schenkt uns die Zuversicht, auf eine Ewigkeit hin sterben zu dürfen. Ja, Lazarus ist gestorben, aber der Tod hat keine Macht über ihn. Jesus lässt den Stein hinwegrollen und die Binden des Todes lösen. Wie das Durchtrennen der Nabelschnur zu einem Weg in die Eigenständigkeit des Lebens auffordert, so befreit Jesus den gestorbenen Lazarus von der Schwere des Lebens durch das Wegrollen des Steines und schenkt ihm die Freiheit zu einem neuen Leben durch das Lösen der Binden – den Verflechtungen des gelebten Lebens. Jesus nimmt dem Tod den Charakter des Endgültigen. „Ich bin die Auferstehung und das Leben“ (Joh 11,25) – da behält der Tod nicht das letzte Wort. Es scheint, als wäre die Auferstehung eine Durchgangspassage. Weder eine Geburt noch der Tod können rückgängig gemacht werden – für niemanden. Die Liebe Gottes kann allerdings auch durch den Tod nicht vernichtet werden, denn „stark wie der Tod ist die Liebe“ (Hld 8,6). Lazarus steht mit seinem Namen dafür, er bedeutet: „Gott ist Helfer“ oder „der, dem Gott hilft“.
Wenn Sie den Text der 1. Lesung aus dem Buch Ezéchiel anhören möchten:
Wenn Sie den Text der 2. Lesung aus dem Brief des Apostels Paulus an die Gemeinde in Rom anhören möchten:
Wenn Sie den Text aus dem heiligen Evangelium nach Johannes anhören möchten:
2 Kommentare zu “Auf eine Ewigkeit hin sterben dürfen 1. Lesung: Ez 37,12b-14| 2. Lesung: Röm 8,8-11| Evangelium: Joh 11,1-45”
Ich könnte mir vorstellen, dass nicht nur dem Glauben fernstehende Menschen sich am Grab eines Verstorbenen vielleicht fragen: „Was nu?“ – „Endloses Halleluia-Singen?“ – „Warum keine Kontaktmöglichkeit?“
Mir hilft da erhellend und tröstlich eine Bibelstelle bei Paulus im 1. Kor. 15:35-38.
Das Bild vom Samenkorn (oder Raupe-Schmetterling) spricht von einer alles entscheidenden „Verwandlung“, nicht Fortsetzung eines Zustandes.
So sollte uns der Übergang von einer „Dimension“ in eine andere nicht erschrecken, sondern helfen, uns in der jetzigen möglichst umfassend auf die nächste einzustimmen.