David, der “andere König”
Samuel erhält den Auftrag, für König Saul einen Nachfolger zu finden. Er wird zum Betlehemiter Isai gesandt: „Sieh nicht auf das, worauf der Mensch sieht, denn er sieht, was vor den Augen ist, der Herr aber sieht auf das Herz.“ (1 Sam 16,7) So wählt Samuel weder Eliab („Mein Gott ist Vater“) noch Abinadab („Vater ist freigebig oder edelsinnig“) noch Schima („Künder Gottes“) noch einen anderen der sieben Brüder, sondern den jüngsten, David („Geliebter“, „Liebender“). Den, der noch als Hirte auf dem Feld arbeitet, salbt Samuel zum neuen König. Etwas salopp kann gefolgert werden, dass jener für das Amt taugt, der das Volk liebt und nicht so sehr jene, die missionarisch, spendabel-versprecherisch oder idealistisch unterwegs sind.
König ohne Palast, Thron, Heer oder Dienerschaft
David ist von Samuel zum König gesalbt und bleibt weiterhin Hirte. Es ist die Autorität seiner Person mit seinen Talenten und Fähigkeiten, die ihn jetzt schon dieses Amt ausüben lässt. Seine Autorität leitet sich nicht von einem beeindruckenden Palast, nicht von einem starken, unbesiegbaren Heer oder einer großen Dienerschaft, die ihm alle Wünsche erfüllen kann, ab. Als ein Mensch von der Liebe geleitet, steht er im Dienste des Volkes und beginnt es zu führen. Er stellt sich sogar in den Dienst des Königs Saul, der, von einem bösen Geist getrieben, nach einem Musiker sucht, der ihn zu beruhigen vermag.
David als „Krieger“
In diese Zeit fällt die Auseinandersetzung mit den Philistern. Im Terebinthental stehen sich die Israeliten und Philister gegenüber. Die älteren Brüder Davids befinden sich in den Reihen Israels. Als David, vom Vater gesandt, bei ihnen nachfragt, wie es ihnen gehe, verhöhnen sie ihn als einen Neugierigen, der zu nichts taugt, schon gar nicht für den Kampf im Krieg (1 Sam 17,28f). Sie fallen zugleich aber selbst in eine große, lähmende Angst vor dem Riesen Goliat, der Israel immer provozierender zum Kampf herausfordert. Da tritt David vor. Er mahnt, nicht den Mut zu verlieren, und er stellt sich dem Provokateur entgegen. Dazu wird David von Saul eine Rüstung angezogen. Er aber legt sie wieder ab, weil sie ihn in der Beweglichkeit zu sehr einschränkt. Mit einem Stock und fünf Kieselsteinen wagt er den Kampf mit dem hochgerüsteten Goliat. Es ist ein ungleicher Kampf. David trifft Goliat mit einer Steinschleuder, d. h. mit einem Kieselstein an der Schläfe (1 Sam 17,49). Es ist ein Sieg, den Gott gefügt hat. Er wurzelt nicht in einer starken Ausrüstung, sondern im Mut, in der Beweglichkeit, im Einsatz der eigenen Fähigkeiten und im Vertrauen auf den Herrn des Lebens und der Geschichte.
Diese biblische Szene ist ein Plädoyer für Gewaltlosigkeit. Es bleibt eine tödliche Verletzlichkeit trotz starkem Heer, Rüstung und Waffen. Ein lächerlicher Kieselstein kann die größte Macht ins Wanken bringen. David weiß um diese Verletzlichkeit als König und Lenker seines Volkes. Es ist Gott, der den Sieg verleiht. Es ist Gott, der das Leben schenkt und erhält.
David und Saul
Es kommt, was kommen muss. Saul wird eifersüchtig, weil die Menschen David mehr zuzutrauen beginnen (1 Sam 18,8f). Tiefe Feindschaft entsteht zwischen Saul und David. Es gibt mehrere Versuche des Saul, David zu töten. Er ist sich nicht zu schade, sogar die Töchter als tödliche „Köder“ einzusetzen (1 Sam 18,17-25).
Obwohl David fliehen muss, sinnt er nicht auf Rache. Es bietet sich ihm sogar die Chance, Saul zu töten. In derselben Höhle, in der sich David versteckt hält, verrichtet Saul die Notdurft (1 Sam 24). David schneidet mit dem Schwert einen Zipfel von Sauls Mantels ab. Nachdem Saul die Höhle verlassen hat, ruft David ihm nach und zeigt ihm den Zipfel seines Mantels.
Saul bricht in lautes Weinen aus, als er erkennen muss, dass ihn David verschont hat: „Du hast mir Gutes erwiesen, während ich böse an dir gehandelt habe.“ (1 Sam 24,18) Saul wirkt einsichtig, doch seine Eifersucht und Zweifel David gegenüber werden wieder so mächtig, dass er ihn erneut töten will. Gegen misstrauische Menschen scheint kein Kraut gewachsen zu sein. Saul sucht ihn in der Wüste Sif und schlägt ein Lager auf. Diesmal wagt es David mit dem Begleiter Abischai, nächtens in das Lager des Saul einzudringen. Wieder bietet sich ihm die Möglichkeit, den jetzt schlafenden Saul zu töten, steckt doch sein Speer unmittelbar neben dem Kopf im Boden. Doch David sagt: „Wer hat je seine Hand gegen den Gesalbten des Herrn erhoben und ist ungestraft geblieben?“ (1 Sam 26,9)
Übergang ohne Gewalt
David stellt sich gegen die gewaltsame Beseitigung des alten Königs Saul. Es ist keine Lösung und bringt keinen Frieden. David überlässt es Gott, wann die Zeit für die Übergabe reif ist oder wird. Wir wissen aus der jüngsten Geschichte, dass die gewaltsame Beseitigung von Diktatoren oder Unrechtsregimen Länder nicht befrieden kann. Veränderungen brauchen Zeit. Das Wachsen einer neuen, gerechten Gesellschaft erfolgt von unten und geschieht meist in langwierigen Prozessen. Saul schafft den geordneten Übergang nicht. Hat ihn die Macht blind gemacht?
Jesus, der „neue“ David
Jesus wehrt sich dagegen, dass er zum König gemacht wird (Joh 6,15). Erst als er als Verurteilter vor Pilatus steht, spricht er davon, dass er ein König sei, allerdings: „Mein Königtum ist nicht von dieser Welt“. (Joh 18,36) Es ist dieses Königtum ohne Palast, Thron, Heer und Dienerschaft. Es ist ein Königtum, dessen Autorität in der Liebe gründet. Er leitet und führt sein Volk über alle Grenzen hinweg als starke Person – in und aus Liebe.
Dieser Artikel ist erstmals in der Zeitschrift „Dein Wort – Mein Weg“ – Alltägliche Begegnung mit der Bibel in der Ausgabe 3/18 publiziert worden.