Die heilende Kraft der Vergeltung Gottes 1. Lesung: Jes 35,4-7| 2. Lesung: Jak 2,1-5| Evangelium: Mk 7,31-37
„Die Rache Gottes wird kommen und seine Vergeltung“ – dieser Halbsatz aus dem Propheten Jesaia ist angetan das Vorurteil zu bestätigen, dass das I. Testament einen Gott der Rache und Vergeltung verkündet. Leider ist es viele Jahrzehnte, ja Jahrhunderte von der Kirche selbst gelehrt worden. Es ist ein tragisches Unverständnis, das im Laufe der Geschichte der Kirche selbst viel Schaden, noch mehr aber dem Judentum angerichtet hat. Dieses Vorurteil dem I. Testament gegenüber hat dazu beigetragen, im Namen Gottes Gewalt auszuüben und ist mitverantwortlich für Progrome an den Juden.
Mit aller Deutlichkeit sei daher vorweg gesagt: Es ist ein fatales Vorurteil dem I. Testament gegenüber, ihm zu unterstellen, es verkünde einen sich rächenden, einen vergeltenden Gott. Es wäre Verrat an dem sich biblisch offenbarenden Gott, Verrat an seinem Wesen.
Es stellt sich natürlich die Frage: Warum steht in der Lesung eine solche Äußerung über bzw. von Gott? Was ist Hintergrund der Äußerung: „Die Rache Gottes wird kommen“? Was ist der tiefere Sinn?
Der Text stammt aus dem Deuterojesaia. Es wirkt als Prophet im babylonischen Exil. Jerusalem liegt in Trümmern. Der Großteil des Volkes wurde zwangsdeportiert. Auch die politische u. religiöse Führungsschicht trifft das Los der Sklaverei. Diese Menschen wissen nicht, wie es weitergehen wird? Sie stehen in einem schwierigen Überlebenskampf, der Tage, Wochen, Monate, schließlich sogar Jahre dauert. Als Sklaven sind sie rechtlos. Es gibt Gewalt gegen Männer, Frauen und Kinder. Niemand hört die Schreie, bzw. könnte diesem Treiben ein rasches Ende setzen.
In diese Situation spricht Jesaia, der Prophet: Sagt den Verzagten: „Habt Mut, fürchtet euch nicht! Seht, hier ist euer Gott! Die Rache Gottes wird kommen und seine Vergeltung; er selbst wird kommen und euch erretten.“
Habt Mut! Fürchtet euch nicht! Vermutlich kamen diese Worten bei vielen Menschen gar nicht an, d.h. sie konnten es nicht glauben. Zu aussichts- u. hoffnungslos war ihnen ihre Situation. Der Prophet schöpft seine Hoffnung aus der Rückbesinnung in die Geschichte. Gott hat schon einmal das Volk aus einer scheinbar ausweglosen und aussichtslosen Situation errettet, nämlich aus der Knechtschaft Ägyptens. Der Prophet klammert sich an diese Erinnerung und schwört auch das Volk auf diese Erinnerung ein. „Seht, hier ist Gott! Dieser Gott ist auch jetzt in unserer Mitte. Schenkt ihm Vertrauen. Verlasst euch auf ihn.
Dann fährt der Prophet Jesaia fort: „Die Rache Gottes wird kommen und seine Vergeltung.“ Der Prophet Jesaia weiß nur all zu gut, dass es im Volk gärt, dass im Volk immense Rachegelüste herumschwirren. Gedemütigt als Fremde, dem Spott, der Gewalt und Willkür ausgeliefert, herangezogen zur Schwerarbeit. Die Frage ist: Wie kann der Mensch mit diesen Rachegefühlen leben und zwar gut umgehen?
Jesaia kanalisiert dieses verständliche Wunschdenken nach Rache. Er gibt seinen Zuhörern unmissverständlich die Richtung an. „Die Rache Gottes wird kommen und seine Vergeltung“. Nicht euch – dem Volk – steht es zu, sich an den Herren, Zwingherren und Feinden zu rächen und Vergeltung zu üben. Überlasst die Rache und Vergeltung Gott. Ihm sei es anvertraut.
Es geht um eine Spiritualität des Widerstands und zugleich der Gewaltlosigkeit. Wenn sich Menschen zu rächen beginnen, dann droht die Spirale der Gewalt, der Verletzungen, ja des Blutvergießens und des Tötens. Jesaia trägt auf, die Rache Gott zu überlassen, denn sein Handeln bleibt ein Handeln zum Heile der Menschen, selbst für die Feinde.
Wie die Rache und Vergeltung Gottes konkret aussieht, beschreibt der Prophet im Weiteren. Er sagt: „Er – Gott – selbst wird kommen und euch erretten. Dann werden die Augen der Blinden geöffnet, auch die Ohren der Tauben sind wieder offen. Dann springt der Lahme wie ein Hirsch, die Zunge des Stummen jauchzt auf. In der Wüste brechen Quellen hervor, und Bäche fließen in der Steppe …”
Nein, wenn er in seiner Rache kommt, wird kein Blut fließen, sondern es bricht eine neue Heilszeit an: Lahme gehen, Blinde sehen, die Zunge der Stummen jauchzt, in der Wüste brechen Quellen hervor. Das Blatt wird sich wenden. Ihre neuerliche Wüstensituation wird sich wandeln. Sie werden darin neue Lebensquellen entdecken dürfen.
Sich nicht selbst rächen, sondern die Rache Gott überlassen – das ist prophetischer Geist. Prophetischer Geist wie ihn Mahatma Ghandi, Nelson Mandela, Vaclav Havel, Provikar Carl Lampert, die Jüdin Etty Hillesum, die Afroamerikanerin Rosa Park u.a. gelebt haben. Es ist eine heilsame Kraft.
Rachegelüste und Rachegefühle – wer kennt sie nicht? Und wer hat sie nicht? Sie kommen auch in unserer kleinen Lebenswelt vor, nicht nur in der großen. Ich wünsche uns allen, dass wir im Sinne des Jesaia leben lernen, im Sinne des prophetischen Geistes: Gott die Rache zu überlassen. An ihr kann die Welt, die Schöpfung und die Geschöpfe sogar heilen.
Es ist keine Frage, es ist eine Herausforderung in eine solche Spiritualität der Gewaltlosigkeit hineinzuwachsen. Zwei mögliche Hilfen dazu:
Eine erste Hilfe bieten uns Psalmen, etwa Ps 139 oder Ps 83, Ps 109 … Die Psalmen nehmen die Menschen in das Gebet hinein, d.h. Betende bringen jene Menschen vor Gott, mit denen sie im Kampf sind. Sie hadern mit Gott. Sie hadern mit ihm, machen ihm sogar Vorwürfe. Sie ringen mit ihm, damit sie in der Auseinandersetzung mit dem Mitmensch ihre Mitte nicht verlieren, nicht dem Hass erliegen.
Eine andere Möglichkeit hörte ich von einem evangelischen Pastor aus Betlehem. Er ist Palästinenser. Er erzählte, wenn er ohnmächtig einer Unrechtssituation gegenüber steht, eben auch mit Rache- und Vergeltungsgedanken erfüllt ist, dann setzt er der Situation immer bewusst eine Tat der Hoffnung entgegen. Es kann eine Spende für eine caritative Einrichtung sein, es kann der Besuch einer kranken Person sein, oder es kann auch der Anruf eines Israeli sein und ein Gespräch zu führen, das dem Dialog dient, … sozusagen dem Bösen etwas Gutes entgegen stellen. Ich will mich nicht von der Wut oder dem Hass auffressen lassen, das ist Ziel.
Letzteres ist im Grunde nichts anderes, als was der Prophet Jesaia sagt: „Er – Gott – selbst wird kommen und euch erretten. Dann werden die Augen der Blinden geöffnet, auch die Ohren der Tauben sind wieder offen. Dann springt der Lahme wie ein Hirsch, die Zunge des Stummen jauchzt auf. In der Wüste brechen Quellen hervor, und Bäche fließen in der Steppe … Wir sind als Christen dazu gerufen: eine Alternative für die Welt zu sein.
3 Kommentare zu “Die heilende Kraft der Vergeltung Gottes 1. Lesung: Jes 35,4-7| 2. Lesung: Jak 2,1-5| Evangelium: Mk 7,31-37”
Dem ist nichts hinzuzufügen. Warte Worte, dennoch wissen wir, wie das Tier in uns programmiert ist, wenn mich jemand bedroht. 1. Tot stellen, 2. Flüchten oder 3. Angriff. Alles samt naturnahe Verhaltensmuster, die uns in die Wiege gelegt sind. Wie sagt, denn aber Viktor Frank, “Zwischen der Reaktion des Aggressors und unserer Reaktion, liegt der Bruchteil einer Sekunde und bewußt gegen einen naturgegebenen Reflex zu entscheiden, und darin liegt das Göttliche, die Alternative!
Andreas Fartek, könnten Sie mir bitte die Quellenangabe (Buchtitel etc.) für das Viktor-Frankl-Zitat nennen. Vielen Dank!
Meine Email: leosum@web.de (oder hier als Antwort!)
Grüße!
Leo S.
Die Israeliten sind im Exil, wenn sie aufmucken, sind sie erledigt, daher der Rat: die Faust im Sack zu machen und den Hass im Kopf zu behalten? Wenn sie aber Macht haben z.B. gegen ehebrechende Frau: Steine! Jesus geht da schon weit darüber hinaus.