Den Blick weiten 1. Lesung: Sir 3,17-18.28-29 |2. Lesung: Hebr 12,18-19.22-24a|Evangelium: Lk 14,1.7-14
Der Brief an die Hebräer ist vermutlich zwischen den Jahren 85 bis 95 n. Chr. in Rom entstanden. Er weist auf eine bevorstehende Verfolgung hin. Wahrscheinlich bezieht sie sich auf jene des Kaisers Domitian, der die Christen im ganzen römischen Reich verfolgen ließ. Es machte viele Gläubige müde und mürb.
Den Autor des Briefes kennen wir nicht. Er war ein Gelehrter und dürfte im Dunstkreis des Paulus gestanden haben. Er will die Gläubigen neu motivieren, bzw. ihnen aufzeigen, was unter den Augen Gottes geschieht und Anlass zur Hoffnung ist. Einige Aussagen und Bilder, die der Brief verwendet, versuche ich zu erläutern:
Der Autor schreibt: Ihr seid … zum Berg Zion hingetreten, zur Stadt des lebendigen Gottes, des himmlischen Jerusalem … Nun: Was ist damit gemeint? Mit „Berg Zion“ verbindet der biblische Mensch Jerusalem mit dem Tempel. Es ist der Ort der Gegenwart Gottes. Es ist der Treffpunkt des Glaubens, der Ort des Gebetes und der Hoffnung. An diesem Ort haben sich die Menschen getroffen, um zu beten, zu diskutieren, zu feiern und zu opfern.
Aber als der Autor diese Worte schreibt, ist Jerusalem und der Tempel zerstört. Und doch schreibt er den Christen: ihr seid zum Berg Zion hingetreten, zur Stadt des lebendigen Gottes.
Wie leicht könnte er in der Situation lamentieren: Wir sind von Gott verlassen. Wir können den Glauben nicht mehr leben, weil das Zentrum fehlt. Wir befinden uns in einer Katastrophe. Der Autor jedoch sieht in der Entwicklung und in diesen Veränderungen Gottes Gegenwart, Gottes Wirken. Er deutet das Bild vom Berg Zion um. Der Berg Zion, die Stadt Gottes, das himmlische Jerusalem ist die neue Glaubensgemeinschaft, durch die sie durch die Taufe hinzugetreten sind. Es gibt einen neuen Ort des Glaubens, der trägt: die Gemeinschaft, in die Jesus ruft und die ER ihnen neu schenkt.
Das himmlische Jerusalem beschreibt die Erfahrungen, die Christen miteinander in der Nachfolge Jesu machen. Das himmlische Jerusalem zeigt sich in den Erfahrungen von Gemeinschaft, in der sich Menschen gegenseitig Mut und Hoffnung zusprechen, in der Perspektiven für eine gerechte und menschliche Welt wachsen, in den Gemeinschaften, in der Solidarität mit Notleidenden und einer geschundenen Schöpfung zum Thema geworden sind.
Was der Autor des Hebräerbriefes im Glauben vollzieht, hat vermutlich jede Zeit notwendig. Es ist ein Loslassen von vertrauten Vorstellungen, um mit einem lebendigen Glauben auf neue Herausforderungen reagieren zu können. Es ist ein Weiten des Denkens, um dem Willen Gottes auf der Spur zu bleiben.
In unserer Sprache würde man sagen, der Schreiber des Hebräerbriefes globalisiert den Glauben. Gottes Gegenwart und Wirken ist nicht länger auf die Stadt Jerusalem und den Tempel beschränkt, sondern wir erfahren sie durch Menschen, die eine lebendige Beziehung zu Gott, zu Jesus und in der Gemeinschaft, die vor allem Verantwortung für die Menschen und ihr Leben übernehmen. Hier wird Gottes Gegenwart erlebt. Hier wirkt er mit seiner Gegenwart.
Er weitet den Glauben in einer Weise, wie es vor allem auch die Erfahrung unserer Welt ist. Wir sind schicksalhaft mit der ganzen Welt und mit allen Menschen verbunden. Wir können heute nicht mehr sagen, es ist uns gleichgültig, was irgendwo in der großen Welt passiert. Wir sind betroffen von den Kriegen, vom Hunger, vom globalen Klima, von Katastrophen u.a.m. Wo immer sie passieren, es geht uns an.
Es ist interessant, dass der Autor des Hebräerbriefes in der gegebenen Notsituation nicht den Rückzug in die kleine, sichere Gruppe fordert, sondern aufruft, den Blick zu weiten und offen für die Not anderer Menschen zu bleiben.
Der Autor argumentiert dabei: Der Berg Zion, das himmlische Jerusalem …, da gibt es Tausende von Engeln. Ja, es gibt sie auch heute, diese vielen Menschen, die ohne Schlagzeilen zu machen, ohne Lohn und ohne, dass von ihnen Notiz genommen wird, sich in den Dienst anderer Menschen stellen, die ihr Leben trotz widrigster Umstände meistern. Schaut auf sie – die engelhaften Menschen -, seid Teil dieser Gemeinschaft und schaut nicht so sehr auf den gewaltsüchtigen „Kaiser“, auf spaltende und vereinfachende Populisten, die Versprechungen im Wissen geben, die sie nie halten müssen oder können. Es gibt viel engelhafte Menschen über die Grenzen der Religionen hinweg.
… der Autor weiter: ihr seid hinzugetreten zu einer festlichen Versammlung und zur Gemeinschaft der Erstgeborenen, die im Himmel verzeichnet sind. Mit anderen Worten: Lasst euch nicht die Freude am Leben, an der Gemeinschaft und am Glauben nehmen; lasst euch nicht die Freude nehmen, die gerade dadurch wächst, wenn ihr euch „gratis“ in den Dienst von Menschen stellt.
… der Autor nochmals: ihr seid hinzugetreten zu Gott, dem Richter aller, zu den Geistern der schon vollendeten Gerechten, zum Mittler eines neuen Bundes, Jesus. Jesus ist nicht gekommen zu richten, sondern zu retten, lesen wir im 3. Kapitel bei Johannes. Sein Gericht ist ein Retten. So versteht euch jetzt schon als Gerettete. Und lebt als „rettende“ Menschen, wo immer ihr seid. Es wächst euch Kraft zu. Es wächst euch Lebensqualität zu. Sie ist nicht mit Wohlstand zu verwechseln.
Der Autor des Hebräerbriefes hat eine Gemeinde vor sich, die einen großen Veränderungsprozess erlebt. Wir können es auch Wandel nennen. Er macht den Adressaten Mut, gerade in dieser Veränderung Gottes Wirken zu erkennen. Zugleich zeigt er Perspektiven fürs Wachstum auf.
Wenn Sie den Text der 1. Lesung aus dem Buch Jesus Sirach anhören möchten:
Wenn Sie den Text der 2. Lesung aus dem Hebräerbrief anhören möchten:
Wenn Sie den Text aus dem heiligen Evangelium nach Lukas anhören möchten: