Die dunkle Seite Gottes 1. Lesung: Gen 1,1-2,2 | 2. Lesung: Gen 22,1-18 | 3. Lesung: Ex 14,15-15,1 | 4. Lesung: Jes 54,5-14 | 5. Lesung: Jes 55,1-11 | 6. Lesung: Bar 3,9-15.32-44 | 7. Lesung: Ez 36,16-17a.18-28 | 8. Lesung: Röm 6,3-11 | Evangelium: Mk 16,1-8
Ostern lässt uns mit Halleluja-Rufen jubeln. Ja, Freude und Dankbarkeit liegt in den Liedern, liegt über dieser Feier, die uns zusammengeführt hat. Es ist gut und recht so. Wenn wir uns allerdings den Osterbericht des Markus vor Augen führen, drängt sich die Frage auf: Ist das berechtigt? Ist es angemessen, so schnell nach dem Karfreitag in diesen Jubel auszubrechen? Ich beziehe mich besonders auf den letzten Satz des Evangeliums. Es ist einer jener Sätze, der dem Volk normalerweise vorenthalten wird. Er wird nicht gelesen, obwohl er das Markus-Evangelium in der ersten Fassung abschließt. Erst später wurde das Evangelium mit Erscheinungen des Auferstandenen ergänzt. Das erste Ende lautet: „Da verließen sie (die Frauen) das Grab und flohen; denn Schrecken und Entsetzen hatte sie gepackt. Und sie sagten niemanden etwas davon; denn sie fürchteten sich.“ (V 8) Stier hat den Satz wie folgt übersetzt: „Und hinaus gingen sie, flohen vom Grab. Noch zitterten sie und waren außer sich. Und mit niemand sprachen sie etwas – voll Furcht wie sie waren.“
Was soll an diesem Schluss österlich sein? Welche Botschaft hält Markus bereit?
Es mag helfen, wenn wir uns in die Situation der Frauen hineindenken. Sie erleben den Tod Jesu, den Tod des Freundes, den Tod jenes Menschen, mit dem sie alle ihre Hoffnungen verbanden. Sie kommen zum Grab und da ist nur noch das leere Grab. Sogar der Leichnam fehlt. Es ist das Nichts, das sie sprachlos macht.
Es erinnert mich an verschiedene Situationen, in denen ich Menschen erlebe. Menschen, die von einem Arzt über eine schwerwiegende Erkrankung informiert werden, die ihnen den Boden unter den Füßen entzieht. Schrecken und Entsetzen packt sie, kaum fähig noch eine Frage zu stellen. Menschen, die den Tod eines nahen Angehörigen erleben und keine Vorstellung haben, wie es weiter gehen könnte? Seit Ostern vergangenen Jahres haben wir hier einen Vater verabschiedet, der am Tag der Geburt der Zwillinge und eine Mutter, die ebenso am Tag der Geburt ihres Kindes verstarb. Sprachloses Entsetzen und Erschrecken bei vielen.
Es erinnert mich ebenso an Menschen, die das unerwartete Ende der Liebe, der Ehe oder Partnerschaft erleben. Es ist bei vielen ein Erschrecken, das sie vorerst einmal sprachlos werden lässt.
Schrecken und Entsetzen nach Arbeitsverlust, wenn ein Kind einer Sucht verfällt oder das Leben einfach nicht auf die Reihe bringt, … es könnten noch mehrere Beispiele aufgezählt werden. Und etwas ist klar, niemand wird sagen können, mich wird es nicht treffen.
Der Evangelist Markus hat die Botschaft, da wo die Menschen sprachlos am Ende, vom Schrecken und Entsetzen ergriffen sind und vor dem Nichts stehen und für sich keine Zukunft mehr sehen, da ist mit Gott zu rechnen, da beginnt sein österliches Werk. Es ist für Gott noch keineswegs das Ende, wenn der Mensch in seinem Denken, Erleben und Tun scheint am Ende zu sein.
Markus mit seinem Osterevangelium mutet uns die dunklen Seiten Gottes zu. Es gibt keine Erscheinung des Auferstandenen, keine Gewissheit, dass ER lebt. Er gibt auch keine Antwort darauf, warum das Nichts ist? Im ersten Schluss ist auch keine Erwähnung, dass der Karfreitag sofort vorbei sei. Sie haben einen Weg zu gehen, erst in Galiläa werden sie IHN erleben. Manchmal können oder müssen wir mit mehr oder weniger Vertrauen einen Weg gehen, ehe uns aufgeht, ja er ist da, bzw. er geht mit uns oder kommt uns entgegen.
Von den Frauen am Grab heißt es, sie erzählten niemand davon. Die Frage ergibt sich: Wie kommt es zur Osterbotschaft? Eine mögliche Deutung ist, dass Markus den Lesenden und Hörenden sagen will, es kommt auf dich an. Du bist es, der Ostern – die Auferstehungserfahrungen – erzählen soll. Erzähle davon, was dich aufrichtet, Kraft schenkt, Mut und Vertrauen gibt; erzähle davon, was sich aus dem Schrecken und Entsetzen herausgeführt hat; was dir half, deine Sprachlosigkeit zu überwinden. Beim gegenseitigen Erzählen ereignet sich Ostern.
Ein letzter Gedanke: Am Beginn des Evangeliums wird erzählt, dass die Frauen in aller Frühe zum Grab kommen als die Sonne aufging. Es ist mehr als eine Zeitangabe zum Tag. Es sind biblische Anspielungen, die dem Text eine besondere Tiefe und Aussagekraft verleihen. Wir sind erinnert an die sogenannte Sündenfallerzählung und an den Brudermord des Kain. Die Erzählungen gipfeln in den Aussagen, dass Gott den Menschen östlich des Gartens Eden wohnen lässt. Gott stellt den Menschen in die aufgehende Sonne, ins Licht. Es ist der barmherzige Gott, der die Sonne aufgehen lässt über Böse und Gute und der es regnen lässt über Gerechte und Ungerechte. (Mt 5,45) Es ist der barmherzige Gott, der den Menschen nicht um Dunkeln lässt, sondern für ihn das Licht und das Leben will. An Ostern ist der vergebende und versöhnende Gott am Werk.
Als österlicher Mensch: stelle niemanden ins dunkel, sondern stelle wie Gott die Menschen ins Licht, in die Sonne.
Ein Kommentar zu “Die dunkle Seite Gottes 1. Lesung: Gen 1,1-2,2 | 2. Lesung: Gen 22,1-18 | 3. Lesung: Ex 14,15-15,1 | 4. Lesung: Jes 54,5-14 | 5. Lesung: Jes 55,1-11 | 6. Lesung: Bar 3,9-15.32-44 | 7. Lesung: Ez 36,16-17a.18-28 | 8. Lesung: Röm 6,3-11 | Evangelium: Mk 16,1-8”
Mich erinnert das ursprüngliche Ende des Markus-Evangeliums an die Schilderungen zum Wirkungsbeginn Jesu:
Taufe als Beginn einer Sendung – Wüste – Aufruf: Kehrt um und glaubt an das Evangelium!
Tod als Eintritt in ein neues Leben – Grab – Aufruf zur Umkehr (Rückkehr) nach Galiäa und daran zu glauben, die frohe Botschaft erleben zu dürfen.