Schrift einer Umbruchszeit 1. Lesung: Weish 12,13.16-19| 2. Lesung: Röm 8,26-27| Evangelium: Mt 13,24-43
Es ist das zweite Gebot: „Du sollst dir kein Kultbild (von Gott) machen“ (Dtn 5,8). Die Bibelstellen des Sonntags bieten eine Auseinandersetzung mit diesem Gebot. Unter diesem Gesichtspunkt gehe ich vorwiegend auf die Lesung aus dem Buch der Weisheit ein.
Das Buch ist eine junge, biblische Schrift, das heißt sie ist nicht viel älter als die neutestamentlichen Texte, 1. Jht. n.Chr. Sie ist auch nicht in hebräischer, sondern bereits in griechischer Sprache verfasst. Griechisch war damals die verbindende Sprache wie heute das internationale Englisch. Ein wesentliches Anliegen der Schrift war es, das Verbindende zwischen der griechischen Kultur und der Tradition Israels zu beschreiben und im Weiteren darzulegen, was die besondere Erfahrung Israels mit ihrem Gott ausmache. Es ist eine Schrift in einer großen Umbruchszeit. Alexander d. Große hatte den Nahen und Mittleren Osten erobert. Er brachte die hellenistische Hochkultur und Götterwelt, einschließlich der Erzählungen von und über die Götter mit nach Palästina.
Verständlicherweise gab es in Israel Gruppen, die sich von diesen „Ungläubigen“ völlig abgrenzten, ihnen gegenüber feindlich gesinnt waren und möglichst jede Berührung mieden. Es gab andere, die fragten: Wo ist unser Gott? Was können wir noch erhoffen? Was ihm zutrauen? Hat er uns verlassen? Ist unsere Situation die Folge von Sünde und damit eine Strafe? Wer hat Schuld daran? Was ist jetzt unsere Aufgabe? Wie gehen wir mit diesen nichtigen Göttern um? Leisten wir gegen diese fremde Kultur Widerstand? Andere fürchteten schlicht um die Zukunft ihrer Religion und warfen Gott vor, er habe seine Gerechtigkeit verlassen.
Das Buch der Weisheit setzt sich mit all diesen Fragen auseinander und setzt Akzente:
Eine erste Feststellung: Das Buch erklärt keinen Menschen und keine Menschengruppe zu Feinden. Es vermeidet das Schüren einer feindlichen Stimmung. Vielmehr hält es fest: Es gibt keinen Gott, Herr, außer dir, der für alles Sorge trägt; daher brauchst du nicht zu beweisen, dass du gerecht geurteilt hast. Gott, der Herr, der für alles Sorge trägt. Da ist ein Pflock des Glaubens eingeschlagen. Gott, der Sorge trägt für dich und mich, für Freund und Feind, für Alt und Jung, für Nachbarn und Fremde, für Flüchtlinge und Notreisende. Gott, der Herr, der für alles Sorge trägt, der kein Schwarz-Weiß, kein Freund-Feind-Denken kennt.
Das Buch der Weisheit wehrt sich im Weiteren dagegen, dass über Gott geurteilt wird, dass er sich für sein Tun oder nicht Tun zu rechtfertigen hätte. Seine Sorge übersteigt den Horizont unseres Verstehens. Die Absichten und Wege Gottes in all den Vorgängen, mit denen Menschen konfrontiert sind, bleiben oft verborgen. Was manche als Schwäche Gottes deuten – etwa in vielen Fällen seines scheinbaren Nichteingreifens, Nichthandelns – mag gerade seine Stärke sein. Mit seiner geübten Nachsicht wächst eine viel tiefere Gerechtigkeit und mehr Menschlichkeit, als es der Fall wäre, würde die Geschichte und das Weltgeschehen nach unseren oder gar meinen Vorstellungen verlaufen.
Ein weiteres Thema schneidet das Buch der Weisheit an, nämlich der Unterschied zwischen Glaubenden und Nichtglaubenden: Stärke beweist du – Gott –, wenn man an deine unbeschränkte Macht nicht glaubt. Diesen Menschen gegenüber gilt deine Nachsicht. Doch du strafst die trotzige Auflehnung bei denen, die deine Macht kennen. Glaubende tragen eine andere Verantwortung. Es ist das Schicksal Israels, das Schicksal des Auserwähltseins, diese größere Verantwortung tragen zu müssen.
Es ist eine Frage der Glaubwürdigkeit auch heute für uns als Christen: Unsere Zukunft wird sehr davon abhängen, wie sehr der Glaube unseren Alltag prägt. Die Zeiten der Privilegien, des gehobenen Ansehens für Christen sind vorbei. Der Gerechte muss menschenfreundlich sein, heißt es im Buch der Weisheit – gemeint ist: allen Menschen und Menschengruppen gegenüber.
Ein Gedanke aus dem Evangelium in Bezug auf das Bild des guten Samens und des Unkrauts: Viele haben heute große Mühe mit und in der Kirche, gleichwohl welcher theologischen Ausrichtung sie angehören. Sie kämpfen mit dem oft undefinierbaren Gefühl der Fremdheit, dass da Verschiedenes nicht mehr passt. Wir haben doch etwas Anderes gesät, gewollt. Anderen ist schon zuviel in Gottesdiensten, an Ämtern und am Glaubensverständnis verändert worden. Ist es Unkraut? Vielleicht leben wir in einer Zeit, in der wir vieles wachsen lassen müssen?
Das Buch der Weisheit ist Beispiel eines konstruktiven Dialoges. Es hat begonnen das Verbindende zwischen jüdischer Tradition und dem Hellenismus zu beschreiben, dabei den feindlichen Geist zu überwinden und Gemeinsames aufzubauen. Man könnte es als Modell für den von Papst Franziskus angeregten, synodalen Prozess verstehen.
Die Herausforderungen sind heute ähnlich wie damals, als das Buch der Weisheit entstand. Es gilt das Leben mit neuen Traditionen, Kulturen und Entwicklungen zu deuten und zu gestalten. Ausgrenzung, Abgrenzung, Feindlichkeit vergiften die Atmosphäre. Gott hat sein Volk gelehrt, dass der Gerechte – der Glaubende – menschenfreundlich sein soll. Und: Gott schreibt mit uns heute Geschichte und will Leben für jede und jeden. Ja, trage Sorge für jede und jeden.
Wenn Sie den Text der 1. Lesung aus dem Buch der Weisheit anhören möchten:
Wenn Sie den Text der 2. Lesung aus dem Brief des Apostels Paulus an die Gemeinde in Rom anhören möchten:
Wenn Sie den Text aus dem heiligen Evangelium nach Matthäus anhören möchten: