Suche nach dem neuen Morgen 1. Lesung: Jes 2,1-5 | 2. Lesung: Rom 13,11-14a | Evangelium: Mt 24,37-44
Mit dem ersten Adventsonntag beginnt ein neues Kirchenjahr. Die ausgewählten biblischen Texte sind mehr als “nur” Texte für den ersten Sonntag des Kirchenjahres. Sie sind grundsätzliche Leitgedanken für ein christliches Leben. Ich lasse mich heute auf den Text des Apostels Paulus an die Römer ein.
Der Römerbrief wird auch Testament des Paulus genannt. Er fasst einerseits die Theologie des Paulus zusammen und gibt andererseits zentrale ethische Hinweise für ein Leben aus dem Glauben.
Unserem Abschnitt voraus erklärt Paulus, dass mit dem Gebot: “Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst” – die Tora, das Gesetz erfüllt sei. Dann setzt die Lesung ein: „Das tut im Wissen um die gegenwärtige Zeit: Die Stunde ist gekommen, aufzustehen vom Schlaf“ (Röm 13,11). Im griechischen Urtext steht für das Wort Zeit „Kairos“. Wir können Kairos übersetzen mit bzw. verstehen als: günstige Gelegenheit, der Augenblick als Chance, geeigneter Zeitpunkt. Mit anderen Worten: Begreift das Leben jederzeit, jeden Tag neu als Kairos, nämlich als Aufstehen vom Schlaf.
Es gehört zum Selbstverständnis des Paulus, dass für ihn die Umstände oder die Zeit zur Verkündigung nie ungünstig oder schlecht sind. Wie immer sich die äußeren Gegebenheiten darstellten – sei es auf dem Weg, zu Fuß oder zu Schiff, in einem Haus oder auf dem Areopag in Athen, unter Freunden oder bei Fremden, in Freiheit oder Gefängnis – es bot sich für ihn die Chance das Evangelium zu verkünden.
Diese Haltung des Paulus kann uns sehr helfen, kann sogar eine Entlastung sein. In der Weise, wie ich Menschen, Situationen und Herausforderungen begegne, bietet sich die Chance der Verkündigung des Evangeliums: Sei es durch Worte, Blicke, Gesten; sei es durch die gelebte Zuwendung, Hilfsbereitschaft, Dankbarkeit, Geduld und Gastfreundschaft; sei es durch Gespräche, Diskussionen, Mut machen… u.a.
Er verbindet den Gedanken vom richtigen Zeitpunkt – dem Kairos – mit: Aufstehen vom Schlaf. Wir könnten anders sagen: Sei wachsam! Lasst euch nicht von den Alltagssorgen und -geschäften hinabziehen. Entzieht euch dem Alltagstrott, der Gewöhnung an alles das, was das Leben und die Beziehungen zerstört. Menschen sind versucht, sich an die Umwelt, an das Verhalten der Umgebung anzupassen. Ich muss und will nicht besser als andere sein. Aufstehen vom Schlaf ist die Aufforderung, sich nicht hinunter ziehen zu lassen und sich dem Niveau der Umgebung anzupassen.
Paulus hält fest: „Die Nacht ist vorgerückt, der Tag ist nahe“. Die junge Gemeinde – vielleicht waren es mehrere Gruppen – hatten es gegen Ende der 60-er Jahre des 1. Jht. n. Chr. schwer. Sie war ein zartes Pflänzchen und dennoch von außen hart bedrängt. Paulus ermutigt: der Morgen kommt näher. Viele waren besorgt und sahen für die Zukunft Nacht. Mag sein, dass es heute vielen kirchlich Engagierten ähnlich ergeht? Sie sehen mehr Nacht als Licht. Es wird in vielem weniger. Paulus sieht den Tag nahen. In meinen Augen gibt es auch bei uns Hinweise auf einen neuen Morgen der Religiosität, auch wenn die Kirche das nicht unmittelbar noch nützen kann.
Derzeit wird im Theater Kosmos in Bregenz das Stück „Lamm Gottes“ von Michael Köhlmeier gespielt. Undenkbar, dass es vor zwanzig Jahren aufgeführt worden wäre. In eindrücklicher Weise werden religiöse oder besser tiefmenschliche Themen angesprochen. Leider entspricht das Opferverständnis im Stück nicht der neueren Theologie. Doch am Ende wird aus dem Buch Hiob zitiert, der wie kein anderer radikal die Gottesfrage stellte. Ein Hauptdarsteller des Theaters meinte im Anschluss an das Stück: Die Zeit des Auseinanderdividierens ist vorbei. Wir müssen heute nach dem Gemeinsamen und dem Verbindeden suchen. Es ist eine Aussage, die von einem neuen Morgen kündet.
In einer der letzten Nummern in der Furche (Nr. 47, 21. Nov. 2019) war ein Auszug eines Interviews mit dem 90-jährigen Philosophen Jürgen Habermas zu finden. Er hat ein philosophisches Werk mit über 1700 Seiten verfasst, eine Übersicht über die Geschichte der Philosophie mit dem Anliegen, sie emanzipiert von jeder Religion zu denken. Am Ende bleibt für ihn dennoch eine persönliche Frage: „Was geschieht, wenn gläubige Menschen beten, die Berührung mit dem Transzendenten suchen?“ Es macht etwas mit den Menschen. Es ist eine Realität, an der man, obwohl sie nicht zu fassen ist, nicht vorbei kann.
„Die Stunde ist gekommen, aufzustehen vom Schlaf. Die Nacht ist vorgerückt, der Tag ist nahe. Darum lasst uns ablegen die Werke der Finsternis und anlegen die Waffen des Lichts.“
Wir haben keinen Grund nur Nacht zu sehen. Es gibt diese Kräfte, Stimmen, Menschen, die den Tag erwarten, die nach dem suchen, was der Menschheit heute zu leben hilft, die nach den wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Grundlagen suchen, um den Herausforderungen unserer Zeit gewachsen zu sein.
Wenn wir im Abschnitt weiterlesen, entdecken wir, dass Paulus an die Taufe anknüpft: Legt die Werke der Finsternis ab und zieht an die Waffen des Lichts. Bei der Taufe wird dem Täufling ein weißes Gewand angezogen zum Zeichen dafür, dass die getaufte Person Jesus Christus als Gewand angezogen hat; von nun an in und aus dem Geist Jesu lebt oder zu leben versucht.
Wir haben eine eigenartige, aber doch bezeichnende Gegenüberstellung: Werke der Finsternis ablegen und das Anlegen von Waffen des Lichts. Werke der Finsternis entspringen einem egoistischen Denken, einem selbstherrlichen und selbstbezogenen Leben. Das lege ab, davon löse dich jeden Tag neu.
Zugleich lädt Paulus ein, die Waffen des Lichts anzuziehen. Es ist eine eigenartige Ausdrucksweise: Waffen des Lichts. Das Licht hat eine eigene Kraft. Es bringt von selbst neues und helleres Licht hervor. Du brauchst nichts erzwingen, nicht die „Kirche“ retten, niemanden etwas „hinein drücken“. Die Formulierung ist – man mag staunen – eine Spitze gegen jeden religiösen Fanatismus oder Übereifer.