Lernzeiten 1. Lesung: Ijob 38,8-11|2. Lesung: 2 Kor 5, 14-17|Evangelium: Mk 4,35-41
Vom letzten Sonntag sind uns die Reich-Gottes-Gleichnisse in Erinnerung. Jesus lädt ein, dem Wirken Gottes wie dem Wachsen der Saat zu trauen. Ein ANDERER sorgt für das Wachsen. Aus jedem guten Wort, jeder Geste der Aufmerksamkeit, des Hinhörens und jedem Tun aus Liebe – mag es noch so unscheinbar sein – lässt Gott sein Reich wachsen.
Nachdem Jesus diese Gleichnisse erzählte, heißt er die Jünger und Jüngerinnen an das andere Ufer zu fahren. Es ist der Auftrag, ihre alten, vertrauten Geleise des Handels zu verlassen. Sie sollen auf neue Weise zu handeln beginnen, ohne Zwang, Angstmache und Drohungen. Hinzu kommt noch, sie sollen sich in das heidnische Gebiet aufmachen. Am anderen Ufer des Sees lag die Gegend der sogenannten Dekapolis; zehn Städte, hellenistisch geprägt. Sie sollen also auch ihr vertrautes Umfeld verlassen und sich im heidnischen Gebiet, bei religiös anders Denkenden bewähren.
Die Erzählung schildert uns, dass sie in einem Sturm geraten und sie mit der Angst kämpfen unterzugehen. Diese Angst befällt sie, obwohl Jesus in ihrem Boot ist. Er schläft, so heißt es. Die Seesturmerzählung beschreibt Umstände und Phasen des Glaubens. In unserem Leben geht es immer wieder darum, an andere Ufer aufzubrechen. Es ist für ein junges Paar, für eine Familie ein Aufbrechen an ein anderes Ufer, wenn ein Kind geboren wird. Es ist meistens viel Freude dabei, zugleich aber heißt es für Betroffene ein Drunter und Drüber, eben eine stürmische Zeit. In einer Familie ist immer wieder mit Stürmen, Wogen und Wellen, mit Herausforderungen, Konflikten u.a. zu rechnen. Es bedeutet ebenso ein Aufbrechen an ein anderes Ufer, wenn jemand die Diagnose einer schweren Krankheit erlebt. Wir wissen um Ängste, beziehungsweise um Stürme und Wellen, die Operationen oder Therapien zur Folge haben. Jede Beziehung kennt Stürme, Wogen und Wellen, gerade auch die Beziehungen mit lieben Menschen. Es sind besondere Stürme, Wogen und Wellen, wenn ein Paar sich für getrennte Wege entscheidet.
Das letzte große Aufbrechen betrifft das Sterben. Da kennen wir das andere Ufer noch nicht. Aufbrechen an das andere Ufer steht für viele Situationen im Leben: Berufswechsel, Stellenwechsel, Entzug von einer Sucht, Änderung des Lebensstils …u.a.
Wenn es im Leben drunter und drüber geht, dann haben viele das Gefühl, Gott – Jesus – schläft. Er lässt mich/uns im Stich. Er lässt mich/uns untergehen. Von den Jüngern heißt es, dass sie Jesus wecken und ihm Vorwürfe machen: Kümmert es dich nicht, dass wir zugrunde gehen. Eine wichtige Zusage, die uns gegeben ist und die uns begleiten möge: Er – Jesus – ist im Boot des Lebens dabei. Er geht mit uns durch die Stürme des Lebens. Die Jünger haben ihn geweckt. Dieses Wecken kann ebenso für Verschiedenes stehen: es kann vielleicht nur ein Gebet – Stoßgebet – sein. Es kann aber auch bedeuten, dass ich das Leben völlig neu ausrichte, neu anfange. Kurz: Jesus in das Leben hereinwecke.
Jesus ist im Boot und trotzdem bekommen die Jünger Angst. Die Erzählung macht deutlich, dass gerade Menschen, die Jesus nahe sein wollen und ihn in der Nähe haben, nicht vor Angst und Zweifel gefeit sind. Auch sie machen dunkle Stunden durch. In unserer Tradition haben wir Beispiele dafür: In der Lesung hörten wir von Ijob. Er ist vor Gott ein rechtschaffener, gläubiger Mann, und dennoch verliert er alles: vom eigenen Haus bis zur eigenen Familie, von den Freunden bis hin zur eigenen Gesundheit. Und doch hält er an Gott fest. Klagend, anklagend. Ebenso möchte ich an Johannes vom Kreuz erinnern, ein Mystiker des 16. Jahrhunderts. Er beschreibt die dunkle Nacht der Seele als Erfahrung der Gottesferne, als er neun Monate von seinen klösterlichen Mitbrüdern zu Unrecht in einem dunklen Verlies gefangen gehalten wird. Für ihn ist die Erfahrung der Dunkelheit der Seele eine Voraussetzung, um Gott zu erfahren. Erst die innere Leere macht es möglich, von Gott erfüllt zu werden.
Es ist beachtenswert, dass in der Folge des Seesturms Heilungen stattfinden. Am anderen Ufer wird der Besessene von Gerasa geheilt. Der Dämon hieß „Legion“. Niemand vermochte den Mann zu bändigen. Sein Verhalten war unmenschlich. Nachdem die Dämonen ausgefahren waren, stürzten sie sich den Abhang hinab in den See. Es heißt dann: Der Mann saß da: bekleidet und mit Verstand (Mk 5,15). Wieder zurück wurde eine Frau vom Blutfluss und die Tochter des Jairus geheilt. Beide Heilungen ermöglichen ein neues Leben, ein Neuanfang im Mit- und Füreinander. Die Erzählung vom Seesturm trägt uns auf, stürmische Zeiten mit ihren Wogen und Wellen als eine Lernzeit zu begreifen. Wenn sich Menschen solchen Erfahrungen stellen und bereit sind zu lernen, birgt es in der Folge die Chance für ein heilsames Wirken; heilsam anderen, der Mitwelt und den Mitmenschen zu begegnen. Für Glaubende ist auch die Pandemie eine solche Lernzeit.
Ein letzter Hinweis: Bei der Seesturmerzählung haben die Jünger Angst und schlafen. In der Ölbergnacht ist es umgekehrt. Da schlafen die Jünger und Jesus hat Angst. Glauben, Zweifel, Ängste – sie sind Teil unserer Gottesbeziehung.
Wenn Sie den Text der 1. Lesung aus dem Buch Ijob anhören möchten:
Wenn Sie den Text der 2. Lesung aus dem zweiten Brief des Apostel Paulus an die Gemeinde in Korinth anhören möchten:
Wenn Sie den Text aus dem heiligen Evangelium nach Markus anhören möchten:
2 Kommentare zu “Lernzeiten 1. Lesung: Ijob 38,8-11|2. Lesung: 2 Kor 5, 14-17|Evangelium: Mk 4,35-41”
Dazu fällt mir ein Gebet von Edith Stein ein, deren Angst auf dem Weg nach Auschwitz wir uns wohl kaum vorstellen können, schon gleich gar nicht das im Dunkel liegende Ende:
„Lass mich, Herr, die Wege geh’n, die deine sind;
Will deine Führung nicht versteh’n, bin ja dein Kind.
Bist Vater der Weisheit auch Vater mir;
Führst durch Nacht du auch, führst doch zu dir.“
– Dieses Gebet begleitet mich seit Jahrzehnten und Edith Stein verdient mehr als nur die “Ehre der Altäre”.
Lieber Erich,
danke auch für deinen “letzten Hinweis”, in dem die JüngerInnen in der Ölbergnacht schlafen und Jesus wahrlich Ängste auszustehen hat. Der Gegensatz dazu, bei dem Jesus auf dem Boot mitten im Sturm (des Lebens) schläft und seine Getreuen Angst haben, zeigt mir eindrücklich die menschgewordene Seite eines Gottes der uns in unseren Ängsten, Kraft seines geschenkten Glaubens, nie alleine lässt.