Das Land der Freiheit 1. Lesung: Sam 26,2.7-9.12-13.22-23|2. Lesung: 1 Kor 15,45-49|Evangelium: Lk 6,27-38
Vergangenen Sonntag haben wir die sogenannten Seligpreisungen und Wehworte gehört. Jesus richtete dabei „seine Augen auf seine Jünger und sagte“. In der heutigen Fortsetzung wendet sich Jesus seinen Jüngern mit der Formulierung zu: „Euch, die ihr zuhört, sage ich“. Es geht also um Sehen und Hören, um das Wahrnehmen von Ungerechtigkeit und dann um die Schlussfolgerungen, mit welchem Verhalten und Tun diese Gewalt- und Elendsspiralen zu durchbrechen sind.
Zufällig fallen diese beiden Evangelientexte mitten in eine der schwersten Krisen der mitteleuropäischen Amtskirche. Und sie wirken auf mich, als wären sie Teil eines kirchlichen Bußgottesdienstes. Der Text des letzten Sonntags als Hilfe zur Gewissenserforschung. Als Einladung die eigenen Fehler zu sehen.
Die letzten Zeilen des vergangenen Sonntagsevangeliums reflektieren eine nicht zu unterschätzende Schlagseite der mitteleuropäischen Amtskirche: „Doch weh euch, ihr Reichen; denn ihr habt euren Trost schon empfangen. Weh euch, die ihr jetzt statt seid; denn ihr werdet hungern. Weh, die ihr jetzt lacht; denn ihr werdet klagen und weinen. Weh, wenn euch alle Menschen loben. Denn ebenso haben es ihre Väter mit den falschen Propheten gemacht“. Weite Teile unserer Kirche sind reich und statt – so reich und satt, dass sie die Kirchenaustritte und die damit ausbleibenden Kirchenbeiträge gar nicht stören müssen. Sie sind in eine Parallelgesellschaft abgedriftet und genügen sich selbst. Manche Teile unserer Kirche scheinen verblendet und der Hang zum Lob und zur Selbstgefälligkeit so ausgeprägt, dass sachliche Kritik und das Benennen von Missständen nicht gesehen werden wollte und will. Zahlreiche kirchliche Vertreter – Priester wie hauptamtliche Laien – leiden an einem Hunger an Kontakten zur Lebenswelt der heutigen Menschen und es beginnt ein Klagen und Weinen, den richtigen Augenblick verpasst zu haben – bei der Frage der geschiedenen Wiederverheirateten, bei Queeren, beim Zölibat und dem Stellenwert der Frauen.
Papst Franziskus hört den Wunsch nach Veränderung an der Kirchenbasis und versucht mit der Synode, dem Zwangskorsett der lähmenden Kirchenverwaltung zu entkommen. Die Synode folgt dem Ansatz, dass die Kirchenleitung in die Sehschule zu gehen hat, weil sie den Blick auf das Wesentliche verloren habe. Nur der gemeinsame Blick auf die erschreckenden Zustände und das Hören auf das ächzende Kirchenvolk kann Veränderung ermöglichen. Schade, dass sich gerade Diözesen und Bistümer in Mitteleuropa entschlossen haben, den Ball flach halten zu wollen und das synodale Programm als Pflichtprogramm abspulen. Gerade ihr täte es bitter not, sich mit den Zeichen der Zeit zu befassen.
Auf die Reflexion von Missständen folgt mit dem heutigen Evangelium die Einladung, das Verhalten zu ändern und loszulassen. Denn erst wenn man sich radikal hinterfragen lässt, wird man frei und Veränderung wird möglich.
Es ist unglaublich, wie selbstgefällig die Amtskirche über Jahrzehnte mit Missbrauchsfällen umgegangen ist und gleichzeitig Menschen von Sakramenten fernhalten wollte. „Richtet nicht, dann werdet auch ihr nicht gerichtet werden! Verurteilt nicht, dann werdet auch ihr nicht verurteilt werden!“ Bitter muss sie nun erkennen, wie doppelzüngig ihr agieren war.
Vor wenigen Wochen outeten sich im Rahmen einer sehenswerten Dokumentation hunderte Gläubige – Priester, Ordensleute, Mitarbeitende der Kirche – als queere Menschen. Ein Betroffener meinte: die von Jesus gestiftete Kirche sei ein Ort der gelebten Liebe, der Vielfalt und es würde über die Zukunft der Kirchen entscheiden, ob sich die Amtskirche von heute auch dazu bekennen möchte. Eine Betroffene wurde gefragt, warum sie nicht einfach aus der Kirche austrete und ihre Antwort lautete: „Wenn alle nur austreten, ändert sich erst recht nichts“. Es sind genau jene Menschen, die jetzt allen Umständen zum Trotz Kirche verändern wollen. Sie versuchen – ganz im Sinne des heutigen Evangeliums – die Spirale zu durchbrechen und lassen trotz aller erlebten Ausgrenzung Erbarmen mit den Kirchenverantwortlichen walten, wollen nicht Gleiches mit Gleichem vergelten und sich abwenden. Es ist ihre Treue zur Botschaft Jesu, seiner Kirche nicht stellvertretend für ihre Enttäuschung über die Amtskirche und ihre Vertreter den Rücken zuzukehren. Sie sind nach wie vor beseelt vom Gedanken und vom Wunsch, am Reich Gottes mitzubauen. Sie leben den Schulderlass – welche Größe gegenüber der Amtskirche und ihren Vertretern.
In der heutigen ersten Lesung wird uns von König David berichtet. Auch sein Verhalten war mitunter zweifelhaft. Es wird uns bei ihm, aber auch bei anderen biblischen Personen, nicht vorenthalten. Gott weiß darum, dass wir Menschen fehlerhaft sind und muss vermutlich derzeit auch bitter zu Kenntnis nehmen, dass es da um die Kirche nicht besser bestellt ist. Die Lebenserzählung eines David macht uns deutlich, dass uns Selbsterkenntnis, Reflexion und Diskurs weiterbringen können. Dazu brauchen wir aber die Bereitschaft auf andere zu sehen und zu hören. Auch wenn manchmal eines zähen Ringens notwendig ist, so sehen wir bei David, dass durch Veränderung und Lernen – trotz aller gemachter Fehler – ein gutes Leben gelingen kann.
Das berührende Ende der erwähnten Dokumentation ist eine Aussage eines Jesuiten, der sich zu seinem Schwulsein bekannt hat. Mit Tränen in den Augen berichtet er über die Erleichterung, die nach seinem Outing eingetreten ist, er sei mit „Freude in das Land der Freiheit gekommen“. Im Hebräischen steht Ägypten als Mizraim für eine Land der Enge. Vielleicht ist die derzeitige Situation der Amtskirche eine Schicksalsstunde, die es uns ermöglicht, aus einer Kirche der Ausgrenzung, des Missbrauchs, der sinnlosen Enge auszuziehen. Gott wird uns wie damals den Israeliten den Weg durch wogendes Meer und die Wüste bahnen. Es wird uns viel Mühe und Zeit kosten. Es gilt, noch einmal alle Kräfte zusammenzureißen und gemeinsam an der Zukunft von Kirche zu arbeiten, die der Botschaft Jesu gerecht werden möchte. Das letzte Bild, das die Dokumentation zeigt, ist ein strahlendes, freudvolles, glückliches und erleichtertes Lächeln des Jesuiten. Ich bin davon zutiefst überzeugt, dass auch für uns alle dieses Land der Freiheit vor uns liegt, das uns wieder mit Freude und mit einem Lächeln zur Grundbotschaft Jesu zurückkehren lässt.
Wenn Sie den Text der 1. Lesung aus dem Buch Sámuel anhören möchten:
Wenn Sie den Text der 2. Lesung aus dem ersten Brief des Apostel Paulus an die Gemeinde in Korínth anhören möchten:
Wenn Sie den Text aus dem heiligen Evangelium nach Lukas anhören möchten:
6 Kommentare zu “Das Land der Freiheit 1. Lesung: Sam 26,2.7-9.12-13.22-23|2. Lesung: 1 Kor 15,45-49|Evangelium: Lk 6,27-38”
Die erste Lesung ist von Samuel und nicht Jeremia. Ich glaube hier ist ein Fehler unterlaufen.
Danke für eure wunderbare Arbeit. Ich warte gespannt auf eure Beitrage und lerne stätig dazu. DANKE!
Vielen Dank Frau Schmid für den Hinweis. Ich habe die Tondokumente ausgetauscht.
Vielen Dank für Deine Gedanken zu “Land der Freiheit”
Danke für Deine offenen Worte und für Deine Hinweise die uns als Kirche ins “Land der Freiheit” führen könnten.
Schönen Sonntag!
Zum obigen Ausführungen.
Liebe Frau Weiss. Sie haben die Situation auf den Punkt gebracht. Gottes Mühlen mahlen langsam. Die Strafe der Gleichgültigkeit liegt vor uns.
Gott möge uns verzeihen.
“Gott wird uns wie damals den Israeliten den Weg durch wogendes Meer und die Wüste bahnen. Es wird uns viel Mühe und Zeit kosten.”
Dankeschön für die Worte der Bestärkung.
Liebe Frau Weiß
Danke für Ihre Gedanken zu Land der Freiheit. Es macht Mut und Freude mit Menschen auf einem Weg zu sein, der uns mit Gottes Hilfe in diese neue Freiheit führt.
In Verbundenheit grüßt sie….
Elisabeth kleinbichler