Der Blick des guten Hirten 1. Lesung: Apg 13,14.43b-52 |2. Lesung: Offb 7,9.14b-17|Evangelium: Joh 10,27-30
Das heutige Evangelium ist ein eindrückliches Beispiel, wie Erstes und Zweites Testament miteinander verbunden sind. Leider wird nur ein kleiner Textausschnitt einer längeren Abhandlung über den „guten Hirten“ wiedergegeben. Jesus bezieht sich dabei auf einen Text des Propheten Ezechiel (Ez 34, 2-23). Ezechiel erhält von Gott den Auftrag, als Prophet gegen die Hirten Israels zu sprechen. Er tut dies im Blick auf König, Priester, falsche Propheten und Älteste, denn sie sind auf das eigene Wohlbefinden bedacht, statt für die ihnen anvertraute Herde zu sorgen. „Weh den Hirten Israels, die sich selbst geweidet haben! … Die Schwachen habt ihr nicht gestärkt, das Kranke habt ihr nicht geheilt, das Verletzte habt ihr nicht verbunden, das Vertriebene habt ihr nicht zurückgeholt, das Verlorene habt ihr nicht gesucht … weil kein Hirt da war, zerstreuten sie sich … meine Schafe irren auf allen Bergen … da ist keiner, der fragt, und da ist keiner, der auf die Suche geht.“ Die Hirten weideten sich selbst und nicht die Schafe des Herrn, daher: „Ich mache dem Weiden der Schafe ein Ende. Die Hirten sollen nicht länger sich selbst weiden. … Siehe, ich selbst bin es, ich will nach meinen Schafen fragen und mich um sie kümmern“.
Welche Hirteneigenschaften schildert uns die Bibel?
Wenn wir mit der Geburt Jesu beginnen, so war es der Dienst der Nachtwache haltenden Hirten, dem Engel zu vertrauen und hinzueilen (Lk 2,20). Hirten durften zuerst vom Neuen, Unfassbaren erfahren. Hirten waren Nomaden und zogen mit ihren Herden zu den Futterplätzen. Es war oft ein Dienst der jungen und der alten Frauen und Männer, die für schwere Händearbeit nicht zu gebrauchen waren. Sie schickte man mit den Herden. Hirte zu sein, war kein Privileg, kein Recht des erprobten, starken Mannes. König David war in seinen Kindertagen als Jüngster der Familie beim Besuch Samuels nicht zu Hause, weil er mit der Herde herumzog (1 Sam 16,11).
Bei dem Hirten Mose und bei den Hirten in der Geburtsnacht erkennen wir, was es bedeutet sich auf den Weg zu machen: Nicht im Alltag der Aufgaben stecken zu bleiben, neugierig zu sein. Das Wesentliche zu erkennen und zu ergreifen. Sich nicht trügen zu lassen, denn das wahrhaft Bedeutende kann im Kleinen, Verborgenen, vermeintlich Unbedeutenden liegen, an unvermuteten Orten, an Nebenschauplätzen. Es braucht Mut und Wagemut, manchmal sogar das Überschreiten von Grenzen.
Es ist ein hartes besitz- und selbstloses Leben. Der Hirte ist der Prototyp des Kümmerers. Er führt die Herde zu Weiden und Wasserquellen. Zu ihrem Schutz schläft der Hirte beim Stalleingang. Damit eine Herde Vertrauen zum Hirten aufbauen kann, braucht es Beziehung, sonst könnte der Hirte sie nicht „einzeln beim Namen“ (Joh 10, 3) nennen. Die Herde folgt nur dem Hirten, dessen Stimme sie kennt (Joh 10, 4). Der Hirte gibt ein Gefühl der Geborgenheit.
Jesus beschreibt sich als die Tür des Hirtenstalles. Er weiß, dass Schafe Bewegungstiere sind und viel Platz brauchen. Sie vertragen keine sinnlose Einengung. Jesus ist die Tür, die Sicherheit bietet und Freiheit schenkt. Die Schafe und der Hirte sollen „ein- und ausgehen und Weide finden“… „damit sie das Leben haben und es in Fülle haben“ (Joh 10,10). Gott will die Menschen in einen sicheren Lebensraum führen, in dem Lebensfülle möglich ist. Dabei mag man sich an Worte von Papst Franziskus in seinem Schreiben Evangelii Gaudium erinnern: „Die Kirche ist keine Zollstation, sie ist das Vaterhaus, wo Platz ist für jeden mit seinem mühevollen Leben“ (EG 47).
Der Blick des guten Hirten hat auch über die „Stammherde“ hinauszugehen. „Ich habe noch andere Schafe, die nicht aus diesem Stall sind; auch sie muss ich führen und sie werden auf meine Stimme hören; dann wird es nur eine Herde geben und einen Hirten“ (Joh 10,16). Es geht nicht darum, die bestehende Herde übertrieben zu versorgen, sondern dem Verlorenen nachzugehen bzw. dem hirtenlosen Schaf. Herdenschafe können auch auf sich selbst achten und ermöglichen dem Hirten, sich auch den Schafen im Abseits zuzuwenden. Der Blick des Hirten gilt also nicht nur der bestehenden Herde. Ist die derzeitige Verfasstheit von Kirche nicht sehr stark geprägt von der eigenen Nabelbeschau, dem Blick auf die bestehenden Gemeinden und Einrichtungen? Weiden wir uns nicht selbst?
Jesus und Gott sind in der Hirtenaufgabe eins. Jesus ist aber Hirte und Lamm (Joh 1,36) zugleich. Sein Hirtenamt übt er aus, indem er sich in die Herde – unter die Menschen – einreiht und sprengt damit jede Hierarchie. Er wird Mensch unter Menschen, damit er Menschen zum Hirtendienst heranführen kann. Als Mensch geht es darum, beide Eigenschaften zu leben – das Einordnen in eine Gemeinschaft, aber auch in der rechten Gesinnung Verantwortung zu übernehmen.
Am letzten Sonntag hörten wir, wie Jesus Petrus seine Schafe zur Weide anvertraute. Eigentümer der Schafe ist Gott und Jesus der Hirte. Das Weiden der Schafe soll agape sein – eine aufopfernde, eine barmherzige Liebe. Jesus verlieh Petrus kein Amt und keine Machtinsignien, sondern den Auftrag zu einer Haltung. Er berief Petrus in Form zweier Bilder zu seinen Aufgaben: einerseits als Menschenfischer (Mt 4,19) und andererseits die Schafe zu Jesus – zur Türe des Lebensraums der Fülle und der Freiheit – zu führen.
Wenn Sie den Text der 1. Lesung aus der Apostelgeschichte anhören möchten:
Wenn Sie den Text der 2. Lesung aus der Offenbarung des Johannes anhören möchten:
Wenn Sie den Text aus dem heiligen Evangelium nach Johannes anhören möchten:
Ein Kommentar zu “Der Blick des guten Hirten 1. Lesung: Apg 13,14.43b-52 |2. Lesung: Offb 7,9.14b-17|Evangelium: Joh 10,27-30”
Liebe Katharina,
danke für deine Gedanken des guten Hirten, der die Schafe im Blick hat, ihnen Freiheit und Schutz gewährt, auch über Grenzen hinausgeht und nicht die eigene Nabelschau in den Vordergrund stellt. Es ist für mich eine sehr hoffnungsvolle Bibelstelle, danke.