Eigenverantwortung und Wachsamkeit 1. Lesung: Spr 31,10-13.19-20.30-31| 2. Lesung: 1 Thess 5,1-6| Evangelium: Mt 25,14-30
Wir leben in einer Gesellschaft, in der Sicherheit und Absicherung sehr wichtig geworden sind. Gleichzeitig aber wächst die Gruppe jener Menschen, deren Leben mit Blick auf ihr Einkommen, ihre Arbeit, ihre familiäre Beheimatung und ihre gesellschaftliche Integration sehr unsicher geworden ist. „Abzurutschen“ ist die große Angst, die sich mittlerweile in fast allen Gesellschaftsschichten ausbreitet. Dies wird auch an der großen Anzahl von Versicherungsunternehmen erkennbar, die schon für fast alles geschnürte Versicherungspakete anbieten. So wirbt z.B. eine Gesellschaft damit: „wir helfen Menschen dabei, das zu schützen, was ihnen am Herzen liegt“.
Gleichzeitig leben wir in einer „Risikogesellschaft“, wie es der Soziologe Ulrich Beck beschreibt. In ihr sind wir immer stärker unsichtbaren Bedrohungen ausgesetzt, die der technische Fortschritt hervorbringt, man denke hier z.B. an den Klimawandel, aber auch an den ganzen Bereich der künstlichen Intelligenz. Beck sieht darin allerdings schon fast eine neue Form von Gerechtigkeit. Im Gegensatz zu den Gefahren der ständischen Industriegesellschaft betreffen die Risiken der Moderne alle Individuen, unabhängig von ihrem Status. Der Slogan dazu lautet: „Smog betrifft alle“. Die sozialen Ungleichheiten bestehen aber weiter, allerdings wird die Ungleichheit klassenlos. Armut und die Verletzlichkeit von Leben kann nicht mehr einem Milieu oder einer Klasse zugeordnet werden. Neben der allgemeinen Individualisierung kam es auch eine Individualisierung der Armut und daher ist sie nun eigentümlich versteckt.
Entspricht der Abreisende, der sein Vermögen in der Erwartung anderen zur Verwaltung überlassen hat, dass in seiner Abwesenheit mehr daraus gemacht wird, nicht etwas unserer Absicherungsmentalität? Zur Absicherung schließen wir Versicherungen ab. Wie mir ein Versicherungsmakler erzählt, auch für Risikofälle, die in den seltensten Fällen eintreten bzw. werden Risiken überversichert. Wir zweifeln z.B. daran, dass die allgemeine Gesundheitsversicherung noch ihren Dienst ausreichend erfüllt. Bei der Veranlagung finanzieller Mittel erwarten wir hohe Zinsen. Würden die Geldinstitute unser Vermögen lediglich vergraben, wären wir wohl sehr unzufrieden.
Der verreisende Mann vertraute den Dienern sein Vermögen an. Das Wort Vermögen kann zweierlei bedeuten, einmal der Besitz, der einen materiellen Wert darstellt oder aber die Kraft, Fähigkeit, etwas Bestimmtes zu tun. Der Vermögensüberlasser verteilt es nicht wahllos unter seinen Dienern. Er kennt seine Mitarbeiter und ihre Fähigkeiten und er überlässt jedem nach seinen Fähigkeiten. Er fordert, aber überfordert nicht. Allerdings nimmt er aber auch jeden nach seinen Fähigkeiten in die Verantwortung. Von zwei Dienern wird berichtet, dass sie wirtschafteten. Das Können bzw. das Vermögen einzusetzen, damit mehr daraus wird, wird also nicht negativ gesehen. Wie uns erzählt wird, verging lange Zeit bis der Reisende wieder zurückkam. Es war also kein Zeitdruck vorhanden. Vermutlich wäre ein zwischenzeitlicher Verlust des Vermögens sogar wieder auszugleichen gewesen. Er kommt und macht Abrechnung. Er möchte eine Rechenschaft über Einnahmen und Ausgaben und die Schlussrechnung machen. Zwei der Diener, die gewirtschaftet haben, also auch ein Risiko einzugehen bereit waren, lobt er: „Sehr gut, du tüchtiger und treuer Diener. Über Weniges warst du treu, über Vieles werde ich dich setzen“ (Mt 25,21). Jener Diener, der das Vermögen vergraben hatte, argumentiert: „Herr, ich wusste, dass du ein strenger Mensch bist; du erntest, wo du nicht gesät hast, und sammelst, wo du nicht ausgestreut hast; weil ich Angst hatte, habe ich dein Geld in der Erde versteckt. Sieh her, hier hast du das Deine“ (Mt 25, 24-25). Dieser Diener wird zunächst als schlecht und faul bezeichnet. Dass er nicht nur das war, sondern auch noch so bequem und das Geld nicht einmal bei der Bank deponiert hat, bringt ihm die Beschreibung als Nichtsnutz. Der Reisende kannte seinen Diener vermutlich schon als faul, sonst hätte er ihm von Anfang an mehr Talente überlassen. Es reichte nur zu einem Talent. Am Ende war er nicht nur faul, sondern auch noch nichtsnutzig.
Die Einleitung zum Gesamttext lautet: Dann wird es mit dem Himmelreich sein wie (Mt 25,1)…. mit einem Mann der vereisen wollte (Mt 25, 14). Der Reisende gibt keine Zielwerte für die Vermögensverwaltung vor, es liegt im Ermessen der Diener was sie mit dem Vermögen – der Kraft, der Fähigkeit, etwas Bestimmtes zu tun – erreichen wollen. Wir wissen nicht, ob es der Ehrgeiz, das Können oder günstige Fügungen waren, die zur Verdoppelung des Vermögens beigetragen haben. Der Reisende macht keinen zeitlichen Druck. Er bleibt lange auf Reisen. Er lässt den Dienern also Zeit zur Entfaltung. Ob die Verdoppelung rasch erfolgte und sie sich dann ausruhen konnten oder ob es langfristig eher mühsam war, erfahren wir nicht. Auch hier war alles ihnen überlassen.
Am Beginn sprach ich von Versicherungsgesellschaften. Eine Gesellschaft wirbt mit dem Slogan: „Sie zeigen Verantwortung. Wir schützen Ihre Liebsten“.
Am letzten Sonntag hörten wir das Evangelium von den törichten und den klugen Jungfrauen. Es ging um Eigenverantwortung und Wachsamkeit – so auch im heutigen Text. Fleiß und Tüchtigkeit wird uns als Tugend beschrieben. Wie auch im Text der ersten Lesung aus dem Buch der Sprichwörter über das Lob der tüchtigen Frau. Das „Brot der Faulheit isst sie nicht“ (Spr 31,27).
Uns ist von Gott die Schöpfung überlassen worden, um in ihr zu leben und sie mitzugestalten. In unserem Handeln sind wir frei. Wir können alles vor sich hinlaufen lassen oder aber mutig und verantwortungsbewusst – manchmal auch mit der Bereitschaft zu einer Portion Risiko – Einfluss auf die Gestaltung unseres Umfeldes nehmen. Wir können auf Nummer sicher gehen und uns unserer Verantwortung entziehen, indem wir uns zunehmend ins Private zurückziehen oder aber wir können das Wort erheben, den Dialog pflegen und Überzeugungsbekenntnisse abgeben. Auf Benjamin Franklin, den Gründervater der USA, geht folgende Aussage zurück: „Wer die Freiheit aufgibt, um Sicherheit zu gewinnen, wird am Ende beides verlieren“. Der Apostel Paulus lebte zu einer ganz anderen Zeit und dennoch schreibt er im heutigen Brief an die Thessalonicher einen vergleichbaren Aufruf: „Während die Menschen sagen: Friede und Sicherheit!, kommt plötzlich Verderben über sie wie die Wehen über eine schwangere Frau und es gibt kein Entrinnen….Darum wollen wir nicht schlafen wie die anderen, sondern wach und nüchtern sein. (1 Thess 5,3.6)
Wenn Sie den Text der 1. Lesung aus dem Buch der Sprichwörter anhören möchten:
Wenn Sie den Text der 2. Lesung aus dem ersten Brief des Apostels Paulus an die Gemeinde in Thessalónich anhören möchten:
Wenn Sie den Text aus dem heiligen Evangelium nach Matthäus anhören möchten: