
Ein Ort der Tröstung 1.Lesung: Jes 66,10-14c| 2.Lesung: Gal 6, 14-18| Evangelium: Lk 10,1-12.17-20
Der Perserkönig Kyros eroberte Babylon und er erlaubte dem Volk Israel die Heimkehr mit dem Auftrag Jerusalem wiederaufzubauen. Es waren wenige, die die Heimreise antraten und der Wiederaufbau ging daher mehr als nur schleppend voran. Die Heimgekehrten waren enttäuscht, weil am Wiederaufbau nichts vorwärtsging und das Leben mühsam blieb. Die in Babylon Lebenden weigerten sich im Weiteren heimzukehren, weil für sie das Leben in Babylon leichter war. Es verwundert nicht, dass es sowohl da wie dort zu einer schlechten, resignativen Stimmung führte.
An Menschen, die den Glauben an eine hoffnungsvolle Zukunft verloren haben, richtet sich der Prophet Jesaja mit seinen letzten Kapiteln seines Werkes. Einen Abschnitt aus dem letzten Kapitel haben wir als Lesung gehört:
„Freut euch mit Jerusalem und jauchzt in ihr alle, die ihr sie liebt! Jubelt mit ihr, alle, die ihr um sie trauert, auf dass ihr trinkt und satt werdet an der Brust ihrer Tröstungen, auf dass ihr schlürft und euch labt an der Brust ihrer Herrlichkeit!“ (Jes 66,11f).
Jesaja appeliert an das Herz der Menschen und ihre Stimmung. Freut euch mit Jerusalem und jauchzt! Jubelt mit ihr! Es wirkt wie ein Zwischenruf. Eine resignative, bejammernde Stimmung ist wenig zuträglich für gute Entwicklungen. Wer zum Beispiel ohne Freude und Zuversicht lernt, wird viel mehr Zeit brauchen, um den „Stoff“ intus zu bekommen. Wer ohne Freude arbeitet schwächt automatisch die Leistungsfähigkeit.
Mit Freude an den Wiederaufbau Jerusalems herangehen: Wir können uns vorstellen, dass es für die Menschen eine zu große, zu umfassende und zu überfordernde Aufgabe erschien. Jesaja sieht es zunächst als prophetische Aufgabe, den Menschen Mut und Zuversicht einzuhauchen.
Es ist interessant, dass Jesaja in diesem Abschnitt für Gott das Bild der „Mutter“ nimmt. In einem Vers davor, der nicht gelesen wurde, heißt es: „Noch bevor sie (Gott, die Mutter) ihre Wehen bekommt, hat sie schon geboren; noch bevor sie Wehen über sie kommen, hat sie schon einen Knaben zur Welt gebracht“ (Jes 66,7).
Gott als Mutter will das Leben. Er (Sie) bringt Leben hervor. Sie ist Leben. Wobei der Prophet hervorhebt, dass bei Gott dieser Neuanfang schneller als erwartet gehen kann und wird. „Noch bevor sie ihre Wehen bekommt, hat sie schon geboren.“ Die Anfangswehen des Wiederaufbaus werden rasch vorübergehen. Vermutlich kennt jede und jeder die Erfahrung, die oder der etwas Neues begonnen hat – eine Initiative, ein Projekt, eine Neugründung oder Gründung einer Firma – das Gefühl der anfänglichen Überforderung. Es tun dann die Stimmen von Außen gut, die Mut machen. Und wenn dann der Anfang gewagt und geglückt ist, verläuft die weitere Entwicklung beinahe wie von selbst.
Jesaja spricht zunächst das konkrete Jerusalem an, das am Ende des 6. Jht. v. Chr. daniederlag. Es ist aber zugleich Modell und Bild für alle Orte, in denen Gott Leben schafft, beziehungsweise Leben schenkt. Es gilt auch für die Kirche heute. Wir erleben eine Kirche – Gemeinden –, in denen zumindest nach Außen hin, vieles bröckelt, velleicht sogar daniederliegt. Es brechen Traditionen weg. Vieles wird scheinbar weniger oder ist manchmal überhaupt nicht mehr. Manche Theologen sprechen davon, dass es eine Neugründung der Kirche brauche. Eine Neugründung, die nicht so sehr den Erhalt von Gebäuden und Traditionen im Blick hat, sondern sich an den Menschen und ihren Herausforderungen orientiert.
Jesaja gibt auch dazu einen Impuls. So sagt er: „Auf dass ihr trinkt und satt werdet an der Brust der Tröstungen, auf dass ihr schlürft und euch labt an der Brust der Herrlichkeit!“ (Jes 66,11). Er verweist auf den Trost. Die Stadt soll aufgebaut werden, damit die Menschen in ihr Quellen des Trostes finden. Es erscheint mir beachtlich, dass er nicht nur von einer Quelle, sondern von mehreren Quellen spricht: Trost in der Trauer, in der Einsamkeit, in der Angst, in der Ohnmacht, im Zweifel u.a. Jesaja sieht es als prophetische Aufgabe einer Gmeinde, dass Quellen des Trostes fließen.
In einer Stadt, in einem Ort, in dem Menschen sind, die sich am Wort Gottes orientieren, im Geiste Gottes leben, wird es viel Tröstendes geben: Mitgefühl, Wertschätzung, Dankbarkeit, Solidarität, Achtung. Es wird ein Ort von Würde und Menschlichkeit sein. Es ist vor allem auch ein Ort, in dem Menschen in Krisen nicht allein gelassen sind.
Jesaja zeichnet die Vision, was aus der noch in Trümmer liegenden Stadt Jerusalem werden soll und wird. Ein Ort der Tröstungen. Eine Vision für jeden Ort Gottes.
Wenn Sie den Text der 1. Lesung aus dem Buch Jesája anhören möchten:
Wenn Sie den Text der 2. Lesung aus dem Brief des Apostels Paulus an die Gemeinde in Galátien anhören möchten:
Wenn Sie den Text aus dem heiligen Evangelium nach Lukas anhören möchten:
In unseren Gedanken zu den Texten der Sonntage haben wir schon öfter auf die Problematik von Textauslassungen hingewiesen. Wir wollen einen Versuch starten und werden ab dem Beginn des neuen Lesejahres die Texte in der Länge der biblischen Verfasser lesen.
Seit Jahrhunderten beeindruckt die Bibel Menschen mit ihren Formulierungen. In der Zeit ihrer Entstehung für jeden verständlich brauchen Leserinnen und Leser von heute eine Übersetzung dieser Texte. Jede Übersetzung ist in gewisser Weise auch eine Deutung der Schrift. Die Einheitsübersetzung ist uns bereits vertraut. Wir wollen bewusst mit Beginn des neuen Kirchenjahres eine andere Übersetzung verwenden, um uns neu von den Texten überraschen zu lassen. Wir haben uns für die Übersetzung der BasisBibel entschieden, die seit Januar 2021 vollständig vorliegt. Die BasisBibel ist die Bibelübersetzung für das 21. Jahrhundert: klare Sprache, kurze Sätze und verständliche Sprache.
Ein Kommentar zu “Ein Ort der Tröstung 1.Lesung: Jes 66,10-14c| 2.Lesung: Gal 6, 14-18| Evangelium: Lk 10,1-12.17-20”
Ein Ort der Tröstungen:
Dankeschön Erich, für deine Worte der Auslegung. Sie haben mich berührt und bereichert. Unsere Welt, unsere Zeit – sie braucht wahrhaft Worte der Tröstung, der Ermutigung.