Gegen Not und Elend angehen 1. Lesung: Dtn 18,15-20| 2. Lesung: 1 Kor 7,32-35| Evangelium: Mk 1,21-28
Es sind zwei Gedanken, denen ich nachgehen möchte:
Ein erster betrifft die gesellschaftliche und politische Situation, in die Markus schreibt. Er verfasst sein Evangelium um ca. 70 n.Chr. Es ist gegen Ende des jüdischen Aufstandes. Dieser Aufstand wurde von den Römern mit großer Härte und mit viel Gewalt niedergeschlagen. Es gab im ganzen Land mehrere Massaker, auch in der Nähe von Kafarnaum. Dörfer und Städte wurden niedergebrannt. Immer noch flammten einzelne Kämpfe auf. Eine Gruppe von Zeloten leistete nach wie vor auf Massada Widerstand.
Diese Massaker und Zerstörungen haben die Menschen in Angst und Schrecken versetzt. Viele der Menschen waren traumatisiert. Es hat manchen buchstäblich die Sprache verschlagen und sie waren stumm. Andere in ihrer Angst bringen ihr Leben nicht mehr auf die Reihe. Sie leben in Ruinen. Kinder als Waisen streunen wie Hunde in den verlassenen Orten herum und schlagen sich irgendwie durch. Gewalt an Frauen war an der Tagesordnung. Immer wieder trafen neue Hiobsbotschaften ein. Der Evangelist Markus schreibt sein Evangelium auf dem Hintergrund dieser Situation.
Das Befinden der Menschen wird von Markus aufgegriffen, wenn wir hören, beziehungsweise lesen, dass die Menschen Angst haben und von Schrecken und Entsetzen gepackt werden.
Natürlich beschäftigt die Menschen die Frage: Wo ist Gott? Warum lässt er das zu? Sind wir von ihm verlassen oder gar verstoßen? Wer hat gesündigt? Wer hat Schuld auf sich geladen?
Nun kommt Jesus in die Synagoge von Kafarnaum. Wir können davon ausgehen, wenn er nun zu reden beginnt, dass er erzählt, was mit Johannes dem Täufer passiert ist. Er spricht die traumatischen Erfahrungen an. Er lässt das Gespräch zu, fordert es heraus. Er spricht ebenso davon, dass die Zeit erfüllt und das Reich Gottes nahe sei.
Da wird nun von einem Menschen gesprochen, der zu schreien beginnt. Für ihn ist das von Jesus Gesagte alles andere als nachvollziehbar. Ja noch schlimmer: Er macht ihm den Vorwurf, über sie das Verderben bringen zu wollen.
Nun zum zweiten Gedanken:
Die Zeit ist erfüllt, das Reich Gottes ist nahe. Kehrt um! Denkt um! Mit dieser Botschaft – nochmals – konfrontiert Jesus die Zuhörenden. Das Umdenken bezieht sich auf den Glauben, vor allem aber auf das Gottesverständnis.
Der schreiende Mensch hält Jesus entgegen: Bist du gekommen, um uns ins Verderben zu stürzen? Und er fügt hinzu: Ich weiß, wer du bist: der Heilige Gottes.
Jesus heißt ihn zu schweigen und befiehlt, dass der unreine Geist ihn verlassen möge. Es treffen da zwei entgegengesetzte Vorstellungen aufeinander. Jesus, dessen Name besagt: „Gott hilft“. Gott rettet.“, trifft auf einen Menschen, der vom Gegenteil überzeugt ist. Er bringt Gott in Verbindung mit Verderben. Gott hat uns ins Verderben gestürzt. Es ist doch unsere Erfahrung. Das Evangelium berichtet, dass dieser Mensch dabei schreiend hin und her gerissen wird.
Es ist eine heftige Auseinandersetzung zwischen Jesus und diesem Mann. Der Grund liegt – nochmals – im Gottesverständnis, im Gottesbild. Jesus kommt mit der Botschaft, dass die Zeit erfüllt ist und das Reich Gottes nahe ist. Gott will nicht das Verderben der Menschen. Er steht für das Leben, für ein Leben in Fülle.
Bemerkenswert ist, wie Jesus mit diesem Menschen umgeht? Von Jesus folgen keine persönlichen Angriffe oder Anwürfe, auch keine Beleidigungen, Untergriffe oder Herabwürdigungen. Er nennt ihn nicht schlecht oder Unmensch oder du sollst gar verschwinden. Er geht nicht gegen die Person vor, sondern befiehlt diesem Geist das Schweigen und den Menschen zu verlassen. Es ist bei Konflikten eine hohe Kunst nicht persönlich, verletzend oder herabwürdigend zu werden.
In letzter Zeit bin ich öfters mit der Frage konfrontiert: Wo ist Gott? Warum lässt er Katastrophen wie Erdbeben zu? Warum den Krieg in der Ukraine? Warum die Gewalt und das Gemetzel um Gaza?
Der erste Schöpfungsbericht sagt: Das Chaos ruft Gott auf den Plan. Aus dem Chaos schafft er die Welt (Gen 1,1f). Bei der Berufung des Moses in Exodus 3 heißt es: „Ich habe das Elend meines Volkes in Ägypten gesehen und ihre laute Klage über ihre Antreiber habe ich gehört. Ich kenne sein Leid. Ich bin herabgestiegen, um es der Hand der Ägypter zu entreißen“ (Ex 3,7f).
Gott sieht Not und Elend. Gerade in größter Not dürfen wir mit seinem Herabsteigen rechnen. Er steigt herab und ruft Menschen – Moses steht als Beispiel –, die gegen die Not und das Elend angehen. Vielleicht die Fragen: Kann ich es glauben? Vielleicht ergeht sein Ruf auch manchmal an mich?
Wenn Sie den Text der 1. Lesung aus dem Buch Deuteronómium anhören möchten:
Wenn Sie den Text der 2. Lesung aus dem Brief des Apostels Paulus an die Gemeinde in Korínth anhören möchten:
Wenn Sie den Text aus dem heiligen Evangelium nach Markus anhören möchten:
In unseren Gedanken zu den Texten der Sonntage haben wir schon öfter auf die Problematik von Textauslassungen hingewiesen. Wir wollen einen Versuch starten und werden ab dem Beginn des neuen Lesejahres die Texte in der Länge der biblischen Verfasser lesen.
Seit Jahrhunderten beeindruckt die Bibel Menschen mit ihren Formulierungen. In der Zeit ihrer Entstehung für jeden verständlich brauchen Leserinnen und Leser von heute eine Übersetzung dieser Texte. Jede Übersetzung ist in gewisser Weise auch eine Deutung der Schrift. Die Einheitsübersetzung ist uns bereits vertraut. Wir wollen bewusst mit Beginn des neuen Kirchenjahres eine andere Übersetzung verwenden, um uns neu von den Texten überraschen zu lassen. Wir haben uns für die Übersetzung der BasisBibel entschieden, die seit Januar 2021 vollständig vorliegt. Die BasisBibel ist die Bibelübersetzung für das 21. Jahrhundert: klare Sprache, kurze Sätze und verständliche Sprache.
Ein Kommentar zu “Gegen Not und Elend angehen 1. Lesung: Dtn 18,15-20| 2. Lesung: 1 Kor 7,32-35| Evangelium: Mk 1,21-28”
Dazu fallen mir 2 weitere tröstliche Texte ein, die es zu verinnerlichen gilt:
K. H. Waggerl, ein österr. Dichter schreibt:
„Wenn kein Nacht nimmer käm,
könnt kein Tag nit bestehn.
Wenns kein Regen nit hätt,
wär die Sonn auch nit schön.
Und das Leid ist wohl da,
dass wir d’Freud recht verstehn.
Das Buch „Hiob“ endet mit der reifen Erkenntnis:
„Vom Hörensagen hatte ich von dir nur vernommen,
jetzt aber hat mein Auge dich geschaut.“