Herausforderungen des Alltags 1. Lesung: Dtn 30,9c-14 |2. Lesung: Kol 1,15-20|Evangelium: Lk 10,25-37
Die Erzählung vom barmherzigen Samariter gehört zum Sondergut des Evangelisten Lukas. Er zeichnet mit ihr auf besondere Weise das Glaubensverständnis Jesu. Ebenso beachtenswert ist der Umgang Jesu mit den Menschen, auch seinen Widersachern. So fordert er den Gesetzeslehrer zu einer Entscheidung heraus, aber ohne ihn bloß zu stellen. Der Evangelist lässt es offen, ob die Intervention Jesu bei ihm gefruchtet hat. Wir wissen nicht, wie der Gesetzeslehrer schlussendlich reagiert hat. So ist die Frage: Fruchtet sie bei uns? Wie reagiere ich? Wie reagieren wir?
Ein Gesetzeslehrer stellt die Frage: Was muss ich tun, um das ewige Leben zu gewinnen? Der Gesetzeslehrer fragt hier nicht nach der rechten Lehre, sondern in erster Linie nach dem rechten Handeln. Als Gesetzeslehrer könnte man davon ausgehen, dass ihm die Lehre wichtiger als das Handeln ist.
Jesus stellt ihm eine Gegenfrage, die auf seine Stärke zielt. Er ist Gesetzeslehrer. Die Thora zu studieren ist sein alltägliches Brot. Bei anderen Evangelien ist überliefert, dass Jesus die Antwort mit dem sogenannten Doppelgebot der Liebe gibt. Lukas lässt sie den Fragesteller, den Gesetzeslehrer selbst geben: Du sollst deinen Gott, den Herrn, lieben mit deinem ganzen Herzen, deiner ganzen Seele, deiner ganzen Kraft und mit deinem ganzen Denken. Was der Gesetzeslehrer zum ursprünglichen Gebot (Dtn 6,5) ergänzt, betrifft den letzten Teil: mit deinem ganzen Denken.
Wir können davon ausgehen, dass der Gesetzeslehrer mit der ergänzenden Erweiterung des Gebotes Jesus fordern wollte. Er hat mit dem Denken Jesu Mühe.
Es ist beachtenswert, dass der Gesetzeslehrer die Gebote der Gottes- und Nächstenliebe verbindet und auf die gleiche Ebene stellt. In unserer christlichen Tradition wurde das Herstellen der Verbindung der beiden Gebote vor allem Jesus zugeschrieben.
Jesus bestätigt den Gesetzeslehrer: Handle danach und du wirst leben. Dieser ist allerdings mit der Antwort Jesu nicht zufrieden und fügt eine weitere Frage hinzu: Wer ist mein Nächster?
Jetzt erzählt Jesus dieses für uns so bekannte Gleichnis vom barmherzigen Samariter. Da gilt es den Zusammenhang zu bedenken:
Unmittelbar davor kamen Jünger zu Jesus und berichteten ihm, dass sie in einem samaritischen Dorf keine Aufnahme fanden. Sie fragten, ob sie Feuer auf diesen Ort herabrufen sollen? Sie wünschten Zerstörung und Vernichtung. Hier schildert nun Jesus einen Samariter, dem der rechte Glaube abgesprochen wurde, als einen Menschen, der im Gegensatz zu einem Priester und Levit, Mitleid mit einem unter die Räuber gefallenen hat. Er fragt nicht lange nach unrein oder rein. Wer Blut oder einen Toten berührte, wurde kultisch unrein. Das heißt, er durfte erst wieder in einen Synagogengottesdienst nachdem er in einer „Mikwe“ gebadet hatte. Der Samariter versorgt den blutverschmierten, leistet erste Hilfe, lädt ihn auf einen Esel und bringt ihn in eine Herberge.
Der Samariter erfüllt das Gesetz nicht dem Buchstaben nach, sondern er lebt die religiöse Forderung der Gottes- und Nächstenliebe und handelt barmherzig. Der Mann aus Samarien ist ein Fremder. Er gilt in der Zeit Jesu als einer, der einen falschen Glaubensweg geht. Und gerade er erweist sich hier als derjenige, der durch das Handeln das ewige Leben gewinnt, der es richtigmacht.
Jesus führt dann den Fragenden mit seiner Frage zu einem Perspektivenwechsel hin. Er fragt: Wer von diesen dreien, meinst du, ist dem der Nächste geworden, der von den Räubern überfallen wurde? Der Gesetzeslehrer gibt die Antwort: Der barmherzig an ihm gehandelt hat.
Die Frage nach dem Nächsten beantwortet Jesus nicht aus der Perspektive des Fragenden, des Zuwendenden, Helfenden, sondern er führt zur Perspektive des Opfers hin: Wer ist dem unter die Räuber gefallenen Nächster geworden? Es ist der Blickwinkel desjenigen, der auf Hilfe, auf Aufmerksamkeit, Unterstützung, der auf Liebe angewiesen ist.
Nicht der Priester, nicht der Levit ist in der Lage, sich als Nächster zu erweisen. Mit dem Gleichnis ist die Frage an jede Gemeinde, an jede christliche Gemeinschaft, Pfarrgemeinde, ja an die Kirche insgesamt gestellt: Wer ist der oder dem unter die Räuber gefallenen Nächster geworden? In der sich personell verändernden Situation der Kirche ist die Gefahr, dass wir in der Sorge, um Runden, Treffen, Gottesdienste, Aktionen … zu erhalten, jene übersehen, die heute unter die Räuber fallen. (Es ist eine Sorge, auf die der Papst immer wieder hinweist.)
Es ist zu bedenken: Leben – ewiges Leben – ist dem barmherzigen Samariter verheißen.
Der Glaube entscheidet sich nicht im Tempel, sondern im Alltag, wo das Leben spielt, auf dem Pflaster der Straße. Hier entscheidet sich, ob Religion, ob der Glaube dem Leben dient und wirksam ist.
Wenn Sie den Text der 1. Lesung aus dem Buch Deuteronómium anhören möchten:
Wenn Sie den Text der 2. Lesung aus dem Brief des Apostel Paulus an die Gemeinde in Kolóssä anhören möchten:
Wenn Sie den Text aus dem heiligen Evangelium nach Lukas anhören möchten: