Lazarus vor meiner Türe 1. Lesung: Am 6,1a.4-7| 2. Lesung: 1 Tim 6,11-16| Evangelium: Lk 16,19-31
An den vergangenen Sonntagen haben wir insgesamt fünf zusammenhängende Gleichnisse gehört. Bei den ersten drei ging es um Verlorengegangenes, das wiedergefunden wurde: das verlorene Schaf, die verlorene Drachme und der verlorenen Sohn. Sie waren sinnbildlich verloren und sind gefunden worden. Man freut sich über das Finden und feiert. Bei all diesen Gleichnissen hat Jesus auch die Pharisäer und Schriftgelehrten im Blick. Im heutigen Gleichnis stehen sie für den reichen Mann. Schon durch das Gleichnis des letzten Sonntags vom reichen Mann und seinem Hausverwalter fühlten sich die Pharisäer und die priesterliche Klasse direkt angesprochen. Direkt vor der Erzählung vom Reichen und dem armen Lazarus trifft Jesus auf Pharisäer, die über ihn spotten: „Das alles hörten auch die Pharisäer, die sehr am Geld hingen, und sie lachten über ihn“ (Lk 16,14).
Das Gleichnis des Lazarus wird nur bei Lukas erzählt, es ist sogenanntes lukanisches Sondergut. Zwei Aspekte daraus sollen näher beleuchtet werden. Einerseits wird ein immer wiederkehrendes lukanisches Motiv, die soziale Schieflage zwischen Armen und Reichen, thematisiert; andererseits die manchmal fast unmenschliche Ausrichtung der Pharisäer und Schriftgelehrten am Gesetz. Wie schon im Gleichnis des barmherzigen Samariters lässt ein „Rechtgläubiger“ den Notleidenden „links“ liegen. Die Pharisäer versuchten nicht nur alle Gebote der Thora zu halten, sondern entwickelten auch Vorschriften für Kleinigkeiten des täglichen Lebens. Im Laufe der Zeit erhielten diese Auslegungen und Bestimmungen sogar den Rang der ursprünglichen biblischen Gesetze. Juden, die sich diesem Zwangskorsett nicht unterwerfen wollten oder auf Grund ihrer gesellschaftlichen oder beruflichen Situation nicht konnten, wurden geächtet. Auf Grund ihrer Gesetzes- und Traditionstreue wähnten sie sich in Abrahams Schoß und müssen nun von Jesus hören, dass dieser Platz Armen und Ausgestoßenen zukommen soll. Sie sind Menschen, die zu Opfern rechtgläubiger Gesetzesauslegung geworden sind.
Auch die Kleidung des Reichen gibt Aufschluss darüber, wer gemeint ist. Purpur ist im Ersten Testament die Kleidung der Könige und feines Leinen die Kleidung der Priester. Viele Jahrhunderte wurden Gewänder von Kaisern und hohen Geistlichen aus Purpur hergestellt. Nicht umsonst spricht man noch heute vom Kardinalspurpur.
Der Name Lazarus entstammt dem Griechischen, er bedeutet dort hilflos. Im Hebräischen aber bedeutet Lazarus genau das Gegenteil – Gott hilft. Der Glaube an die zahlreichen griechischen Götter lässt hilflos zurück, Hilfe und Gerechtigkeit verschafft der eine Gott Israels. Der vermutlich übel riechende Lazarus lag vor dem Tor des reichen Mannes. Er litt unter Eiterungen. Das ist im Ersten Testament ein Symbol für Sünde.
Dieses Gleichnis verfolgt nicht das Ziel, uns das Höllenleben zu schildern. Lukas greift hier entweder auf die griechische Vorstellung des Totenreiches den „Hades“ zurück oder auf die jüdische Vorstellung des Scheol. Beide Vorstellungen beziehen sich nicht auf die Gegebenheit einer Hölle, sondern auf einen Ort der Finsternis, zu dem alle Toten gehen, ein Ort der Stille, Dunkelheit und Gottferne, der vom Leben abgeschnitten ist. Im jüdischen Glauben verbleiben dort alle Toten bis zur Erlösung durch den Messias. Der Text will nicht zu Jenseitsspekulationen anleiten, sondern das Evangelium möchte uns zu einem Perspektivenwechsel einladen. Was zählt am Ende unseres Lebens? Wenn wir auf unser Leben vom Ende her blicken – was hat uns wahrhaft reich gemacht? Das Gleichnis will aufrütteln und auffordern, unser Leben in größeren Zusammenhängen sehen zu lernen. Nicht das vergängliche Vergnügen materieller Güter gibt uns die Sicherheit von Abrahams Schoß, sondern die Sorge und die Teilnahme am Schicksal Ausgestoßener und Armer lässt uns zufrieden in Abrahams Schoß fallen.
Auch wir Christen unterliegen der Versuchung, Regelwerke aufzubauen, unter welchen Umständen ein anderer Mensch Teil unserer Gemeinschaft sein darf (Mitarbeit in der Pfarre, Zahlen des Kirchenbeitrag, bestimmtes Wohlverhalten). Auf die Bitte des Reichen hin, es mögen doch zumindest seine Brüder durch einen von den Toten Auferstandenen gewarnt werden, entgegnet Abraham: Hören sie Mose und die Propheten nicht, so werden sie auch nicht hören, wenn jemand von den Toten auferstünde. Einen dieser sozialkritischen und Armut geißelnden Propheten haben wir in der Lesung gehört.
Lukas richtet sein Wort an Gemeinden, die mit dem Mysterium der Auferstehung konfrontiert sind. Es ist nicht nur an uns zu fragen: Hat der Auferstandene bei mir etwas bewirkt? Wer liegt an unserer Türe – vor den Toren Europas – wenn wir als Gemeinde feiern? Bereits Lukas hält ganz praktisch fest: Wenn ihr Mose und den Propheten nicht glaubt, hilft es auch nicht, wenn einer aufersteht. Jesus ist auferstanden und diese Tatsache hat manche (Pharisäer und andere) nicht verändert.
In der Gemeinschaft Sant’Edgidio engagieren sich ehrenamtlich tätige Frauen und Männer aus allen gesellschaftlichen Schichten, die sich im Hören auf das Wort Gottes für Menschen am Rande, für Frieden und soziale Gerechtigkeit einsetzen. Der Generalsekretär dieser Gemeinschaft wird einer der Gastreferenten beim Diözesanforum sein.
Ein Kommentar zu “Lazarus vor meiner Türe 1. Lesung: Am 6,1a.4-7| 2. Lesung: 1 Tim 6,11-16| Evangelium: Lk 16,19-31”
“Lazarus vor meiner Tür” werde ich sicher nicht nur zweimal lesen. Ich habe Neues und für das Textverständnis helfendes gelernt: ich fand die Gegenüberstellung der Bedeutung des Namens Lazarus im Griechischen und Hebräischen interessant und hilfreich; ebenso den Hinweis von Hades und Scheol im Unterschied zu Verständnis der Hölle, erklärt, dass der Text keine “Jenseistsspekulation” sein will.. Nicht zuletzt habe ich mich vom Gegenwartsbezug ansprechen lassen und die Frage: hat die Auferstehung etwas bei mir bewirkt klingt nach. Vielen Dank!