Es soll keinen Armen unter euch geben 1. Lesung: Am 8,4-7| 2. Lesung: 1 Tim 2,1-8| Evangelium: Lk 16,1-13
Um dieses etwas sperrige Evangelium einordnen zu können, möchte ich ein wenig ausholen und den Hintergrund erklären. Er macht zugleich deutlich, dass Jesus gesellschaftspolitische Themen aufgegriffen hat.
Reich und arm ist ein altes Thema und bleibt für jede Gesellschaft eine Herausforderung. Bevor Israel ins gelobte Land einzieht, hält die Tora als Gebot fest (Dt 25; Lev 15): Jedes siebte Jahr soll eine Sabbatjahr (Erlassjahr) sein. Wenn sich also jemand verschuldet hatte, dann zahlte er jedes Jahr von dieser Schuld ab, zusätzlich mit Zinsen. Wenn nun jemand die Schuld in dieser Zeit nicht begleichen konnte, dann hatte das Gebot im sogenannten Sabbatjahr zur Folge, dass dem Schuldner seine ganze Schuld erlassen wurde. Es ist eigens die Aufforderung in der Formulierung des Gebotes, dass die Besitzer ihr Herz nicht verhärten und dem Gebot großzügig nachkommen sollen, beziehungsweise, dass es in eurer Mitte keine Armen geben soll. Wohlgemerkt: es ist ein biblisches Gebot und es handelt sich um das Leben im gelobten Land.
Als nun die hellenistisch-römische Zeit immer mehr das Leben Israels bestimmte, kam dieses Gebot unter Druck. Es wurde unter einem Rabbi Hillel (ca. 30 v. Chr. bis 9 n. Chr.) zu diesem Sabbatgesetz ein zusätzliches Rechtsinstitut geschaffen, der sogenannte „Prosbul“. Es konnte von beiden Parteien eine Zusatzbestimmung in den Darlehensvertrag aufgenommen werden, die den Schuldenerlass im Sabbatjahr außer Kraft setzte. Pacht-, Darlehens- und Zinszahlungen aus der Verschuldung der Pächter konnten dann weiterhin trotz des Sabbatjahrs fließen. Kein Wunder, dass sich dies für die herrschende Klasse bald als vorteilhaft erwies. Der biblische Schulderlass verschwand binnen kürzester Zeit. Davon profitierte vor allem die Aristokratie und nicht zuletzt auch die Priesterelite, die damals Teil der oberen Schicht war.
Den Hörern des Gleichnisses war dieses Rechtsinstitut bekannt. Es ist zudem zu bedenken, dass über 90 Prozent der Bevölkerung wirklich arm waren, das heißt knapp über oder unter dem Existenzminimum lebten. Reiche waren Großgrundbesitzer. Sie nannten oft ganze Dörfer als ihr Eigen. Viele der Ortsbewohner waren ihnen gegenüber verschuldet. Aus Kleinbauern wurden Pächter, Tagelöhner und schließlich Bettler. Es war praktisch eine parallele Entwicklung zur heutigen Zeit: die Reichen werden reicher und die Armen ärmer.
Nun zum Gleichnis zurück: Ein reicher Mann hatte einen Verwalter. Beim Reichen handelt sich um einen Mann, der selbst nicht mehr arbeiten muss und seine Agenda einem Verwalter übertragen hatte. Es war nicht unüblich, dass einem solchen Verwalter in seinem Agieren freie Hand gelassen wurde. Er hatte die Schuldscheine bei sich. Er bestimmte im Umgang mit den Schuldnern praktisch die Gesetze und Regeln. Im Gleichnis wird gesagt, dass der reiche Mann ihm das Vertrauen entzogen hat und ihm die Absetzung droht. Der Grund wird nicht angegeben. Vielleicht handelte der Verwalter zu lax, zu wenig hart?
Es gibt verschiedene Übersetzungen, wie der Verwalter genannt wird: „unehrlich“ in der Einheitsübersetzung, „ungetreu“ in der Zürcher Lutherübersetzung, „ungerecht“ in der Bibel in gerechter Sprache. Luisse Schottroff, eine evangelische Exegetin beschreibt ihn als „gerissenen Finanzverwalter“. Es sind alle Übersetzungen möglich und legitim. Sie machen allerdings darauf aufmerksam, dass wir dieses Gleichnis nicht aus der Perspektive der Reichen, sondern der Armen lesen sollen. Jesus ist angetreten, den Armen eine gute Nachricht zu bringen (Lk 4,18f).
Es ist auch der Grund, warum der Verwalter letztlich von Jesus gelobt wird. Er setzt den Schuldnern ihre Schuld herab. Ohne es hier genauer beschreiben zu können, bedeutet es nichts anderes, als dass er mit seiner „subversiven Aktion“ das Torarecht der überschuldeten Pächter auf einen Schuldenerlass wieder zur Geltung bringt. Er tut das, was die Tora vorsieht. Man mag es „klug“ oder „gerissen“ nennen. Er hebelt das Spiel der Reichen mit den Armen aus. Dafür wird er von Jesus gelobt.
Ich bin bei diesem Gleichnis sehr an die Finanzkrise erinnert. Da haben manche Reiche ungeheuerlich profitiert. Das Geld, das da „verzockt“ wurde, ist ja nicht aus der Welt. Es gehört Personen, scheinbar legal erworben, die niemandem Rechenschaft schulden und für das Gemeinwohl keine Verantwortung übernehmen müssen. Es hat aber viele weltweit in die Armut getrieben.
Es gibt auch das andere Beispiel: 1953 gab es für Deutschland auf der Londoner Schuldenkonferenz einen Schuldenerlass nach dem zweiten Weltkrieg. Die Früchte dürfen wir heute noch ernten. Es könnte Vorbild für andere Schuldenerlässe sein, die Länder oder Regionen betreffen.
Gelobtes Land kennt das Gebot: Schuld zu erlassen. Ohne Herzensverhärtung. In der Vaterunser Bitte „vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern“ ist es mitgemeint: der Schuldenerlass.
Die Tora formuliert das Sabbatjahr als verbindliches Gebot. Es ist aber mehr. Es ist Weisheit für Menschen, die in Frieden und Gerechtigkeit und mit Würde leben wollen.
2 Kommentare zu “Es soll keinen Armen unter euch geben 1. Lesung: Am 8,4-7| 2. Lesung: 1 Tim 2,1-8| Evangelium: Lk 16,1-13”
Danke für die Hintergrundinformationen, die mir nicht bekannt war! Dir eine gute Zeit. Liebe Grüße Maria
Auch ich freue mich sehr über die Hintergrundinformation und danke dafür. So liegt es ja auch im Auge des Betrachters, was gerecht oder ungerecht ist. Der Arme, der sich aus der Schuldenfalle nicht alleine durch Arbeit befreien kann, ist Schuldenerlass unerlässlich. Erhalt des Friedens bedingt Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung und damit eine Chance für ein gutes Leben für alle.