Liebe statt Opfer 1. Lesung: Hos 6,3-6| 2. Lesung: Röm 4,18-25| Evangelium: Mt 9,9-13
Sowohl im Text der ersten Lesung aus dem Buch Hoséa als auch des Evangeliums werden Opfer thematisiert. Aus diesem Grund möchte ich etwas auf die Entwicklung der Opferdarbringung in der Geschichte des Volkes Israel eingehen.
Das Buch Levitikus beschreibt sehr ausführlich, zu welchen Anlässen und in welcher Form Opfer im Tempel dargebracht werden sollen. Es gab unterschiedliche Formen: Speise- und Trankopfer, Brandopfer, Schlachtopfer, Heilsopfer, Sünd- und Schuldopfer … Opfer sind Gaben der Menschen, die das Verhältnis zwischen Menschen und Gottheit beeinflussen sollen. Für uns klingt dies heute sehr archaisch. Genaugenommen erzählt uns die Bibel neben anderen Entwicklungen des Volkes Israel, wie Gott mit seinem Volk die Darbringung von Opfern kultivieren wollte.
In der Bibel werden uns drei einschneidende Veränderungen des Opferkultes dargestellt. Als erstes wird uns von der Opferung des Isaaks erzählt (Gen 22). Abraham soll seinen geliebten Sohn dem Herrn als Opfer darbringen. Als der Moment des Zustechens kam, intervenierte Gott und verhinderte das Menschen- bzw. Kinderopfer. In den frühen Kulturen waren Kinder- und Menschenopfer zur Besänftigung der Götter üblich. Es ist die erste Intervention Gottes zur Eindämmung sinnloser Opfer.
Die zweite Intervention erfolgt durch die Gabe der Tora. Von Abraham wird uns erzählt, dass er an unterschiedlichen Orten Altäre für Opferungen baute. Opfer wurden also an unterschiedlichen Orten verteilt über das ganze Land dargebracht und auch zu ganz wahllosen Zeiten. Bereits in der Wüste war es Gott ein Anliegen festzulegen, dass es im Heiligen Land nur mehr einen Ort für Opferfeste geben soll – den Tempel in der heiligen Stadt Jerusalem. Orte, Zeiten und Opfergaben wurden genau definiert – wie oben erwähnt maßgeblich im Buch Levitikus. Damit wurde die Darbringung der Opfer eingeschränkt und kultiviert.
Die großen Opferfeste waren die drei Wallfahrten nach Jerusalem: Pessach, Schawuot und Sukkot. Es waren Erntedankfeste und zum Dank für die Gaben Gottes brachten Menschen Opfer dar. Zu diesen Zeiten müssen unglaubliche Zustände in Jerusalem geherrscht haben. Die Gassen waren eng und schmal und es haben sich wahre Menschenmassen durchgeschoben. Nach der Ankunft in Jerusalem mussten sich die Menschen körperlich zuerst im Teich Schiloach reinigen; dann kamen die rituellen Bäder; anschließend musste im Vorhof des Tempels das Getier gekauft werden, das man opfern wollte. Es musste zu den Priestern gebracht werden und am Altar wurden die Opfer dann verbrannt. Nicht nur, dass es schrecklich eng für diese Massen war, gab es zudem den Geruch von Schweiß und den Gestank durch das Verbrennen des Fleisches.
Hoséa war Prophet zu einer Zeit als dem Nordreich der Zugang zum Südreich verwehrt war und deshalb eine Opferung im Tempel für einen Teil des Volkes nicht mehr möglich war. Er sieht in der Not eine Tugend. Natürlich waren die Hohepriester Verfechter eines Opferkultes, denn ein Teil der Opfer fiel an sie und ihre Familien. Somit waren die Opfer wesentlicher Teil ihres Lebensunterhaltes, der mit verlässlicher Regelmäßigkeit gesichert war.
Krisenzeiten sind immer auch Zeiten, in denen Menschen nochmals über die „Bücher“ gehen und nachlesen, welche Hilfestellungen denn die biblischen Texte für die aktuellen Herausforderungen bieten können. Wir machen es heute nicht anders, wenn wir uns fragen, wie denn die christlichen Urgemeinden funktioniert haben, welche Haltungen empfohlen werden. Der Prophet Hoséa tat dies auch, denn was will man Menschen sagen, die meinen, Gott sei nur durch Opferungen im Tempel milde zu stimmen, der Zugang zum Tempel aber versperrt ist und Menschen vielleicht wieder mit Opferungen an allen erdenklichen Orten beginnen wollen?
Er erkannte, dass Gott als verlässlich und treu beschrieben ist und er formuliert dies sehr poetisch: „Er kommt so sicher wie das Morgenrot; er kommt zu uns wie der Regen, wie der Frühjahrsregen, der die Erde tränkt“ (Hos 6,3). Gott muss nicht wie zahlreiche andere Götzen und Götter durch Opfer besänftigt werden. Er ist seinem Volk treu und verlässlich. Die Liebe des Volkes und seine Dankbarkeit gegenüber Gott zeigte sich damals aber wesentlich in der Darbringung von Opfern. Es waren Handlungen, die schnell verpuffen wie die Rauchwolken beim Verbrennen der Opfer. Gott benötigt diese archaische Darbringung von lebenden Gaben nicht, die ihren Tod finden müssen, um Gott zu danken, zu loben, zu bitten. Darum formuliert Hoséa: „Eure Liebe ist wie eine Wolke am Morgen und wie der Tau, der bald vergeht“ (Hos 6, 4). Die Liebe des Volkes ist also wenig beständig. Welche Schlüsse zieht nun Hoséa in seiner prophetischen Aussage daraus: Die Kommunikation mit Gott soll nicht mittels Opfer stattfinden, sondern durch Worte – die Worte der Tora und die Worte der Propheten. Leben wir nach diesen Worten, wird das Recht Gottes zur Geltung kommen: „Denn an Liebe habe ich Gefallen, nicht an Schlachtopfern, an Gotteserkenntnis mehr als an Brandopfern“ (Hos 6,6).
Damit läutet Hoséa eine Wende ein, die bis zur Zeit Jesus noch nicht vollzogen sein wird. Es gab auch zu Jesu Zeiten immer noch die Opferungen im Tempel zu den Wallfahrtsfesten. Jesus selbst nahm an den Festen teil, allerdings wird kein einziges Mal geschildert, dass er selbst ein Opfer dargebracht hätte. Lediglich beim Abendmahl wird auf das Pessachfest Bezug genommen, aber auch dieses Fest lässt er von anderen bereiten. Diese Form von Opferdarbringung war für ihn Tradition, die er mitvollzog, er selbst war aber schon einen Schritt weiter. Jesus setzte mit seinem Leben und seinem Tod einen Schlusspunkt. Es geht nicht mehr um die Darbringung von Lebewesen, um Gott zu besänftigen. Es geht um Teilhabe des Menschen am Schöpfungsplan Gottes – um unser Alltagsleben als Christinnen und Christen und unsere Bereitschaft mitzuarbeiten, dass die Welt lebenswert bleibt. Jesus formuliert dies an die Pharisäer so: „Geht und lernt, was es heißt: Barmherzigkeit will ich, nicht Opfer!“.
Auch wir stellen fest, dass manche Riten und Rituale für uns nicht mehr passen. Wir haben etwas den Anschluss an Traditionen verloren und wissen nicht genau, wo wir wieder anknüpfen sollen. Die Bibel zeigt uns, dass sich Dinge auch verändern dürfen. Vielleicht dürfen auch wir Tradiertes überdenken und neue Wege und Formen zur Pflege unserer Gottesbeziehung finden?
Wenn Sie den Text der 1. Lesung aus dem Buch Hoséa anhören möchten:
Wenn Sie den Text der 2. Lesung aus dem Brief des Apostels Paulus an die Gemeinde in Rom anhören möchten:
Wenn Sie den Text aus dem heiligen Evangelium nach Matthäus anhören möchten:
2 Kommentare zu “Liebe statt Opfer 1. Lesung: Hos 6,3-6| 2. Lesung: Röm 4,18-25| Evangelium: Mt 9,9-13”
“Liebe will ich, nicht Opfer! ” Großartige Gedanken in Worte gefasst! Danke für den Kommentar zum So, 11. Juni!
Die Bibel hat man nie “ausgelesen”, nie fertig durchdacht und erst recht nicht “verstanden”. Das Lesen der Schriften und Eingehen darauf ist immer wieder ein neues Erleben und “Licht ins Dunkel” 🤗🌈
Zu Frau Weiss differenzierter Sichtweise möchte ich noch im Hinblick auf Mt. 9:13 anfügen:
„Opfer“ ist in den Augen mancher Christen ein Erbringen von Leistungen (z. B. Gottesdienst besuchen, Geld spenden, Widrigkeiten aushalten, Mobbing ertragen, ect.), deren geistiger Gegenwert Gott buchhalterisch und fehlerfrei verwaltet bzw. als „Gutschrift“ im Habenkonto der persönlichen Endabrechnung festhält.
„Barmherzigkeit“ hingegen ist vorrangig Durchdrungen-Sein von Gottes Geist und erst im zweiten Schritt Nächstenliebe. Sie ist eine Umsetzung der Liebe Gottes zu uns, indem wir zu Seinen „Händen und Füßen“ auf Erden werden und zur einzig lesbaren und verständlichen „Bibel“ bzw. „Offenbarung“ für die Menschen.
Ergänzend und als Krönung soll zu unserer Hingabe hinzukommen, wozu uns Paulus in Hebr. 13:15 bittet: „Durch Jesus Christus lasst uns Gott allezeit das Opfer des Lobes darbringen, nämlich die Frucht der Lippen, die seine Wundertaten preisen.“