Mitleid und Berührung 1. Lesung: Lev 13,1-2.43ac.44ab.45-46|2. Lesung: 1 Kor 10,31-11,1|Evangelium: Mk 1,40-45
Die biblischen Texte dieses Sonntags wirken für uns möglicherweise alt und überholt. Uns beschäftigt Corona und nicht Aussatz. Der Streit, ob man Götzenopferfleisch essen darf oder nicht, ist uns fremd. Bei einem näheren Hinsehen können wir allerdings Berührungspunkte zum aktuellen Geschehen entdecken.
Wir spüren zusehends, dass die Corona-Pandemie mit den Menschen und der Gesellschaft etwas macht. Sie zehrt an den Nerven und an der Geduld. Die Stimmung wird gereizter. Die Fragen nehmen zu: Wem kann man trauen? Wem trauen, wenn selbst die Experten einander widersprechen? Wer sagt die Wahrheit? Welche Maßnahmen sind berechtigt, welche übertrieben? Gibt es eventuell Personen oder Machenschaften, die über uns Macht gewinnen wollen? Die Diskussionen gehen quer durch Familien, Freundeskreise, Parteien und Gesellschaft. Manche wollen nichts mehr von allem hören, aber es macht die Situation auch nicht besser!
Wir befinden uns in einer Pandemie. Es ist eine völlig neue Situation für unsere Gesellschaft. Wir können auf keine Erfahrungen zurückgreifen, wie wir damit umgehen können. In den letzten Jahrzehnten waren wir es über weite Strecken gewohnt zu planen, verlässlich zu planen. Das ist im Moment weg. Es gibt viel Unsicheres und Ungewisses. Und: Wir ahnen schwerwiegende Folgen.
Hinzu kommt, dass verschiedene Interessen und Gefahren in eine gewisse, kaum auflösbare Konkurrenz treten: einerseits die Gesundheit der sogenannten vulnerablen Gruppen, andererseits die entstehenden Belastungen der Jüngeren; oder die Achtung der Gesundheit auf der einen Seite und die Folgen für die Wirtschaft auf der anderen Seite; dann das Plädoyer für Eigenverantwortung und Wahrung der Freiheit und auf der anderen Seite notwendige Regeln und Vorschriften. All dies bewirkt Stress, zusehends eine gereizte Atmosphäre und manchmal einen aggressiven, verletzenden Gesprächsstil.
Welche Impulse lassen sich aus den biblischen Texten herausschälen? Für einen an Aussatz Erkrankten bedeutete es damals in strenger Quarantäne zu leben. Ein solcher Mensch durfte mit niemandem in Berührung kommen. Er hatte außerhalb der Stadt oder des Ortes in Abgeschiedenheit zu leben. Kam jemand auf ihn zu, musste er laut rufen: Unrein! Unrein!
Wir wissen heute, dass Aussatz nicht auf diese Weise ansteckend war. Damals meinte man, sich mit absoluter Distanz schützen zu müssen. Der Erkrankte geht auf Jesus zu und traut seiner Heilungkraft: Wenn du willst, kannst du mich rein machen. Jesus hatte Mitleid und berührte ihn.
Es sind zwei wichtige Elemente, die für die Heilung maßgeblich sind: Mitleid und Berührung. Corona verlangt Distanz. Das Mitleid – vielleicht besser – das Anteil nehmen überwindet oder verringert zumindest diese notwendige Distanz. Und weiter: Jesus berührte ihn. Er ließ sich von der Situation dieses Menschen berühren. Er berührte ihn. Wir dürfen davon ausgehen, dass er nicht nur die Haut, sondern ihn als Mensch, in seiner Seele, in seiner Not berührte. Darin liegt eine wichtige Quelle der Heilung, bzw. des neuen Mutes.
Es heißt dann: Jesus wies in Streng an und sagte zu ihm, geh und zeig dich dem Priester, die die Reinheit festzustellen haben. Es ist auch zum Schutz Jesu, damit er auf Grund der Berührung nicht selbst als unrein betrachtet wird. Gegen alle Vernunft macht der Geheilte das Gegenteil. Er macht Jesu Tun publik und bringt ihn in Gefahr. Wie Jesus auf diese Unvernunft reagiert hat, führt der Evangelist nicht näher aus. Es gilt immer auch jene Reaktionen zu bedenken, die genauso möglich gewesen wären. Jesus schimpft ihm nicht hinterher, bereut auch nicht die geleistete Heilung. Wir finden kein Wort der Verunglimpfung oder gar des Verfluchens.
Da will ich nun zu Paulus überleiten. In der Gemeinde Korinth gab es die Diskussion, ob Götzenopferfleisch – in einem heidnischen Tempel dargebracht – gegessen werden darf oder nicht? Es war eine Streitfrage in der christlichen Gemeinde. Die Fronten waren verhärtet. Paulus vermittelt in diesem Konflikt.
Es geht ihm in seiner Antwort um mehr als nur um richtig oder falsch. Für ihn selbst wäre die Antwort klar gewesen. Er ahnt aber, dass die bestehende Spannung zwischen den beiden Gruppen mit seinen Argumenten nicht lösbar ist. Zu unterschiedlich sind ihre Zugänge. Er lädt zu großem gegenseitigem Respekt ein.
Man beachte diese Seite des Paulus, der in vielen anderen Situationen sehr pointiert und entschieden war. Die Meinungsverschiedenheiten in der Frage des Götzenopferfleisches waren zu groß. Es ist das Aushalten von Unsicherheit und Ungeklärtem.
Zu Beginn habe ich festgestellt, dass ich dem Text Relevanz für unsere Zeit zugestehe. Wir leben in einer Zeit der Ungewissheit und Unsicherheit und können auf keine wirklichen Erfahrungen im Umgang damit zurückgreifen.
Es werden hilfreiche Qualitäten sein: Mitleid haben, sich von der Not von Menschen betreffen und berühren lassen, bzw. sie berühren, d.h. an ihrem Schicksal Anteil nehmen. Mit Achtung und Respekt auch Dinge zunächst einmal gelten lassen können, die der Vernunft widersprechen, aber selbst die Vernunft nicht ausschalten.
Wenn Sie den Text der 1. Lesung aus dem Buch Leviticus anhören möchten:
Wenn Sie den Text der 2. Lesung aus dem ersten Brief des Apostels Paulus an die Gemeinde in Korinth anhören möchten:
Wenn Sie den Text aus dem heiligen Evangelium nach Markus anhören möchten: