Zulassen von Gefühlen 1. Lesung: Ijob 7,1-4.6-7|2. Lesung: 1 Kor 9,16-19.22-23|Evangelium: Mk 1,29-39
In der gesamten dreijährigen Sonntagsleseordnung ist nur in diesem Jahr eine Lesung aus dem Buch Ijob vorgesehen. Dies ist schade, weil darin zentrale Fragen unseres Lebens aufgriffen werden.
Das Buch Ijob erzählt die Geschichte eines Mannes, der von schwerem Leid getroffen wird. Er verliert alles, was ihm etwas bedeutet hat, seine Kinder und seinen ganzen Besitz. Schließlich wird er selbst mit schwerem Aussatz geschlagen und das bedeutete damals lebenslange Quarantäne außerhalb der Stadt. Am Ende sitzt er als verwaister Vater und Habenichts nackt und von Geschwüren bedeckt auf einem Aschehaufen und rechnet mit Gott ab.
Wie an vielen anderen Stellen in der hebräischen Bibel ist auch hier der Name Programm. Ijob bedeutet: „Wo ist (mein) Vater?“. Ijobs Name verrät schon viel über das Kernthema. Mit Vater ist Gott gemeint. Ijob ist und bleibt in all seinem Leid ein GottSuchender.
Freunde kommen, um ihn zu trösten. Zuerst schweigen sie sieben Tage gemeinsam. Das war vermutlich der beste Freundschaftsdienst, den sie Ijob erwiesen haben. Dann bricht es aus Ijob heraus, er klagt „So wurden Monde voll Enttäuschung, mein Erbe und Nächte voller Mühsal teilte man mir zu“ und verflucht sogar den Tag seiner Geburt. In einer Reihe von Szenen wird beschrieben, wie der Trost der vier Freunde misslingt und zwar gründlich. Es gibt von ihnen vier Antwortversuche für das Leid des Ijob:
- Leiden kommt vom eigenen Fehlverhalten – man ist also selber schuld.
- Leiden gehört zur Natur dieser Welt – da ist einfach nichts zu machen.
- Leid ist Strafe Gottes – eine Form seiner Pädagogik.
- Leid ist eine Prüfung – da muss man einfach durch.
Das Buch Ijob räumt auf mit einfachen religiösen Ratschlägen. Es ist ein Buch, in dem ein Mann bitter um seinen Glauben ringt. Die Freunde wollen letztlich nicht den armen Mann trösten, sondern ihr Bild vom lieben und gerechten Gott retten. Es dient der Selbstberuhigung der Freunde. Ijob weist die Freunde zurecht: „Ähnliches habe ich schon viel gehört; leidige Tröster seid ihr alle. Sind nun zu Ende die windigen Worte…“ (Ijob 16,1-3).
Es zeichnet Ijob in seinem unendlichen Leid aus, dass er in der Beziehung mit Gott nicht aufgibt, er ringt mit ihm. Er macht seinem Ärger und seiner Verbitterung Luft. Leider ist die Klage an Gott aus der Liturgie und der spirituellen Praxis der gutbürgerlichen, gesättigten, mitteleuropäischen Kirche fast verschwunden. Eigentlich ist sie aber ein wesentliches Element der Gottesbeziehung. Wie es die Verbindung von Bitte und Dank an Gott gibt, so gibt es sie auch bei Klage und Lob. So endet dann auch Ijob mit einem Lobpreis an Gott.
Mitten in der Corona-Pandemie gibt es zahlreiche Publikationen zum Thema, den Mut, die Zuversicht und die Hoffnung nicht zu verlieren. Ganz zutreffend werden auch biblische Zitate herangezogen, denn die Bibel ist ein Buch des Zuspruchs und der Hoffnung. Im Buch Ijob lesen wir, dass Trösten eine sehr schwere Aufgabe ist und dass man damit sehr daneben liegen kann. Versuchen wir nicht mit dem raschen Zuruf von Mut und Zuversicht wie die Freunden Ijobs die aktuellen Probleme und Herausforderungen vieler Menschen einfach zu glätten, weil wir ihre Sorgen und das Leiden als ungelöstes Dilemma selbst nicht aushalten wollen? Je schneller der Leidende getröstet ist, desto weniger muss ich mich auseinandersetzen – mit dem Leiden, mit dem anderen und mit meiner Vorstellung von Gott.
Wie bei Ijob ergibt sich derzeit für Menschen ein Netz von Notlagen. Umstände verstärken sich gegenseitig. So bedroht nicht mehr allein der ursprüngliche Anlass zur Klage das Leben, sondern das Zusammenwirken unterschiedlichster Faktoren, die den Einzelnen an den Rand der Verzweiflung bringen: die COVID-Pandemie, Homeschooling, ein angespannter Arbeitsmarkt, Krankheit, Home-Office, Einsamkeit, Alkohol … Eine Folge davon, die jeder, der schon einmal von schweren Sorgen geplagt wurde kennt: „Lege ich mich nieder, sage ich: wann darf ich aufstehn? Wird es Abend, bin ich gesättigt mit Unrast, bis es dämmert“.
Wer klagt, resigniert aber noch nicht, er benennt mit seiner Sprache das Unrecht oder das Übel. Die Klage ist zudem ein erster Schritt, sich im Hinblick auf das Erlittene neu zu orientieren, anstatt es zu umgehen, zu negieren oder beiseite zu schieben. Klage bedeutet ein Zulassen von Gefühlen, das rückhaltlos auszusprechen, was uns bedroht, ängstigt und was uns das Leben schwer macht. Bleiben sie eingeschlossen, vergiften sie die Seele.
Auch wenn wir durch die Klage unserer Mitmenschen oft an den Rand unserer eigenen Glaubensüberzeugungen geraten, kann es ein wichtiger Dienst am Nächsten sein, sich den Verzweiflungen, den offenen Fragen gemeinsam zu stellen – nicht zuletzt der Warum-Frage. Niemand geringerer als der Sohn Gottes hat am Kreuz die Warum-Frage gestellt: „Mein Gott mein Gott, warum hast DU mich verlassen“. Auch Jesus hatte diese offene Frage, die uns alle plagt. Auch wenn wir auf die Warum-Frage vielfach keine Antwort geben können, so können wir uns an einer Haltung Jesu orientieren. Er fragte Leidende und Kranke: „Was willst du, dass ich dir tue?“ Wir können nicht immer das Leid abwenden, aber wir dürfen vielleicht helfen.
Zuerst einmal dadurch, dass wir mit unserem Schweigen und Zuhören Zuwendung geben. Dass wir mit dem Anhören der Klage bereit sind wahrzunehmen, dass etwas geschehen ist und damit das Leid des Anderen eine Würdigung erfährt. Dass wir als christliche Gemeinschaft eine neue Kultur des stellvertretenden Klagegebetes suchen.
Die COVID-Pandemie wird noch viele wirtschaftliche, gesellschaftliche, finanzielle und politische Folgen bringen. Gemeinschaftliches, solidarisches Handeln und Helfen wird erst dann möglich sein, wenn wir uns zuerst dem menschlichen Leid mit all seinen Auswirkungen stellen. Nur wenn wir die unterschiedlichen Nöte wahrnehmen und verstehen lernen, können wir gemeinsam nach Lösungen suchen und ringen.
„Was willst du, dass ich dir tue?“ Es liegt nicht zuletzt in unserern Händen, ob, wann und wie wir Armut, Leid, Verzweiflung, Mutlosigkeit und Zukunftangst zu mindern helfen.
Wenn Sie den Text der 1. Lesung aus dem Buch Ijob anhören möchten:
Wenn Sie den Text der 2. Lesung aus dem ersten Brief des Apostels Paulus an die Gemeinde in Korinth anhören möchten:
Wenn Sie den Text aus dem heiligen Evangelium nach Markus anhören möchten:
3 Kommentare zu “Zulassen von Gefühlen 1. Lesung: Ijob 7,1-4.6-7|2. Lesung: 1 Kor 9,16-19.22-23|Evangelium: Mk 1,29-39”
Danke, Erich, für diese Deutung der Ijob-Lesung.
“Zuerst einmal dadurch, dass wir mit unserem Schweigen und Zuhören Zuwendung geben”.
Dies ist ein sehr wichtiger Satz. Wie schnell sind wir oft dabei, jemanden zu “trösten” oder bekommen von anderen sogenannte “gute Ratschläge”. Mir tut es heute noch weh, als vor Jahren meine liebste Freundin und Mitarbeiterin in der Pfarre plötzlich verstarb und mir jemand sagte, du hast ja mit N.N. einen guten Ersatz.
Gertrud Geser
Danke, Frau K. Weiss, für Ihre 3. Textauslegung mit “femininem touch”, sehr fundiertem Wissen und praktischen Schlussfolgerungen!
Es ist eine schwierige Thematik, die aber gerade derzeit viele Menschen beschäftigt und nicht mit frommen Sprüchen übertüncht werden kann. Auf die Frage der sogenannten “Theodizee”, warum lässt Gott das Böse/Leid zu, hat noch niemand eine logische Antwort gefunden.
Die von Ihnen erwähnte 2. These, dass wir Teil der Natur sind, kann ich allerdings nachvollziehen und – ohne Augustinus’ Erbsündelehre bemühen zu wollen – lieber ein Gedicht von Rilke zitieren, dass nämlich
“die Blätter fallen, fallen mit verneinender Gebärde…….
Wir alle Fallen; es ist in allen……
Und doch ist Einer, der dieses Fallen unendlich sanft in Seinen Händen hält.”
Wenn Ijob am Ende sagt: “Ich hatte von dir nur vom Hörensagen vernommen, aber nun hat mein Auge dich geschaut”, dann zeigt es, dass Gott größer ist als unser Verstand, sprich “Spatzenhirn”, und nur ein liebendes Herz von einer Ahnung erfasst und zum Zupacken bewegt werden kann, wie Sie schreiben.
Zudem haben wir im Gegensatz zu Ijob doch Jesus vor Augen und somit eine gnadenhafte Möglichkeit, Gott zu “schauen”
PS: Wenn es erlaubt ist, darf ich auf ein lesenswertes Buch von dem Franziskaner Richard Rohr hinweisen: “Hiobs Botschaft”, das Geheimnis des Leidens.
Herzlichen Dank für die Rückmeldung Herr Antonie Chibesakunda. Das zitierte Gedicht von Rilke ist ein Juwel und stärkt das Grundvertrauen – es tut immer wieder gut. Danke auch für den Literaturhinweis. Ich habe das Buch nicht nur in meinem Regal stehen, sondern auch gelesen :-). Für gute Literaturhinweise sind wir immer dankbar! Ich wollte mich aber ganz bewusst „dem Klagen“ widmen – ich meine, dass wir da für die herausfordernden nächsten Monate und Jahre, noch ein Potential heben und teilen können.