Mutter allen Lebens 1.Lesung: Gen 18,20-32| 2.Lesung: Kol 2,12-14| Evangelium: Lk 11,1-13
Die biblischen Texte sind sehr stark von männlichen Erzählungen dominiert. Die Erlebnisse der Stammväter werden ausführlich dargelegt und ausgebreitet. Die Berichte über die Stammmütter fallen kürzer aus. In der damaligen patriarchalen Gesellschaft war die Familie im Außenbereich vom Verhalten des Familienoberhauptes abhängig und darum war ihre Überzeugung von dem EINEN Gott von so großer Bedeutung. Unabhängig davon lässt sich aber auch ein roter Faden erkennen, der vom ersten ins zweite Testament führt. Frauen begreifen schneller.
So ist es auch bei Hagar und Abraham. Heute wird uns erzählt, dass Abraham mit Gott verhandelt. Er verdächtigt Gott, alle Menschen in Sodom töten zu wollen. Er handelt ihn auf zehn gerechte Personen herunter, die überleben sollen. Er hat Sorge, dass Gott Lot und seine Familie unter all den Ruchlosen übersehen könnte. Was gerne überlesen wird, ist dass Gott im Ergebnis auch keine zehn Gerechten braucht, um Sorgfalt walten zu lassen. Schlussendlich sind es „nur“ vier, die sein Angebot in Anspruch nehmen: Lot, seine Frau und ihre zwei Töchter. Die anderen Familienmitglieder haben sich für den Verbleib in Sodom und damit gegen ihre Rettung entschieden.
Der heutige Text stammt aus dem Kapitel 18. Zwei Kapitel davor macht bereits Hagar, die Magd von Sara, die Erfahrung von Gottes Fürsorge. Die schwangere Hagar flüchtete in ihrer Verzweiflung vor der eifersüchtigen und außer Rand und Band geratenen Sara in die Wüste. In ihrer ausweglosen Situation erfährt sie Gott durch die Botschaft eines Engels. Hagar ist die erste biblische Person, die Gott einen Namen gibt. Sie bezeichnet ihn als El-Roï. Genau betrachtet ist es weniger ein Name als die Beschreibung einer Wesenseigenschaft: „Gott schaut auf mich -. Denn sie sagte: Gewiss habe ich dem nachgeschaut, der auf mich schaut!“ (Gen 16,13). Abraham tut sich weit schwerer, diese Wesenseigenschaft von Gott zu erkennen bzw. ihr zu trauen. Hagar hat sich anscheinend insgesamt besser auf Gott eingestimmt und ihm nachgespürt, denn sie übernimmt sogar eine Vorgehensweise von ihm. Sie verbindet auch Haltung mit einer Namensgebung. Als Gott erkannt hatte, dass Abraham und Sara seiner Aufforderung und seinem Bund nachkommen wollen, gab er ihnen neue Namen – die ebenfalls ihre Haltung zum Ausdruck bringen sollten. „Man wird dich nicht mehr Abram nennen. Abraham, Vater der Menge, wird dein Name sein; denn zum Stammvater einer Menge von Völkern habe ich dich bestimmt“ (Gen 17,5) und „Weiter sprach Gott zu Abraham: Du sollst deine Frau nicht mehr Sarai nennen: Sara, Herrin, soll ihr Name sein“ (Gen 17,15). Dort wo Gott im Leben eines Menschen spürbar wird, verändert sich etwas. Und in der Regel wird sich damit die Haltung gegenüber der Welt, den Mitmenschen und sich selbst gegenüber ändern, davon soll der biblische Name zeugen. Während die Erzählung über diese Erkenntnis von Hagar auf wenige Zeilen beschränkt ist, braucht Abraham weit länger, er meint sogar, mit Gott handeln zu müssen.
Die israelische Autorin Anat Gov hat mit dem Theaterstück „Oh, mein Gott!“ ein „update“ der Abrahamsgeschichte verfasst. Ela, Psychologin, bekommt Besuch von einem neuen – anonymen – Patienten. Niemand anderes als Gott selbst verbirgt sich dahinter. Gott steckt in einer tiefen Depression und plant, sein Leben und dadurch auch sein Wirken zu beenden. Er hat die Nase voll von der Menschheit und will sie mittels „upgedateter Sintflut“ auslöschen. Ela bleibt nur eine Stunde Zeit, Gott seinen Plan auszureden.
Auch hier wird der Zusage Gottes nicht getraut, denn das Buch Genesis berichtet: „Ich richte meinen Bund mit euch auf: Nie wieder sollen alle Wesen aus Fleisch vom Wasser der Flut ausgerottet werden; nie wieder soll eine Flut kommen und die Erde verderben“ (Gen 9,11). Gott beginnt mit Männern Bünde zu schließen, als Zeichen seiner Treue. Mit Abraham vereinbart er sogar ein Bundeszeichen: die Beschneidung der Männer. Gott zeigt sich gleichfalls den Stammmüttern bzw. wird für sie erfahrbar, aber es ist weder ein Bund noch ein Bundeszeichen mit ihnen notwendig. Warum? Oder gibt es vielleicht einen Bund von Anbeginn?
Eva wird nach der Vertreibung aus dem Paradies zur Mutter allen Lebens. Obwohl sie sich am Baum der Erkenntnis vergriffen hatte, wurde ein Bund zwischen ihr und dem Baum des Lebens vollzogen. Als Mutter allen menschlichen Lebens wurde sie zum Verbindungsstück zum Paradies und zur göttlichen Kraft des Lebens. Besonders deutlich wird uns dies im neuen Testament in der Gestalt der Maria – der Mutter Jesu – berichtet. Gott nimmt sogar am schlimmsten Schicksal teil, das einer Mutter widerfahren kann, dem Tod des eigenen Kindes. Dieser neue Bund soll bezeugen, dass Gott eben nicht depressiv wird, nicht an der Welt und den Menschen verzweifelt, sondern, egal was passiert, zu seinem Wort steht und sogar das äußerste Leid teilt. Auch hier ringen die Männer mehr und länger ums Verständnis. Den Frauen unterm Kreuz ist viel eher bewusst gewesen, was da passiert ist und erst recht Maria Magdalena, die den Auferstandenen erkennt.
Vielleicht braucht der Bund mit den Frauen kein äußeres Zeichen der Beschneidung, weil weibliches Leben Zeichen des Schöpfungsbundes ist. Er ist Teil der weiblichen Biografie und Biologie. Frauen nehmen in vielen Fällen die Sorgearbeit in den Familien war – bei Jung und Alt. Dies tun sie in der Regel nicht, weil sie müssen, sondern weil sie die Leerstelle wahrnehmen, sehen und dann handeln und notfalls einspringen, wenn niemand anderer zur Stelle ist. Das heutige Evangelium erzählt von der Sorgearbeit Gottes und viele biblische Erzählungen berichten davon, dass Männer etwas länger brauchen, diese zu erkennen und ihr zu vertrauen.
Wenn Sie den Text der 1. Lesung aus dem Buch Génesis anhören möchten:
Wenn Sie den Text der 2. Lesung aus dem Brief des Apostels Paulus an die Gemeinde in Kolóssä anhören möchten:
Wenn Sie den Text aus dem heiligen Evangelium nach Lukas anhören möchten:
In unseren Gedanken zu den Texten der Sonntage haben wir schon öfter auf die Problematik von Textauslassungen hingewiesen. Wir wollen einen Versuch starten und werden ab dem Beginn des neuen Lesejahres die Texte in der Länge der biblischen Verfasser lesen.
Seit Jahrhunderten beeindruckt die Bibel Menschen mit ihren Formulierungen. In der Zeit ihrer Entstehung für jeden verständlich brauchen Leserinnen und Leser von heute eine Übersetzung dieser Texte. Jede Übersetzung ist in gewisser Weise auch eine Deutung der Schrift. Die Einheitsübersetzung ist uns bereits vertraut. Wir wollen bewusst mit Beginn des neuen Kirchenjahres eine andere Übersetzung verwenden, um uns neu von den Texten überraschen zu lassen. Wir haben uns für die Übersetzung der BasisBibel entschieden, die seit Januar 2021 vollständig vorliegt. Die BasisBibel ist die Bibelübersetzung für das 21. Jahrhundert: klare Sprache, kurze Sätze und verständliche Sprache.