Ordnen chaotischer Kräfte 1. Lesung: Weis 1,13-15;2,23-24| 2. Lesung: 2 Kor 8,7.9.13-15| Evangelium: Mk 5,1-20
Das Evangelium von der Heilung des Besessenen von Gerasa ist von der Liturgiekommission übergangen worden. Im Normalfall bekommen es Gottesdienstbesucher der Sonntage nicht zu hören. Das Warum ist mir unbekannt. Vermutlich konnten sie es damals nicht zu- beziehungsweise einordnen. Der Bericht folgt unmittelbar auf die Erzählung vom Seesturm, den wir am letzten Sonntag gehört haben. Forschungen der letzten Jahrzehnte werfen ein besonderes Licht auf die Erzählung.
Der See Genesaret bildete in der Zeit Jesu die Grenze zwischen Israel und der Dekapolis, das heißt, es handelte sich jenseits des Ufers um heidnisches Land. Mit Meer oder auch dem See verbindet die Bibel die Chaosmächte. Jesus fuhr mit den Jüngern über den See in dieses heidnische Gebiet. Bei Ausgrabungen haben Archäologen in der Nähe von Gerasa ein römisches Heerlager entdeckt. Sie fanden einen Stein, dem Banner mit dem Bild eines Wildschweines darauf. Hinter diesem von einem unreinen Geist besessenen Mann, der nicht zu bändigen war, dürfte sich diese Legion verbergen. Es macht Sinn für den Namen des Dämons. Er bezeichnet sich als „Legion“.
Die römischen Soldaten, Legionäre aus einem anderen Land, junge Männer im Rudel trieben ihr Unwesen. Sie waren nicht zu bändigen. Es gab kein Kriegsrecht, schon gar keine Institutionen, die auf das Einhalten von Menschenrechten achtete. Willkür und viele Formen von Gewalt im Umfeld einer solchen Legion gehörte zum Alltag. Im Evangelium heißt es: Sie waren nicht zu bändigen, nicht einmal mit Ketten.
Es ist leicht zu verstehen, dass es den Wunsch in der Bevölkerung gab, diese „Schweine“ mögen doch im See ertrinken. Die Erzählung und der historische Hintergrund sind Grundlage weiterer tiefer Aussagen.
Jesus gibt zunächst dem Seesturm Einhalt. Er begegnet den chaotischen Kräften und ordnet sie. Er begegnet diesem Mann und ordnet seine Kräfte, so dass er am Ende wie ein Mensch dasitzt. Der Soldat wird zum Menschen. Das „Schweinische“ – das Unmenschliche gehört in die Chaosfluten, in den See. Es hat im Zwischenmenschlichen nichts verloren.
Jesu Gegenwart ordnet die chaotischen Kräfte. Sie – Gebet, Gottesdienste, Gottes Wort, Exerzitien, Sabbat oder Sonntag u.a. – stehen im Dienste, die chaotischen Kräfte zu ordnen.
Ein anderer Gedanke: Als Jesus nach dem Namen fragt, gibt der unreine Geist zur Antwort: Legion, wir sind viele. Herdendenken. Wir kennen sie, die keinen Ich-Stand haben, nur in der Gruppe stark sind oder sich stark geben, die Mitläufer sind. Sie ducken sich, wenn es um Verantwortung geht. Sie verstecken sich hinter den vielen, denken, was die anderen denken, was die anderen tun. Wenn sie als Menschen gefragt sind, empfinden sie es als Angriff, als ihr Verderben. Jesus befreit den Besessenen von einem solchen Herdendenken. Er handelt am Schluss als Mann, als eigenständiger Mensch.
Das Evangelium thematisiert ebenso den Gehorsam und bezeichnet hier den militärischen Gehorsam als dämonisch. Die Dämonen gehorchen bis zur Selbstvernichtung im See. Ja, Soldaten sind im Ernstfall zu einem Gehorsam bis zur Selbstvernichtung verpflichtet, bzw. liefern sich diesem aus. Die Bibel kritisiert diesen Gehorsam, bzw. bezeichnet ihn als dämonisch. Der Gehorsam an sich ist noch kein ethischer Wert. Militärischer Gehorsam in der Kirche ist keinen Deut besser.
Ein ethisch verantwortbarer Gehorsam steht in Beziehung mit drei Kriterien: 1. Der Mensch, der Gehorsam fordert, muss ein lernbereiter Mensch sein. 2. Er muss mit Argumenten begründen, was Gegenstand des Gehorsams ist und 3. es ist immer noch Aufgabe einer betroffenen Person, die den Gehorsam leistet, mit dem eigenen Gewissen zu prüfen, ob er oder sie es verantworten kann.
Es scheint mir noch erwähnenswert, dass Jesus den geheilten Mann nicht mitgehen lässt. Jesus lehnt es ab, dass er bei ihm bleibt. Vielleicht will er einer falsch verstandenen Dankbarkeit vorbeugen, der Mann würde in die nächste Abhängigkeit hineinfallen oder würde bald den Schritt bereuen. Vielleicht war Jesus bewusst als Neubekehrter und Heide wäre der Mann überfordert und würde bitter enttäuscht werden. Neubekehrte neigen zu Fanatismus und Überinterpretation. Der Glaube ist noch zu wenig geerdet. Es ist kein wirklicher Grund angegeben, aber es wird deutlich, dass Jesus auch Menschen zurückgewiesen hat, die ihm folgen wollten.
Vielmehr heißt Jesus ihn zur Familie zurück zu kehren und ihr zu erzählen, was der Herr für ihn getan hat. Die Familie wird für ihn zum Ort der Verkündigung.
Wenn Sie den Text der 1. Lesung aus dem Buch der Weisheit anhören möchten:
Wenn Sie den Text der 2. Lesung aus dem zweiten Brief des Apostels Paulus an die Gemeinde in Korínth anhören möchten:
Wenn Sie den Text aus dem heiligen Evangelium nach Markus anhören möchten:
In unseren Gedanken zu den Texten der Sonntage haben wir schon öfter auf die Problematik von Textauslassungen hingewiesen. Wir wollen einen Versuch starten und werden ab dem Beginn des neuen Lesejahres die Texte in der Länge der biblischen Verfasser lesen.
Seit Jahrhunderten beeindruckt die Bibel Menschen mit ihren Formulierungen. In der Zeit ihrer Entstehung für jeden verständlich brauchen Leserinnen und Leser von heute eine Übersetzung dieser Texte. Jede Übersetzung ist in gewisser Weise auch eine Deutung der Schrift. Die Einheitsübersetzung ist uns bereits vertraut. Wir wollen bewusst mit Beginn des neuen Kirchenjahres eine andere Übersetzung verwenden, um uns neu von den Texten überraschen zu lassen. Wir haben uns für die Übersetzung der BasisBibel entschieden, die seit Januar 2021 vollständig vorliegt. Die BasisBibel ist die Bibelübersetzung für das 21. Jahrhundert: klare Sprache, kurze Sätze und verständliche Sprache.
Ein Kommentar zu “Ordnen chaotischer Kräfte 1. Lesung: Weis 1,13-15;2,23-24| 2. Lesung: 2 Kor 8,7.9.13-15| Evangelium: Mk 5,1-20”
Evangelium vom 25. Juni 2024 von der Heilung des Besessenen von Gerasa
Vor vielen Jahren wollte ich einmal in unserer Bibelrunde dieses Evangelium besprechen. Das kam gar nicht gut an, weil es Dämonen heute ja nicht mehr gibt und dieses Thema einfach zu schwierig sei.
Ist es nicht! Betrachten wir die vielen, den Süchten unterworfenen, oder am Geist erkrankten Menschen, wie sehr müssen sie leiden in ihren selbstgebauten Höhlen, bis sie “gesehen”, also behandelt werden können. Süchte sind wie Dämonen, die uns beherrschen und wollen eines nicht: ans Licht kommen, gestört werden.
Das ist uns unheimlich und außerdem können wir alles wissenschaftlich erklären.
Das Heilende an Jesu Handlung ist für mich, dass er fragt: “Wie ist dein Name?”
Mein Name ist meine Identität. Wenn mich jemand nach meinem Namen fragt, werde ich hellhörig und erwache.
Es geht etwas in mir auf. Eine tröstende Erfahrung. Da bewegt sich etwas. Ich muss handeln, mich zu erkennen geben.
Die Kraft, die von Jesus auf diesen Mann ausgegangen ist genügt, dass er sein Leben von nun an selber in die Hand nehmen kann, da bin ich mir ganz sicher.
Danke für die gutverständliche Deutung der Schrift im Bibellabor. Es ist jedes Mal eine Bereicherung und schon oft hatte ich ein “aha, so meint man das” Erlebnis.
Gesegnete Grüße