Sie wächst 1. Lesung: Apg 9,26-31| 2. Lesung: 1 Joh 3,18-24| Evangelium: Joh 15,1-18
Die heutige Lesung aus der Apostelgeschichte gibt uns einen Einblick in die ersten Jahre der werdenden Kirche, in die Jahre nach dem Tod und der Auferstehung Jesu. Paulus hatte sich bekehrt. Er kam nach Damaskus und musste dann aber fliehen. Das Motiv der Bedrohung des neuen Jüngers Paulus bestimmt auch den Aufenthalt in Jerusalem. Lukas beschreibt mit wenigen Worten diese Zeit und die Vorgänge. Er beschränkt sich wirklich nur auf Wesentliches und stellt dann fest: „Und sie – die Kirche – wuchs durch die Hilfe des Heiligen Geistes“. Es ist ein Stück frühe Kirchengeschichte und für mich auch ein Glaubenszeugnis der besonderen Art. Die Gedanken dazu:
Zunächst lege ich den Fokus auf Paulus, die Hauptperson der Erzählung. Mit der vorausgehenden Schilderung der Bekehrung und der Flucht aus Damaskus hat Lukas die Leser und Leserinnen auf diese Person – Paulus – hin sensibilisiert. Natürlich besteht in Jerusalem gegenüber ihm noch großes Misstrauen. Seine Verfolgungstätigkeit ist noch nicht vergessen. Auch für Paulus bleibt sie ein Leben lang eine bittere Wirklichkeit, wie er mehrmals selbst schreibt (1 Kor 15; Gal 1). Jetzt aber ist er ein anderer Mensch. Nicht, dass aus einem religiös uninteressierten ein gläubiger Mensch geworden wäre, nein: Paulus war Zeit seines Lebens eine engagierte glaubende Persönlichkeit. Es wird daher weniger von Bekehrung, sondern mehr von Berufung gesprochen.
Seine Vorstellung, wie er dem biblischen Gott am intensivsten dienen könnte, hat eine neue inhaltliche Dimension erhalten. Im Ereignis von Damaskus ist Paulus an die Frage Davids an den gleichnamigen König Saul erinnert, nämlich an die Frage: „Warum verfolgt eigentlich mein Herr (Saul) seinen Knecht (David)?“ (1 Sam 26,18). Diese Frage trifft ihn ins Herz. So wurde aus Saulus, der die Jesusanhänger verfolgte, Paulus, der sich als Apostel für die Botschaft Jesu Christi voll und ganz einsetzte.
Paulus selbst reflektiert das Geschehen von Damaskus gleich einer Berufung eines Propheten. Mit dem Hinweis, Gott habe ihn schon im Mutterschoß erwählt (Gal 1), stellt er eine Verbindung zur Berufung des Propheten Jeremia her. Das bedeutet, dass er seinen neuen Lebensinhalt auf eine Initiative Gottes zurückführt, und es erklärt wohl auch, woher Paulus die Energie, Beharrlichkeit, physische und psychische Kraft und Begeisterungsfähigkeit nahm, um sein Engagement für Jesus Christus durch Jahrzehnte durchzuhalten. Die reservierte Stimmung ihm gegenüber in Jerusalem ist gut nachvollziehbar: „Alle fürchten sich vor ihm und konnten nicht glauben, dass er ein Jünger war“ (Apg 9).
Paulus bleibt eine Persönlichkeit mit Ecken und Kanten. Seine Bedeutung für die frühe Kirche ist herausragend. Lukas wird im zweiten Teil der Apostelgeschichte über die durch Paulus getragene Mission erzählen. Die Lesung lässt uns aber ebenso erkennen, dass es Paulus nicht allein ist. Er ist von anderen mitgetragen.
Eine wichtige Persönlichkeit, von der wir in der Hl. Schrift nicht viel hören, ist Barnabas. Dieser ist für Paulus so etwas wie ein Wegbereiter, der ihm die Türen öffnet, wie dies in Jerusalem der Fall ist. Barnabas ist weit länger Anhänger Jesu Christi als Paulus. Er hat Ansehen und genießt das Vertrauen in der Gemeinde von Jerusalem (Apg 4). Er vertraut Paulus und er hat früher als die anderen erkannt, welche missionarischen Fähigkeiten im Paulus stecken.
Wie Paulus stammt er aus der jüdischen Diaspora: Paulus aus Tarsus, Barnabas aus Zypern. Das Faktum verbindet. Als Barnabas wenig später von der Kirche in Jerusalem nach Antiochien geschickt wird, holt er zur Unterstützung seiner Tätigkeit Paulus ebenfalls in diese Stadt (Apg 11). Wir haben gehört, dass Paulus nicht lange in Jerusalem blieb. Es war für ihn zu gefährlich und die Verantwortlichen schickten ihn nach Hause, nach Tarsus.
Es schien, als wären Barnabas und Paulus unzertrennbar. So überbringen sie gemeinsam laut Lukas eine finanzielle Unterstützung aus Antiochien nach Jerusalem. Dann brechen sie nach ihrer Rückkehr zu einer Missionsreise auf. Sie treten auf dem Apostelkonzil gemeinsam für ein Missionskonzept ein, das allmählich Judentum und Christentum auseinander führen wird (Apg 15). Den entsprechenden Beschluss überbringen sie nach Antiochien. Erst in der Folge trennen sie sich. Paulus tritt wieder eine Missionsreise an, aber ohne seinen langjährigen Gefährten. Lukas lässt erkennen, dass es ein Zerwürfnis um einen Mitarbeiter gegeben hatte (Apg 15). Man kann wohl sagen, dass auch die Apostel Menschen waren.
Ich habe einen kleinen Einblick in die ersten Jahre der Kirche gegeben, angelehnt an Paulus und Barnabas. Es wäre verlockend, mit dem positiv klingenden letzten Satz der Lesung zu schließen: Die Kirche lebt, sie wird gefestigt, sie wächst durch den Heiligen Geist. Ich denke, es ist gut, dass wir nicht weniger auf etwas Anderes achten: Diese Kirche besteht von Anfang an aus Menschen mit großen Fähigkeiten, zugleich auch Befindlichkeiten und Schwächen. Sie wächst trotz Bedrohungen, Konflikten, Unsicherheiten und Furcht. Sie wächst, weil es Menschen gibt, die trotz Frust und Enttäuschungen weitermachen, nach neuen Wegen suchen und Anhänger und Anhängerinnen Jesu bleiben. Sie wächst durch den Geist Gottes. „Und sie wuchs durch die Hilfe des Heiligen Geistes.“
Das will uns heute – in dieser Osterzeit und vor Pfingsten – Mut machen.
Wenn Sie den Text der 1. Lesung aus der Apostelgeschichte anhören möchten:
Wenn Sie den Text der 2. Lesung aus dem ersten Johannesbrief anhören möchten:
Wenn Sie den Text aus dem heiligen Evangelium nach Johannes anhören möchten:
In unseren Gedanken zu den Texten der Sonntage haben wir schon öfter auf die Problematik von Textauslassungen hingewiesen. Wir wollen einen Versuch starten und werden ab dem Beginn des neuen Lesejahres die Texte in der Länge der biblischen Verfasser lesen.
Seit Jahrhunderten beeindruckt die Bibel Menschen mit ihren Formulierungen. In der Zeit ihrer Entstehung für jeden verständlich brauchen Leserinnen und Leser von heute eine Übersetzung dieser Texte. Jede Übersetzung ist in gewisser Weise auch eine Deutung der Schrift. Die Einheitsübersetzung ist uns bereits vertraut. Wir wollen bewusst mit Beginn des neuen Kirchenjahres eine andere Übersetzung verwenden, um uns neu von den Texten überraschen zu lassen. Wir haben uns für die Übersetzung der BasisBibel entschieden, die seit Januar 2021 vollständig vorliegt. Die BasisBibel ist die Bibelübersetzung für das 21. Jahrhundert: klare Sprache, kurze Sätze und verständliche Sprache.