Verwundeter Hirte 1. Lesung: Apg 2,14a.36-41| 2. Lesung: 1 Petr 2,20b-25| Evangelium: Joh 10,1-10
Friedrich Nietzsche hat den Christen vorgeworfen: Sie predigen eine nützliche Sklavenmoral. Denn: Wer Unterdrückten empfiehlt, leid zu erdulden, trägt dazu bei, dass das Unrecht bleibt. Man kann fragen, ob ihm nicht die Botschaft der Lesung aus dem 1. Petrusbrief Recht gibt, wenn dieser davon spricht, dass Leiden in den Augen Gottes Gnade sei.
Der Umgang mit Leid, Wunden und Verletzungen ist immer wieder ein herausforderndes Thema, dem mit einfachen Antworten nicht beizukommen ist. Der 1. Petrusbrief versucht am Beginn des ersten Jahrhunderts für die Christen den Platz in der römischen Gesellschaft zu finden. Die Empfehlungen lauten: Sie sollen sich dem Kaiser unterordnen, Frauen ihren Männern, Sklaven ihren Herren. Sie erleben, dass sich die Naherwartung mit der baldigen Wiederkunft des Auferstandenen nicht erfüllt. Es dauert. Sie waren zunächst gezwungen viele Vorgaben aus der gesellschaftlichen Ordnung zu akzeptieren. Sie versuchten trotz allem, mitten unter den Heiden ein vorbildliches Leben zu führen.
Wie alle Christen sollen auch die christlichen Sklaven an ihrem Ort „recht handeln“. Dabei erfuhren die Sklaven in ihrem Alltag viel Unrecht, waren oft ohnmächtig mit Unrecht konfrontiert. Das sollen sie mit Geduld ertragen. Es gibt jemanden, der ebenso recht handelte und Unrecht erfuhr: Christus. Auch er hat nicht mit Gewalt und Rache agiert. Er richtete nicht, sondern überließ das Richten dem gerechten Richter. Es ist österliche Botschaft, dass Gott ihn am Kreuz nicht hängen ließ – anders als von seinen Peinigern gedacht.
Der 1. Petrusbrief hat nicht allein das Leid in seinem Fokus, das zum Sklavenalltag gehört. Er vergleicht die Sklaven mit verirrten Schafen. Es zielt auf die Zeit, da sie noch Heiden waren. Da fehlte es an Perspektive und Orientierung. Dies steigert oft das Leid. Aber diese Zeit der Perspektiv- und Orientierungslosigkeit ist vorbei. Durch ihre Entscheidung für den christlichen Glauben haben sie sich „hingewandt“ zu jemanden, bei dem sie gut aufgehoben sind, nämlich zum Hirten und Hüter Christus. Er hat sein Leben für seine Freunde hingegeben. Er ist kein über allem stehender König und Herrscher. Er ist ein verwundeter Hirte und als solcher der eigentliche Herr der Sklaven, der Herr der Seelen.
Ein verwundeter Hirte. „Durch seine Wunden sind wir geheilt“ (Jes 53,5). Dieser Vers aus dem Propheten Jesaja haben wir am Karfreitag gehört. Jesaja stellt einen „Gottesknecht“ vor, der Leid erträgt, die Gewalt durchbricht und so andere rettet. Für die frühen Christen wurden diese Verse aus Jesaja wichtig, weil sie ihnen halfen, den Tod Jesu zu deuten, beziehungsweise das Kreuz in einem neuen Licht zu sehen und Auferstehung zu glauben.
Können die Wunden anderer für uns, für mich heilsam sein? Mit menschlicher Logik oder gar mit mathematischen Formeln finden wir schwer Antworten darauf. Leid lässt sich nicht verrechnen. Allerdings führt uns die Lebensweisheit auf andere Spuren. Es gibt Menschen, die erleben wir heilsam. Dies sind oft Menschen, die selbst etwas mitgemacht haben, die mit eigenen Leiderfahrungen vertraut sind, die Brüche und Wunden mit ihren Wirkungen kennen. Ihre Wunden sind nicht mehr offen. Sie sind verarbeitet, verheilt und in ihr Leben integriert. Sie sind für sie zu einem Schatz von hilfreichen Erfahrungen geworden. Solche Menschen können gute Hirtinnen und Hirten sein: für sich selbst und für andere.
Christus, der verwundete Hirte, dessen Wunden an Ostern verwandelt wurden, ist ein starkes Bild. Er kommt am Ostermorgen zu den Jüngerinnen und Jüngern und wünscht ihnen den Frieden – „Shalom“ -, er zeigt ihnen seine Wunden und wünscht ihnen nochmals den Frieden (Joh 21,19-20). Diese Wunden beim Auferstandenen wirken nicht mehr trennend, sondern sie werden zum Zeichen des Erkennens und verbinden.
Um nicht missverstanden zu werden: Die Wunden sind nicht an sich wertvoll. Es zählt sogar zur christlichen Aufgabe, gegen Leid, Wunden und Verletzungen anzugehen. Jesus hat am Ölberg selbst gebetet: Lass den Kelch an mir vorübergehen. Beim Prozess wehrte er sich gegen die Schläge eines Dieners (Joh 19,22-23).
Vermutlich schätzt der 1. Petrusbrief die damalige Situation realistisch ein: Er kann die Sklavenfrage zu Beginn des zweiten Jahrhunderts nicht lösen. Er macht den Christen, die äußerlich unfrei leben, Mut zur inneren Freiheit, wie Jesus sie bis zuletzt hatte. Er hilft ihnen, die Blickrichtung zu ändern. Das ist keine äußere, sondern eine innere Revolution: eine Kraftquelle, die überleben hilft.
Sklavinnen und Sklaven gibt es nicht nur im alten Rom. Das Leben in kleineren oder größeren Zwängen kann jede und jeden treffen. Manche kennen sogar Ohnmachtserfahrungen bis hin zu gewalttätigen Übergriffen. Auch scheinbar Freie können versklavt sein.
Vielleicht sind keine schnellen und kurzfristigen Lösungen, bzw. Veränderungen einer äußeren Situation möglich, aber ein Anfang mit einer anderen Blickrichtung und die Orientierung an unserem verwundeten Hirten: Jesus Christus.
Wenn Sie den Text der 1. Lesung aus der Apostelgeschichte anhören möchten:
Wenn Sie den Text der 2. Lesung aus dem ersten Brief des Apostels Petrus anhören möchten:
Wenn Sie den Text aus dem heiligen Evangelium nach Johannes anhören möchten: