Kontrastprogramm 1. Lesung: Jes 55,6-9| 2. Lesung: Phil 1,20ad-24.27a| Evangelium: Mt 20,1-16
Nein, wie sich der Gutsbesitzer im eben gehörten Evangelium verhält, so ist Gott nicht. Der Gutsbesitzer steht in seinem Verhalten im Kontrast zu Gott. Diesen Zugang versuche ich nachvollziehbar zu machen.
Da ist zunächst der größere Zusammenhang zu betrachten, in den das Gleichnis eingebettet ist. Ein junger, reicher Mann kommt zu Jesus mit der Frage: Was muss ich Gutes tun, um das ewige Leben zu gewinnen. Nach einem längeren Disput antwortet ihm Jesus: Wenn du vollkommen sein willst, geh, verkaufe deinen Besitz und gib ihn den Armen; und du wirst einen Schatz im Himmel haben; und komm, folge mir nach (Mt 19,21). Dieser reiche junge Mann geht dann von Jesus weg. Worauf Jesus den Jüngern erklärt: Leichter geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass ein Reicher in das Reich Gottes gelangt (Mt 19,24). Der Gutsbesitzer handelt völlig quer zu dem, was Jesus dem jungen Mann ans Herz gelegt hat. Er behält seinen Reichtum. Er spielt mit seinem Reichtum die Armen gegeneinander aus, wie wir sehen werden.
Weitere Argumente ergeben sich aus der sozialökonomischen Situation von damals, die zu meinem eingangs erwähnten Verständnisses beitragen. In meinen Augen wirft es ein besonders Licht auf die Botschaft Jesu, beziehungsweise wie Jesus seine Sendung versteht.
Mit der Ankunft der Römer kam ebenso das römische Recht im Land Palästina zur Anwendung. So hält der Gutsherr am Ende fest: Darf ich mit dem, was mir gehört, nicht tun, was ich will? Nach der Tora, die für Jesus und seine Zuhörenden als Gesetz gilt, ist Besitzer der Erde allein der HERR. Er hat sie den Menschen gegeben, damit sie alle Nahrung sei und alle von ihren Früchten essen können. In den Ohren des biblischen Menschen ist die Aussage des Gutsherrn: „darf ich mit dem, was mir gehört, nicht tun, was ich will“ Blasphemie, Gotteslästerung. Er teilt zu, wie es ihm passt. Er macht sich zum Herrn über Menschen und des Rechtes.
Das Gleichnis spiegelt ferner etwas von der ökonomischen Entwicklung, die durch das Römerreich in Palästina Fuß fasste. Der Gutsbesitzer verfügt über einen Weinberg. Der Erlös ist größer als bei Getreide. Es geht ihm um den gewinnbringenden Handel mit Wein innerhalb des Römerreiches und nicht um die Versorgung des Volkes mit dem notwendigen Getreide.
Zu bedenken ist ferner das Schicksal der Tagelöhner oder Lohnarbeiter. Heute würden wir von Arbeitslosen sprechen. Sie standen an den Märkten und warteten darauf, angeheuert zu werden. Sie waren rechtlich noch weniger geschützt als Sklaven. Die Herren achteten auf ihre Sklaven als Besitz. Sie wollten sie nicht verlieren. Stirbt der Sklave zu früh oder ist er zu früh arbeitsunfähig, dann büßt sein Besitzer sein Kapital ein. Die Tagelöhner hatten keine rechtliche Absicherung. Sie wurden für schwere oder auch ungesunde Arbeiten eingesetzt. Vielleicht können wir sie mit Erntehelfern in so manchem europäischen Land vergleichen, die oft ohne rechtliche Grundlagen einen Hungerlohn erhalten. Ein Tagelöhner, der einen Denar für die Arbeit eines Tages erhielt, hatte keine gesicherte Existenz. Die Frauen und Kinder waren damit ebenso zu Arbeit gezwungen, meistens beim selben Herrn.
Der Gutsherr geht mehrmals auf den Marktplatz, um Tagelöhner für seinen Weinberg abzuholen. Es geht ihm um Rentabilität. Er rechnet. Er kann damit genau abschätzen, wieviel Arbeiter notwendig sind, um die Lese fertig zu bringen, ohne ein Übermaß an Löhnen bezahlen zu müssen.
Ich komme auf den letzten Satz des Gleichnisses zu sprechen, der zunächst unverständlich daherkommen mag: So werden die Letzten Erste sein und die Ersten Letzte. Der Evangelist Matthäus zeichnet im ganzen Evangelium ein Bild von Gott, der sich gerade zuerst um die Armen kümmert. Bereits in der Bergpredigt, der Grundsatzrede Jesu lautet die erste Seligpreisung: Selig, die arm sind vor Gott, denn ihnen gehört das Himmelreich. Dann in einer weiteren: Selig, die hungern und dürsten nach Gerechtigkeit, denn sie werden satt werden. Den Armen und Rechtlosen gilt die erste Sorge Gottes.
Der Gutsherr treibt seinen Zynismus am Ende auf den Gipfel. Er beginnt mit der Auszahlung bei jenen, die zuletzt in den Weinberg kamen. Er gibt allen gleich viel. Er provoziert den Neid und Streit unter den Armen. Er nennt sich dabei noch gut. Ich kann mit meinem Besitz machen, was ich will.
Nein, so verhält sich der HERR nicht. Bei ihm sind die Armen die Ersten. ER steht für ihre Würde. Für ihn ist die Gerechtigkeit mehr als nur ein Abfertigen jener mit Almosen, die recht- und besitzlos sind, oder gar recht- und besitzlos gemacht wurden.
Vielleicht wird jetzt auch nachvollziehbar, dass Jesus unmittelbar im Anschluss an dieses Gleichnis den Jüngern ankündigt, dass er leiden wird müssen. Er riskiert die Konfrontation mit der religiösen und politischen Führung gerade auch der Armen und Verarmten wegen.
Wenn Sie den Text der 1. Lesung aus dem Buch Jeája anhören möchten:
Wenn Sie den Text der 2. Lesung aus dem Brief des Apostels Paulus an die Gemeinde in Philíppi anhören möchten:
Wenn Sie den Text aus dem heiligen Evangelium nach Matthäus anhören möchten:
5 Kommentare zu “Kontrastprogramm 1. Lesung: Jes 55,6-9| 2. Lesung: Phil 1,20ad-24.27a| Evangelium: Mt 20,1-16”
Darf ich einen weiteren bzw. anderen Aspekt anfügen:
Bei der Frage des Jünglings scheint mir die „Leistung“ im Vordergrunde zu stehen, die er erbringen sollte, um das Himmelreich zu verdienen. Dem Jüngling war der Preis offenbar zu hoch und vermutlich vielen von uns auch. (Eine billigere Variante tut’s wohl auch!?)
Im Gleichnis liegt für mich die Betonung auf „Geschenk“: Unterschiedliche Leistungen – nicht selbst verschuldet – erhalten die gleiche Entlohnung, einen zum Überleben/Glück „notwendenden“ Denar.
Und somit wäre Gott der Weinbergbesitzer (= Fülle von Glück), der sich auch um diese Letzten/Armen kümmert, sie sucht und sich ihrer erbarmt.
Dabei kann Seine Liebe nicht messbar oder monitär ausgedrückt werden, denn „Gnade“ lässt sich nicht in zählbare Einheiten unterteilen nach dem Motto: 1 Vaterunser = 10-20 Gnaden je nach Andacht und himmlischer „Buchführung“.
Gesegnet also, wer von „Angebot“ und „Stunde“ sich bewegen lässt!
Danke und Respekt, Pfr. Baldauf, dass Sie meinen Kommentar zugelassen haben, obwohl er dem Ihren zu widersprechen scheint! Das nenne ich Reife und Toleranz.
Es zeigt, dass im Glauben nicht nur schwarz/weiss oder entweder/oder gilt, sondern dass nicht selten auch ein sowohl/als auch zutrifft, wenn man die Welt differenzierter und aus verschiedenen Perspektiven wahrnehmen will.
Lieber Erich,
im Kommentar zum 25. Sonntag i. J. (24.9.2023) interpretierst du das Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg als Kontrastprogramm: „Nein, so wie sich der Gutsherr im soeben gehörten Evangelium verhält, so ist Gott nicht.“
Ich komme da – auch unter Beachtung des Zusammenhanges – zu einem ganz anderen Ergebnis: „Doch, genau so ist Gott!“
Jesus zeichnet ein Bild von Gott, der Rangordnungen auf den Kopf stellt, der allen den vollen Lebensunterhalt gibt und sich zuallererst um die Ärmsten kümmert. Der auf eine unerwartete Weise gerecht ist. Denn der Gutsherr gibt den Arbeitern nicht das, was sie verdienen, sondern das, was sie zum Leben brauchen. Und er beginnt damit bei den Bedürftigsten, bei jenen, die schon lange arbeitslos sind. Den „Ersten“ wird deswegen nichts weggenommen.
Was ist denn der eine Denar? Wenn man den Lohn mit dem ewigen Leben gleichsetzen würde, nach dem der reiche Jüngling fragt, wäre klar, warum gleich viel bekommen. Ewiges Leben gibt es nur zu 100 %. Kein Grund also zu Neid und Eifersucht. Bei Gott kommt niemand zu kurz.
Ja, das Gleichnis ist ein Kontrastprogramm – aber nicht zu Gott, sondern zu unserer Vorstellung von Gerechtigkeit.
Elisabeth Wergles
Liebe Elisabeth,
ganz ehrlich gesagt, ich habe bis vor drei Jahren das Gleichnis wie du gedeutet. Ein Buch von Luise Schottroff, die Gleichnisse Jesu, 2015 hat mich zu diesem neuen Zugang geführt. Sie beruft sich da auf einen englischsprachigen Exegeten, der viel zur Sozialgeschichte der damaligen Welt gearbeitet hat. Der Gutsherr versteht das Eigentum nach dem römischen Gesetz. Er kann tun und lassen mit ihm, was er will. Das entspricht nicht der Thora. In dieser gehört das Land Gott. Der Mensch hat es nur geliehen. Er nennt sich gut. Wir kennen des Satz aus dem Markusevangelium: “Jesus antwortete: Warum nennst du mich gut? Niemand ist gut außer der eine Gott” (Mk 10). Mit anderen Worten, niemand soll sich gut nennen. Die Art und Weise wie dieser Gutsherr die Ökonomie betreibt führt dazu, was damals viele Menschen in Schulden, in die Besitzlosigkeit und Armut führte. Er trägt nichts dazu bei, die Menschen aus dem Elend zu führen. Ein solcher Mann kann in seinem Handeln nicht beispielhaft für Gottes Wirken sein. Er lässt die Letzten Letzte sein.
Bei Gott sind dagegen die Letzten Erste.
Dieser Satz knüpft an die Szene davor an (Mt 19,16-21). Jesus erwartet von den Jüngern*innen ein völlig anderes Verhalten – nämlich das Loslassen von Besitz – als wie es der Gutsherr an den Tag legt. Und auch hier schließt Jesus mit den Worten: Viele Erste werden Letzte sein und Letzte Erste.
Jesus übt in diesem Abschnitt subtil, aber massiv Kritik am wirtschaftlichen System, das über die Menschen Elend bringt.
Lieber Erich,
vielen Dank für den Kommentar von Frau Schottroff! Ich habe ihn mit Interesse gelesen.
Das Argument, Gott sei rechtmäßiger Besitzer des Landes, erübrigt sich, wenn man den Gutsherrn als Bild für das Himmelreich/für Gott versteht. Und dafür spricht vor allem der erste Vers des Gleichnisses („Denn gleich ist das Himmelreich einem Menschen, einem Hausherrn, der …“). Zudem ist der Weinberg schon im Alten Testament ein Bild für das Gottesvolk und der Gutsherr ein Bild für Gott, am deutlichsten vielleicht in Jes 5,7: „Denn der Weinberg des HERRN der Heerscharen ist das Haus Israel …“. Und schließlich erinnert die Stelle an Mt 9,38 (Gott als Herr der Ernte).
Frau Schottroff beschreibt sehr ausführlich die sozialen Verhältnisse und die Ausbeutung der Arbeiter im Römischen Reich durch Großgrundbesitzer. Damit hat sie sicher recht. Aber der Gutsherr im Gleichnis verhält sich doch genau anders herum! Er handelt großzügig, geradezu unökonomisch. Ihm Profitdenken, Ausbeutung oder ähnliches zu unterstellen, dafür braucht es schon eine große Kraftanstrengung! Ich schließe mich hier der Kritik von Hultgren an: „But all this is to ruin a good story. It is difficult to deny that the employer is portrayed as unusually generous”. (Schottroff S. 277)
Meiner Meinung nach ist der Gutsherr in dieser Geschichte eindeutig eine positive Figur. Das zeigt schon Vers 1: „Denn gleich (ομοια) ist das Himmelreich einem Menschen, einem Hausherrn, der …“ Wenn das Himmelreich eine positive Größe ist, dann ist es auch der Gutsherr. Denn „ομοια“ bedeutet „von gleicher Beschaffenheit, ähnlich, gleichartig …“. Frau Schottroff lässt in ihre Übersetzung von Vers 1 bereits sehr viel an Deutung hineinfließen: „Die gerechte Welt Gottes ist mit der Wirklichkeit in der folgenden Geschichte von einem Menschen, einem Grundbesitzer zu vergleichen.“ Sie versteht, wie sie im Kommentar schreibt, den Vergleich als Gegenbeispiel. Doch mit „ομοια“ kann man keine Antithesen einleiten. Außerdem gibt es viele Gleichnisse, die mit dem gleichen Wortlaut beginnen. Sollten diese etwa auch als „Antithesen“ zu verstehen sein?
Der Gutsherr kann aber auch von seinem Handeln her als Bild für Himmelreich/Gott verstanden werden. Im Gegensatz zu röm. Grundbesitzern stellt er nicht Teilzeitkräfte an, um Arbeitskosten zu sparen. Er zahlt im Gegenteil allen den vollen Lohn. Und die Letzten sind bei ihm die Ersten, jene, die schon lange arbeitslos herumstehen und vom Bruchteil eines Denars vermutlich nicht leben könnten. Wenn das kein schönes Bild für das Himmelreich ist?
Ich denke, es geht in diesem Gleichnis nicht um Kritik an wirtschaftlichen Systemen. Das Gleichnis ist zunächst Teil der Antwort auf die Frage des Petrus: „WIR haben alles verlassen (im Gegensatz zum reichen Jüngling) … was werden wir dafür bekommen?“ Es richtet sich also an die Jünger, die „Arbeiter der 1. Stunde“ und die „Ersten“ der Gemeinde. Vielleicht musste Jesus (wieder einmal) ihre Vorstellungen bzgl. Rang und Lohn zurechtrücken?
Was mich an der Auslegung von Fr. Schottroff wirklich erschüttert, ist das Misstrauen dem Text gegenüber. Wie ist es sonst möglich, dass man aus einem positiven Vergleich („Denn gleich ist das Himmelreich einem Menschen …“) das Gegenteil, nämlich eine „Antithese zum Königtum Gottes“ (S. 283) herausliest? Der Text gibt dafür keinen Anhaltspunkt.
Mir scheint, dass Frau Schottroff den sozialgeschichtlichen Hintergrund über den Bibeltext (und dessen Kontext) stellt und zur Stützung ihrer These sogar die Übersetzung anpasst. Für mich ein zweifelhafter Umgang mit einem Bibeltext.