Suche nach Antworten 1. Lesung: Koh 1,2;2,21-23 |2. Lesung: Kol 3,1-5.9-11|Evangelium: Lk 12,31-21
Es gibt kein Buch das autoritäts-, kult- und religionskritischer wäre als die Bibel. Sie weiß nämlich, dass mit der Religion am subtilsten der Mensch manipuliert, gedemütigt und unterdrückt werden kann, weil der Glaube das Innerste eines Menschen berührt. Ein Beispiel für diesen kritischen Umgang mit der Religion und dem Glauben ist der Weisheitslehrer Kohelet. Er ist ein kritischer und differenzierender Denker.
Die Schrift beginnt mit den Worten: „Windhauch, Windhauch, sagte Kohelet, Windhauch, Windhauch, das ist alles Windhauch. Welchen Vorteil hat der Mensch von all seinem Besitz, für den er sich anstrengt unter der Sonne.“ Was genau mit „Windhauch“ – im Hebräischen: „haebel“ – gemeint ist, ist schwer zu sagen. 37x kommt der Begriff vor, genauso oft wie das Wort „Gott“. Früher wurde es mit „eitel“ übersetzt. Alles ist eitel – alles ist vergänglich; alles ist relativ. Moderne Übersetzungen verwenden die Worte wie: „sinnlos“, „vergeblich“, „vergänglich“, „absurd“, oder drastischer: „Alles ist Mist“.
Was ist der Hintergrund dieser Schrift? Kohelet lebte im 3. Jhd. v. Chr., in einer großen Umbruchszeit. Alexander der Große eroberte Palästina. Er brachte die hellenistische (Hoch-)Kultur mit, die der bäuerlichen Israels weit überlegen war. Historiker sagen, dass die bis dahin tragenden familiären und religiösen Strukturen zerbrachen. Es schwanden die Solidarität und der Zusammenhalt in den Verwandtschaften. Der Glaube Israels bekam Konkurrenz durch die neu eingeführte Götterwelt mit Tempeln und Opferkulten, damit verbunden auch neue Lasten von Abgaben und Steuern. Die Welt wurde für viele undurchschaubarer. Verunsicherung und Ängste schaukeltern sich gegenseitig hoch. Das Geld wurde immer wichtiger. Mit Geld war alles zu haben. Kein Geld bedeutete Elend. Kohelet beobachtet aufmerksamst diese Vorgänge und sucht nach Antworten.
Man kann sich vorstellen, welche Geschäftigkeit und welche Diskussionen sich in einem solchen Umbruch, in der die Existenz Israels wieder einmal auf dem Spiel stand, entwickelten. Es gab große Verwerfungen. Die einen hatten Gefallen an dem Neuen, empfanden es als Bereicherung, sie profitierten. Andere stemmten sich völlig gegen diese fremden Einflüsse. Sie sahen die neuen Entwicklungen als Gefahr, als Katastrophe.
In diese aufgeheizte Situation lasst uns nochmals die Worte vom Beginn des Buches hören: „Windhauch, Windhauch, sagte Kohelet, Windhauch, Windhauch, das ist alles Windhauch.“ Man spürt förmlich, wie sehr es ihm ein Anliegen ist, die Gemüter zu beruhigen, die Diskussion auf eine andere Ebene zu bringen. Der Eingangssatz ruft nach einer Pause, nach einem sich Zurücknehmen und einer Zeit des Nachdenkens. Man könnte auch sagen: Findet die nötige Distanz, damit das Wesentliche wieder ins Blickfeld kommt.
Kohelet ist kein „Weltverächter“, der alles negativ sieht, der den moralischen Zeigefinger gegen Besitzende, gegen Besatzer oder Andersdenkende erhebt. Er will einen ernsthaften, ehrlichen Diskurs. Er scheut es nicht, die Tabus seiner Zeit in Frage zu stellen. Z.B.: Was wird Gott belohnen? (Koh 2); der Wankelmut und die Verführbarkeit des Volkes; der Reichtum als Gottesgeschenk (Koh 4), die Willkür des Königs (Koh 10) …, um einige zu nennen. Kohelet ist kein Populist, der den Menschen nach dem Mund redet, beziehungsweise billig Gefühle oder Stimmungen des Volkes bedient, um seine Themen und Ziele durchzubringen. Er stellt vor allem Fragen und lässt sie wirken, Fragen, auf die er öfters selbst noch keine Antwort hat.
Kohelet ist kein „Weltverächter“, der alles negativ sieht und deutet. Er warnt allerdings vor trügerischen Sicherheiten. Er lenkt in seiner Suche nach dem Sinn des Lebens, die Aufmerksamkeit auf die Gegenwart. Er behauptet sogar – für unsere Ohren vielleicht überraschend: Gott offenbart sich in der weltlichen Freude. „Das eigentliche Geschenk Gottes besteht darin, … dass Gott dem Menschen durch die Freude seines Herzens Antwort gibt“ (5,19).
Er schätzt die Freude des Herzens als Gottes Geschenk: die Freude des Herzens, die die Natur bestaunt; die Freude, die aus einem Engagement, der Solidarität, dem Mitfühlen und der Sorge um den Nächsten erwächst. Er hinterfragt damit Weltverbesserer – auch die religiösen –, die nicht mehr in der Lage sind, den Augenblick zu genießen und die verbissen, verbittert und freudlos zu agieren neigen.
Er ist an anderer Stelle ebenso ein Korrektiv gegenüber der Nostalgie, die den „guten alten Zeiten“ nachtrauert. Ein Korrektiv gegenüber einem restaurativen Denken, dass sich der Einsicht verschließt, dass die Antworten von gestern auf die Fragen von heute nicht passen. Kohelet im Originalton: „Frag nicht: Wie kommt es, dass die früheren Zeiten besser waren als die unsere? Denn deine Frage zeugt nicht von Wissen“ (7,10).
Mit der Formulierung „alles ist Windhauch“ stellt er u.a. in Frage, dass das Glück machbar sei. Geld, Besitz – es ist Windhauch. Es gibt Situationen, da zählt dies alles nichts, und dies nicht erst im Tod. Wie sehr kann durch den Verlust der Gesundheit, durch ein Schicksal oder schlichtes Ereignis alles in einem neuen Licht erscheinen? Dass er den materiellen Besitz relativiert, das erwarten wir von der Bibel, aber er relativiert hier ebenso die Religion, die Gesetzestreue zur Thora. Ein religiöses Leben garantiert keineswegs das Glück. Manchmal geht es jenen Menschen, die sich nicht an das Gesetz halten, besser als dem Gesetzestreuen oder Glaubenden, so stellt er nüchtern fest. Kohelet wehrt sich dagegen, dass die Religion durch (hohle) Versprechungen oder vertröstende Worte zum Glücksgaranten instrumentalisiert wird.
Gott bleibt für Kohelet das große Geheimnis, der Unverfügbare. Vereinfachende, eindeutige Antworten von und über Gott sind ihm ein Gräuel. Er trägt der Tatsache Rechnung, dass es im Leben nichts gibt, was nur Vorteile hat, dass es auf viele Fragen keine klaren Antworten gibt und dass alles, was wir tun, den Charakter des Fragmentarischen, des Vorläufigen, des Bruchstückhaften hat. Kohelet redet von Gott sehr diskret und vorsichtig.
Wenn Sie den Text der 1. Lesung aus dem Buch Kohélet anhören möchten:
Wenn Sie den Text der 2. Lesung aus dem Brief des Apostel Paulus an die Gemeinde in Kolóssä anhören möchten:
Wenn Sie den Text aus dem heiligen Evangelium nach Lukas anhören möchten:
2 Kommentare zu “Suche nach Antworten 1. Lesung: Koh 1,2;2,21-23 |2. Lesung: Kol 3,1-5.9-11|Evangelium: Lk 12,31-21”
Lieber Erich!
Deine Gedanken zum Buch Kohelet sind für mich sehr bereichernd! Manches auch neu.
Deine Auslegung regen zum Nachdenken an und so in Verbindung zur jetzigen Situation zu bringen! Danke und liebe Grüße Maria
Lieber Erich,
Jeden Sonntag lese und bedenke ich deine Gedanken zu den biblischen Texten mit großem Gewinn.
Ich gebe sie an Freunde weiter.
Das ist eine Form des Bibel Teilens.
Herzlichen Dank!
Franz