
Versöhnung finden können 1.Lesung: Apg 7,55-60| 2.Lesung: Offb 22,12-14.16-17.20| Evangelium: Joh 17,20-26
Auch im Text der heutigen Lesung aus der Offenbarung des Johannes gibt es einen versteckten Bezugspunkt zu einem jüdischen Ritual: „Selig, die ihre Gewänder waschen: Sie haben Anteil am Baum des Lebens und sie werden durch die Tore in die Stadt eintreten können“ (Offb 22,13-14). Das Gewand waschen, es sauber machen und damit ein weißes Gewand tragen zu können, nimmt Bezug auf Yom Kippur, den höchsten Feiertag des Judentums.
Jom Kippur ist seit biblischer Zeit das große Versöhnungsfest der Juden. An den Vorbereitungstagen soll für alle Verfehlungen moralischer Natur gegenüber Mitmenschen um Vergebung gebetet werden. Die Bitte um Sündenvergebung am Jom Kippur selbst bezieht sich jedoch nur auf Vergehen gegenüber Gott. Er ist der große Versöhnungstag zwischen Israel und Gott.
Sündenbekenntnisse erfuhren in der katholischen Kirche eine umfassende Entwicklungsgeschichte. Zuerst galt die Taufe als Sündenvergebung. Wer danach Sünden wie Mord, Ehebruch und Abfall vom Glauben beging, musste sich einem speziellen Bußzeremoniell zur Wiederaufnahme in die Gemeinde stellen. Die sogenannte „große Kirchenbuße“ galt für öffentlich sichtbare Taten, die das Ansehen der ganzen Gemeinschaft in Verruf bringen konnten. Die Buße war daher auch eine öffentliche Angelegenheit. Irische Mönche im 6. Jahrhundert erkannten einen Rückfall in vorchristliche Glaubensweisen und sie begannen mit einer Remissionierung. Dazu gehörte auch eine besondere Bußform, wir würden es heute als Beichtgespräch bezeichnen bzw. als Seelsorgegespräch. Ratschläge für eine bessere Lebensführung standen im Mittelpunkt. Der Andrang war groß und bald konnten neben den Mönchen auch Laien diese Form der Beichte abnehmen. Durchgesetzt hat sich aber die sogenannte Ohrenbeichte, die beliebig wiederholbar war, aber ausschließlich bei einem Priester. Zu dieser Zeit entstanden Kataloge, die festlegten, welche Sünden wie schwer wiegen und welche Zeichen der Reue zu leisten sind. Sehr beliebt waren Wallfahrten, aber es war auch der Beginn des Ablasshandels.
Aus dem seelsorglichen Gespräch der iroschottischen Mönche wurde eine Art kleines Sündentribunal, welches vor jeder Eucharistie abzuhalten war. Spuren davon sind bis heute sichtbar: Denn der Beichtstuhl entstand aus dem Richterstuhl des Priesters, neben den sich die Gläubigen setzen. Heute führt die Beichte unter den Sakramenten ein Schattendasein.
Anders verhält es sich bis zum heutigen Tag beim Yom Kippur. Es gilt die Aufforderung: Untersuche deine Taten! Prüfe deine Worte und Gedanken! Nimm Gottes Maßstab, als Richtmaß SEINES Willens, und frag dich, ob ER zufrieden sein kann. Der gläubige Jude steht bildlich vor Gott und Gott begegnet ihm als Richter und als Vater. Als Richter ist er König der Gerechtigkeit und als Vater ist seine Liebe unerschöpflich und seine Gnade unendlich und ewig. Auf diese mystagogische Verbindung von Vater und Richter als Zeichen für die zwei göttlichen Haltungen von Barmherzigkeit und Gerechtigkeit verweist auch der Text aus dem Johannesevangelium. Zentrales Element am Vorabend vom Jom Kippur ist der Segen der Eltern für ihre Kinder. Jesus bittet knapp vor seinem Tod um den Segen für alle, die zu ihm gehören wollen. Segen zu spenden und Segen anzunehmen ist somit eine wesentliche Rahmenhandlung, um Versöhnung stattfinden zu lassen.
Auch Muslime feiern die „Berât-Nacht“, in der sie das eigene Verhalten reflektieren und sich miteinander versöhnen. Die eigentliche Stärke des Christentums ist, dass wir in unserer Bitte um Schuldvergebung nicht an einen einzigen Tag im Jahr gebunden sind. Wir haben die Rituale der Schuldvergebung in der Liturgie, wo wir selbst und frei unser Verhalten prüfend vor Gotte legen und um Vergebung bitten können. Ob wir in diesen kurzen Momenten wirklich alles in den Blick nehmen können? Abhandengekommen ist uns die tiefgründigere Prüfung unseres Tuns durch das Ansprechen gegenüber einer anderen Person – wie es die Beichtgespräche vorsahen.
Die Bibel beginnt im Buch Genesis mit dem Leben in einem Garten, das Buch der Offenbarung des Johannes schließt mit dem heute gehörten Kapitel mit dem Hinweis auf diesen Baum des Lebens. Bei ihm steht dieser Baum nicht mehr in einem Landschaftsgarten, sondern mitten in der Heiligen Stadt. Johannes klammert also nicht aus, dass Zivilisation stattgefunden hat, dass sich die Menschen Entwicklungen angepasst haben und sich Rahmenbedingungen ändern. Gegebenheiten dürfen also angepasst werden und es macht das Ringen eines gläubigen Menschen aus, diese Veränderungen mitzugehen. Vielleicht wäre zu überlegen, welche Not der Menschen es heute gibt, ihre Fehler einmal beim Namen nennen zu können, ihre Bedrängnis aussprechen zu dürfen und in diese Beziehung von Gott als König der Gerechtigkeit und barmherzigem Vater eintauchen zu dürfen. Es kann erleichtern, über seine Stärken und Schwächen nachzudenken und gegebenenfalls um Verzeihung zu bitten. Man kann dann frei von der oft eigenen Gnadenlosigkeit mit Fehlern das Leben fortsetzen.
Auch ein „Sakrileg“ wie der Baum des Lebens erfährt Veränderung, warum also nicht auch das Sakrament der Buße. Das Bedürfnis nach Vergebung ist aufrecht, aber das Empfinden von Form hat sich möglicherweise verändert. Papst Franziskus meinte, der Beichtstuhl sei weder Folterkammer noch Waschsalon. In welcher Form könnte aber eine Handlung oder ein Gespräch für mich heute hilfreich sein, um mich und mein Leben gut reflektieren und leben zu können?
Wenn Sie den Text der 1. Lesung aus der Apostelgeschichte anhören möchten:
Wenn Sie den Text der 2. Lesung aus der Offenbarung des Johannes anhören möchten:
Wenn Sie den Text aus dem heiligen Evangelium nach Johannes anhören möchten:
In unseren Gedanken zu den Texten der Sonntage haben wir schon öfter auf die Problematik von Textauslassungen hingewiesen. Wir wollen einen Versuch starten und werden ab dem Beginn des neuen Lesejahres die Texte in der Länge der biblischen Verfasser lesen.
Seit Jahrhunderten beeindruckt die Bibel Menschen mit ihren Formulierungen. In der Zeit ihrer Entstehung für jeden verständlich brauchen Leserinnen und Leser von heute eine Übersetzung dieser Texte. Jede Übersetzung ist in gewisser Weise auch eine Deutung der Schrift. Die Einheitsübersetzung ist uns bereits vertraut. Wir wollen bewusst mit Beginn des neuen Kirchenjahres eine andere Übersetzung verwenden, um uns neu von den Texten überraschen zu lassen. Wir haben uns für die Übersetzung der BasisBibel entschieden, die seit Januar 2021 vollständig vorliegt. Die BasisBibel ist die Bibelübersetzung für das 21. Jahrhundert: klare Sprache, kurze Sätze und verständliche Sprache.