Zugrunde gelegte Weisheit 1. Lesung: Sir 24,1-2.8-12|2. Lesung: Eph 1,3-6.15-18|Evangelium: Joh, 1-18
Die biblische Weisheitsliteratur zählt zu den Spätschriften der Bibel. Sie entstand in den letzten 3 Jht. v. Chr. Die Weisheitslehrer begegnen mit ihren Schriften dem Hellenismus.
Die Fragen von damals berühren auch heute: Wie gehen Glaube und Vernunft zusammen? Gehen sie überhaupt zusammen? Ist der Glaube vernünftig? Welche Lebensweise lässt den Menschen zufrieden, beziehungsweise glücklich sein oder werden?
Die Weisheit ist nicht zu verwechseln mit Intelligenz oder Gescheit sein. Sie zeigt sich vielmehr in einer gefundenen Lebensweise, die Menschen in all ihren Herausforderungen befähigt, das Leben zu bestehen und dabei möglichst glücklich und zufrieden zu sein. Es ist eine Lebensart, die nicht auf Kosten anderer geht, weil man schneller und raffinierter agiert, sondern die sehr wohl um Wünsche, Bedürfnisse und das Recht anderer weiß, sich aber auch von diesen nicht knechten lässt.
„Sie (die Weisheit) lobt sich selbst, sie rühmt sich bei ihrem Volk“, so heißt es. Sie steht in sich. Sie weiß um ihren Selbstwert und macht sich nicht vom Lob anderer abhängig. Sie rühmt sich bei ihrem Volk, d. h. sie ist eingebettet in die Gemeinschaft. Sie hat das Ganze – das Gemeinwohl – als Ziel und weiß darum, dass ich Teil dieser Gemeinschaft bin.
In der heutigen Lesung erklärt uns der jüdische Weisheitslehrer Jesus ben Sirach, was die Weisheit vom Standpunkt des Glaubens aus ist und wie wir zu ihr Zugang finden können. Er stellt fest, dass die Weisheit ein Geschöpf Gottes ist, die von Anfang an da war, von Anfang an die Schöpfung – sprich – unsere Welt mitgeformt hat. Sie wird also in der Welt und den Vorgängen in ihr sichtbar.
Wahrlich schon allein die Zusammenhänge und das Zusammenspiel in der Natur lassen nur staunen: Wer und was da von wem abhängt oder auch profitiert? Im Kosmos, in der Pflanzen- und Tierwelt, oder etwa das ganze Zusammenspiel der Körperfunktionen des Menschen. Es liegt eine tiefe Weisheit all dem Ganzen zugrunde.
Bei Jesus Sirach ist die Weisheit wie eine Person dargestellt, d.h. sie ist eine eigene Größe als Geschöpf Gottes, über die niemand verfügen oder für sich allein in Anspruch nehmen kann. Ein solcher Gedanke richtet sich gegen elitäre Zirkel oder Gruppen, die von sich behaupten ein Sonderwissen von oder über Gott zu haben. Es richtet sich auch gegen solche, die sich durch Privatoffenbarungen eine besondere religiöse Stellung innerhalb einer Religion sichern wollen. Die Weisheit Gottes stellt sich in den Dienst der Gemeinschaft.
Die Weisheit Gottes hat sich in einer weiteren Weise in der Welt festgelegt. Sie hat sich als Wohnung das Volk Israel gewählt. Es gilt hier einer Engführung vorzubeugen. Israel heißt auf Deutsch: „Gottesstreiter/in“. Mit anderen Worten: Die Weisheit Gottes wohnt bei den Gottesstreitern, bei jenen, die in Konflikten vor allem mit Gott ringen und immer weniger mit den Menschen, die die Vorgänge in der Welt im Lichte des Glaubens an den unverfügbaren Gott zu verstehen suchen. Jede und jeder kann „Israelit“, „Israelitin“ sein. Jedes Volk kann in seinem Ringen zu „Israel“ werden.
Allerdings sei dennoch eine Einschränkung angebracht: Die Weisheit Gottes liegt nicht einfach auf dem Volk Israel, sondern auf der ihr gegebenen Thora, auf den Erzählungen und Weisungen der fünf Bücher des Moses. Es ist wie eine Gebrauchsanweisung für die Welt. Die fünf Bücher des Moses zeigen dem gläubigen Herzen, wie es sich in der Welt angemessen, gerecht, menschenfreundlich und gottgefällig benimmt und bewegt.
Diese fünf Bücher des Moses sind auch für uns Christen relevant. Der Glaube Jesu wurzelt in ihnen. Die Weisheiten beziehungsweise Wahrheiten der Erzählungen dieser Bücher haben eine jahrhundertelange Prüfung durchlaufen, manche brauchten sechs Jahrhunderte bis sie als Heilige Schriften anerkannt wurden.
Viele Menschen suchen nach Gott – im tiefsten und letzten tut es jede und jeder. Viele versuchen es ohne – ich sage es bewusst – ohne Thora. Es ist ungleich schwerer. Viele finden keinen Bezug. Manche lehnen Gott ab. Vielleicht lehnen sie nur jenes Bild von Gott ab, das sie sich selbst gemacht haben. Für mich ist es schwer vorstellbar, dass ein Mensch den sich biblisch offenbarenden Gott ablehnt, den Gott, der mich mehr liebt als ich mich vermutlich selbst, ER, der das Leben für mich will.
Die Weisheit hat sich in Israel, in der Thora eine Wohnung gesucht.
Im heutigen Evangelium und in anderen Evangelientexten übernimmt Jesus selbst die Rolle der Weisheit. In ihm ist die Weisheit Gottes Person geworden. Somit ist die Weisheit nicht mehr nur in der Beobachtung der Welt, auch nicht nur im gläubigen Lesen und Meditieren der Thora, sondern auch im Verstehen und Nachahmen des Lebens Jesu gegenwärtig. In der Nachfolge Jesu erschließt sich für Christen eine besondere Weisheit des Lebens.
Um zu einer Ausgangsfrage zurückzukehren: Wie stehen Glaube und Vernunft zueinander? Man muss und soll nichts gegen die Vernunft glauben. Es kann sein, dass ein Mensch in Bezug auf Gott oder die Bibel in der einen oder anderen Frage noch keine schlüssige Antwort gefunden hat. Zur Weisheit gehört Geduld und das Wissen, dass ich niemals Herr aller Wahrheiten bin. Weisheit ist eine Gabe, ein Geschöpf Gottes, die angewiesen ist auf ein offenes, hörendes Herz.
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Wir wünschen allen Leserinnen und Lesern
ein gesegnetes, gesundes und erfülltes Jahr 2022.
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Wenn Sie den Text der 1. Lesung aus dem Buch Sirach anhören möchten:
Wenn Sie den Text der 2. Lesung aus dem Brief des Apostel Paulus an die Gemeinde in Éphesus anhören möchten:
Wenn Sie den Text aus dem heiligen Evangelium nach Johannes anhören möchten:
6 Kommentare zu “Zugrunde gelegte Weisheit 1. Lesung: Sir 24,1-2.8-12|2. Lesung: Eph 1,3-6.15-18|Evangelium: Joh, 1-18”
Wie erstrebenswert die Weisheit ist, drückt Salomon in einem langen Gebet im aus (leider nur in Kath. Bibelversionen)
u. a. in Versen wie:
9:1-6 und 9-11,
11:23 bis 12:1
Leo Tolstoi schreibt:
„Wenn du nicht mehr an den Gott glauben kannst, an den du früher geglaubt hast, so rührt das daher, dass etwas in deinem Glauben verkehrt war; und du musst dich besser bemühen zu begreifen, was du „Gott“ nennst.
Wenn einer an seinen hölzernen Gott zu glauben aufhört, heißt das nicht, dass es keinen Gott gibt, sondern nur, dass der wahre Gott nicht aus Holz ist.“
Mögen uns Salomons Sehnsucht und Einsicht anstecken!
Wären Sie so freundlich, mir zu sagen, wo (in welchem seiner Werke) ich das schöne Tolstoi-Zitat finden kann!
Danke sehr im Voraus! Walter B. (buwal@me.com)
leider fehlen in der ersten Zeile der Hinweis, bzw. die 3 Worte:
……im “Buch der Weisheit”….
Sehr geehrter Herr Buder,
leider habe ich zu dem Zitat keine weiteren stichhaltigen Hinweise, denn ich fand es vor Jahren in einem Losungsbuch, dessen Tagesgedanken das Thema waren wie es bei Hosea 14:6 und Apostelgesch. 19:26 anklingt.
Dankeschön, Frau Antonie! Tolstoi’s Zitat birgt einen Gedanken, der mich berührt. Er wird in der (kirchlichen) Verkündigung kaum zum Zug, er findet selten bis gar nie ernsthafte Rücksicht oder Erwähnung. Parallel zu Tolstois Einsicht, sagte – lange vor ihm – der Hl. Augustinus: “Si comprehendis non est Deus!” (Wenn Du es es verstanden – oder: begriffen, auf den Begriff gebracht hast – ist es nicht (mehr) Gott.) – Einen schönen, bedachtsamen Sonntag, wünsche ich ihnen! WB
Lieber Erich,
vielen Dank für soviel Heiligen Geist ! Für einen nicht Bibel-festen wie mich, sind diese Erklärungen, in denen der Heilige Geist sein Wirken uns Menschen zukommen lässt, sehr hilfreich. Für mich ist das ein Geist, der mir im Glauben dürfen näher kommt und dem ich vertrauen darf. Dafür bin ich sehr dankbar.