Der Rufer in der Nacht 1. Lesung: 1 Sam 3,3b-10.19|2. Lesung: 1 Kor 6,13c-15a.17-20|Evangelium: Joh 1,35-42
Schon öfters habe ich auf das Problem der eigenartigen Auswahl der biblischen Texte für die sonntäglichen Gottesdienste hingewiesen, bzw. Ausgelassenes oder Kürzungen bemängelt. Es geht nicht um böse Absicht, aber manche der Schriftstellen verlieren an Aktualität, durch fehlende Zusammenhänge gehen wesentliche Aussagen verloren. Manchmal wäre es in meinen Augen sinnvoller, im Gottesdienst nur einen Text mit seinem gesamten Umfeld zu verwenden. Es würde dem Wort gegenüber größere Achtung zum Ausdruck bringen. Ich gehe heute auf die Lesung aus dem Buch Samuel ein.
Am Beginn werden zweieinhalb Verse übergangen, die die Situation beschreiben, in die der Ruf Gottes an Samuel erfolgt. Ich darf sie vorlesen: „Der junge Samuel versah den Dienst des Herrn unter der Aufsicht Elis. In jenen Tagen waren Worte des Herrn selten; Visionen waren nicht häufig. Eines Tages geschah es: Eli schlief auf seinem Platz; seine Augen waren schwach geworden und er konnte nicht mehr sehen. Die Lampe Gottes war noch nicht erloschen und Samuel schlief im Tempel des Herrn, wo die Lade Gottes stand“ (1 Sam 3,1-3).
Darauf folgt der Ruf Gottes an Samuel, den dieser bis dahin nicht einordnen konnte. Worte des Herrn waren selten; Visionen waren nicht häufig. Es ist die Umschreibung großer Verunsicherung und Orientierungslosigkeit. Das Wort Gottes hat mehr oder weniger nicht gezählt. Es fehlen die tröstenden Worte. Es fehlen die versöhnenden und verbindenden Worte. Es fehlen die heilenden und aufrichtenden Worte. Es fehlen die Worte des Zuspruchs und des Mut Machens. Und weiter wird erwähnt: Visionen waren nicht häufig. Wenn im Volk die Visionen fehlen, birgt es die Gefahr von Chaos, Konflikten, Resignation und Verbitterung in sich. Wir ahnen im Moment, wie herausfordernd es für die Bevölkerung sein kann, wenn es z.B. auf Grund der Pandemie keine Berechenbarkeit gibt, die Visionen fehlen. Das Durchhalten in der herausfordernden Zeit überfordert viele und ist bester Boden für Verschwörungstheorien, Hass, Spaltung und Gewalt.
Die Bibel beschreibt in äußerst prägnanter Weise so eine prekäre Situation. Sie gibt keine Auskunft über das Warum und Weshalb, sie benennt auch keine Schuldigen oder Versager. Sie stellt schlicht fest, dass es an Visionen fehlt.
Dann kommt hinzu: Eli, der Priester mit missratenen Söhnen, ist alt und müde geworden, vielleicht muss man sogar sagen, verbittert. Seine Augen sind schwach und er konnte nicht mehr sehen. Eli ist nun alt geworden. Er kommt mit den Entwicklungen der Zeit nicht mehr mit. Das Wort hat für ihn keine Kraft. Es wächst ihm das ganze über den Kopf hinaus. Er ist blind. Er vermag seine Anvertrauten nicht mehr zu führen. Menschlich gesehen ist es eine hoffnungslose Situation. Vielleicht denken manche, dass die Kirchen in unseren Breiten eine ähnliche Situation erleben. Es sei hier erwähnt, dass nicht das Alter an sich oder alte Menschen abgewertet werden wollen, es gibt alte Menschen (gerade in der Bibel), die sehen gut und sind hellwach. Mit alt ist all jenes umschrieben, das sich dem Leben, der Realität verweigert und sich nicht mehr den Herausforderungen stellen will.
Dann heißt es in diesen weggelassenen Versen zugleich – und das scheint mir wichtig: Die Lampe Gottes war noch nicht erloschen. Das Licht Gottes brennt dennoch. Das Licht Gottes brennt auch in dieser Situation, in der das Wort Gottes nicht zählte und der Priester blind geworden war. Die Lampe Gottes war noch nicht erloschen. Wir haben in unseren Römisch Katholischen Kirchen das ewige Licht. Wir sind erinnert, dass das Licht Gottes selbst in widrigsten Umständen gegenwärtig bleibt.
Gott ruft aus dem Chaos und in der Nacht den Samuel. Aus sich vermag er zunächst den Ruf nicht zu deuten. Auch der Priester Eli schickt ihn zunächst zum Weiterschlafen. Es schwingt mit: Bitte nicht stören. Bitte keine Aufregung. Bitte keine Veränderungen. Als Samuel dann zum dritten Mal kommt, ist es schließlich doch der erblindete Eli, der dem unerfahrenen, jungen Samuel hilft, den Hinweis auf den eigentlichen Rufer zu geben.
Dabei ist die Haltung zu erwähnen, auf die Eli den Samuel aufmerksam macht: Es ist die Haltung des Hörens. Rede Herr, dein Diener hört (V 9). Sei ein hörender Mensch. Dem biblischen Menschen ist es präsent, dass der Glaube vor allem durch das Hören wächst. Sein Glaubensbekenntnis beginnt mit den Worten: „Höre Israel, der Herr ist ein einiger Gott …“ (Dt 6,4).
Von Samuel hat es im letzten Satz der Lesung gelautet: Er ließ kein Wort fallen. Er hat dem Wort große Achtsamkeit entgegen gebracht. Das zeigte sich als er für König Saul einen Nachfolger suchte. Nicht der älteste der Söhne oder der älteren Söhne, die teilweise fromm, großzügig und ergeben waren, war von Gott berufen, sondern der jüngste, David, d.h. der Geliebte und Liebende. Es war eine Frucht dieses Hörens. David war Hirte und blieb weiter Hirte des Volkes.
Samuel mit der Haltung: Rede Herr, dein Diener hört, ermöglichte einen Neuanfang in einer hoffnungslosen Situation.
Wenn Sie den Text der 1. Lesung aus dem Buch Samuel anhören möchten:
Wenn Sie den Text der 2. Lesung aus dem ersten Brief des Apostel Paulus an die Gemeinde in Korinth anhören möchten:
Wenn Sie den Text aus dem heiligen Evangelium nach Johannes anhören möchten:
2 Kommentare zu “Der Rufer in der Nacht 1. Lesung: 1 Sam 3,3b-10.19|2. Lesung: 1 Kor 6,13c-15a.17-20|Evangelium: Joh 1,35-42”
Lieber Erich!
Herzlichen Dank für Deine wieder tolle Auslegung der Bibelstelle. Besonders schätze ich auch immer, die Bezüge in unsere heutige Zeit ohne die viele Bibelstellen irgendwie leer bleiben würden. 🙂
Gruß aus Dornbirn,
Hugo
Vielen Dank Erich,
Beim Lesen deiner Auslegung wird der Text eindeutig. Allein wäre ich mit der Stelle überfordert und würde kaum Gedanken damit verlieren.
Alles Gute und schöne Grüße,
Ruth