
Mitgefühl als Grundlage für Veränderung 1.Lesung: Sach 12,10-11;13,1| 2.Lesung: Gal 3,26-39| Evangelium: Lk 9,18-24
Die Präsidentin der europäischen Union hat vor kurzem den internationalen Karlspreis zu Aachen für Verdienste um Europa erhalten. Dieser Preis wurde nach dem zweiten Weltkrieg 1950 gestiftet, als Europa in Trümmern lag und es galt, offene Gräben zuzuschütten und neue friedvolle Wege zu finden. Ursula von der Leyen hielt eine eindrückliche Dankesrede: „Wir müssen der Realität von heute ins Auge sehen. Wir können nicht tatenlos den Umwälzungen zusehen. (…) Oder erneut dem Irrglauben verfallen, dass der Sturm einfach vorüberziehen wird. Dass alles wieder so wird wie früher. Wenn nur der Krieg endet; wenn nur ein Zollabkommen geschlossen wird; wenn nur die nächsten Wahlen anders ausgehen. So wird es nicht kommen. (…) Wir stehen also vor einer grundlegenden Entscheidung. Warten wir ab und reagieren wir nur auf die unmittelbare Krise? Akzeptieren wir unser vermeintliches Schicksal? Oder nehmen wir die Dinge selbst in die Hand und entscheiden selbst über unsere Zukunft?“.
Bei diesen Worten kam mir der Text aus dem Buch Sachárja in Erinnerung. Nach der Rückkehr aus dem babylonischen Exil blieb die rasche Wiederherstellung Israels aus. Die Hoffnung auf einen schnellen Wiederaufbau des zerstörten Tempels hatte sich nicht erfüllt. In dieser Zeit trat Sachárja als Prophet auf. Auch damals waren sich nicht alle einig, welche Prioritäten die notwendigen Maßnahmen und Projekte haben sollten. Haggai – ein anderer Prophet, der zu selben Zeit tätig war – drängte das Volk zum Tempelbau. Er war der Meinung, dass durch den Wiederaufbau des Tempels alles wieder so werden würde wie früher.
Sachárja war der Auffassung, dass sich zu viel verändert hatte und der „alte“ Tempel nicht die adäquate Antwort für die aktuellen Herausforderungen sei. Für ihn war der neue Tempel ein Bild für eine neue Zukunft, daher müsse er sich in Gestalt und Funktion vom alten Tempel unterscheiden. Diese Herangehensweise ist umso eindrücklicher, da Sachárja Priester war und der Dienst mit Tempel für ihn mit einigen Privilegien verbunden gewesen wäre.
Für ihn war der Tempel kein Bauwerk mehr, sondern Mitte einer neuen Schöpfung. Er sollte der Ausgangspunkt für eine allumfassende befriedete Völkerwelt sein – ein Ankerpunkt für die Hoffnung auf eine bessere Welt. Jerusalem sollte zu einer „offenen Stadt“ (Sach 2,8) werden. Viele Völker werden in der Stadt leben und sich dem Herrn anschließen, sie alle „werden mein Volk sein und ich werde in deiner Mitte wohnen“ (Sach 2, 15). Priester und König sollen gemeinsam herrschen, „friedvolles Einvernehmen wird zwischen ihnen beiden sein“ (Sach 6,13). Dies wird dazu führen, dass erkannt wird, dass es nur einen Gott gibt und dieser über die gesamte Welt herrscht. „Dann wird der HERR König sein über die ganze Erde. An jenem Tag wird der HERR einzig sein und sein Name einzig“ (Sach 14,9). Die Ausführungen des Sachárja lassen sich als eine Blaupause für den interreligiösen Dialog lesen.
Papst Franziskus formulierte dies bei seiner Reise nach Singapur auf die Konflikte zwischen den Religionen verweisend folgendermaßen: „weil meine Religion wichtiger ist als deine, meine wahr ist, deine nicht wahr ist. Alle Religionen sind ein Weg, um Gott zu erreichen“ und fügte hinzu, dass „sie wie verschiedene Sprachen sind, verschiedene Sprachen, um Gott zu erreichen, aber Gott ist Gott für alle. Und da Gott für alle Gott ist, sind wir alle Kinder Gottes“.
Sowohl der Prophet Sachárja als auch der verstorbene Papst sprechen eine Vision aus. Sie haben sich einen Fluchtpunkt der Hoffnung auf eine friedvollere Welt gesetzt. Diesen streben sie an und ihr Leben dient diesem Ziellauf.
Wissen wir derzeit, wohin wir wollen? Als Einzelperson, als Gesellschaft, als Gemeinde, als Kirche?
Ein Mitglied des Club of Rome versucht es mit einem Umkehrschluss. Stefan Brunnhuber stellt die Frage: „Wie werden wir gewesen sein? Was wird man in 100 Jahren einmal von uns erzählen?“ und lädt ein, eine gemeinsame Vision von der Zukunft her zu denken und die notwendigen Handlungen darauf zielend abzuleiten.
Sehen – urteilen – handeln, diesen Dreischritt empfiehlt die christliche Soziallehre. Davon berichtet der Prophet Sachárja in einem bemerkenswerten Zusammenhang. Gott sieht das Leid der Menschen. Er schüttet seinen Geist aus „über die Nachkommen Davids und die Bewohner Jerusalems. Der wird sie mit Mitgefühl und Reue erfüllen” (Sach 12,10). Es folgt dann das eigene Schuldbekenntnis des Volkes und die Trauer über begangene Taten. „An diesem Tag wird Wasser aus einer Quelle fließen. Von den Nachkommen Davids und den Bewohnern Jerusalems wird er die Sünde und alles Unreine abwaschen“ (Sach 12,13). Der Prophet Sachárja sieht in seiner Vision den Dreischritt „sehen – urteilen – handeln“ nicht losgelöst von Gott. Wir würden das vielleicht heute mit dem Wirken des Heiligen Geistes in Verbindung bringen. Bei Sachárja sendet ER Mitgefühl als Grundlage, damit Veränderung möglich ist. Vielleicht ist es auch heute für die Erarbeitung einer Vision hilfreich, mehr Mitgefühl für sich selbst, für die Mitmenschen, für die Natur, für die Verantwortungsträger, für die Not auf dieser Welt aufzubringen, damit wir gute Visionen für unser aller Zukunft entwickeln können.
Wenn Sie den Text der 1. Lesung aus dem Buch der Sachárja anhören möchten:
Wenn Sie den Text der 2. Lesung aus dem Brief des Apostels Paulus an die Gemeinde in Galátien anhören möchten:
Wenn Sie den Text aus dem heiligen Evangelium nach Lukas anhören möchten:
In unseren Gedanken zu den Texten der Sonntage haben wir schon öfter auf die Problematik von Textauslassungen hingewiesen. Wir wollen einen Versuch starten und werden ab dem Beginn des neuen Lesejahres die Texte in der Länge der biblischen Verfasser lesen.
Seit Jahrhunderten beeindruckt die Bibel Menschen mit ihren Formulierungen. In der Zeit ihrer Entstehung für jeden verständlich brauchen Leserinnen und Leser von heute eine Übersetzung dieser Texte. Jede Übersetzung ist in gewisser Weise auch eine Deutung der Schrift. Die Einheitsübersetzung ist uns bereits vertraut. Wir wollen bewusst mit Beginn des neuen Kirchenjahres eine andere Übersetzung verwenden, um uns neu von den Texten überraschen zu lassen. Wir haben uns für die Übersetzung der BasisBibel entschieden, die seit Januar 2021 vollständig vorliegt. Die BasisBibel ist die Bibelübersetzung für das 21. Jahrhundert: klare Sprache, kurze Sätze und verständliche Sprache.
Ein Kommentar zu “Mitgefühl als Grundlage für Veränderung 1.Lesung: Sach 12,10-11;13,1| 2.Lesung: Gal 3,26-39| Evangelium: Lk 9,18-24”
Was bewirken Bewusstheit und Bereitschaft?
Es gibt Menschen, deren Leben dreht sich nur um sich selber. Sie können sich daher kaum in andere Menschen hineinversetzen. Meiner Meinung ist es sehr wichtig auch Verständnis für meine Mitmenschen zu haben. Ich sollte am Anfang meiner Entwicklung ein Bewusstsein für mich selber erreichen. Dann gelingt es auch besser die Anderen einzuschätzen. Ich habe nun mehr Vertrauen, um auf mein Gegenüber zuzugehen. Das Wichtigste ist die Bereitschaft für ein Miteinander. Ich kann dafür den Heiligen Geist darum bitten, um mein Denken zu erneuern.
Wünschenswert wäre es für mich, wenn viele Menschen diesen Weg gehen würden, um eine friedvollere Welt zu erschaffen. Lebenszerstörendes Verhalten
-wie z.B. Unterdrückung und Krieg- verhindert Beziehung. Lebensaufbauendes Verhalten -wie z. B. Wertschätzung und Dankbarkeit- fördert Beziehung. G.G.